Hintergrund

Fukushima: Vorsicht vor radioaktiven Lebensmitteln

Die Hauptgefahr nach der Reaktor-Katastrophe in Fukushima sind für die Menschen in Japan jetzt kontaminierte Lebensmittel. Kontrollen müssen verhindern, dass sie in den Handel kommen, fordert Nuklearmediziner Professor Christoph Reiners.

Dr. Thomas MeißnerVon Dr. Thomas Meißner Veröffentlicht:
Genießbar oder kontaminiert? Radioaktivität ist vor Fukushima auch ins Meer geflossen.

Genießbar oder kontaminiert? Radioaktivität ist vor Fukushima auch ins Meer geflossen.

© Andrei Levitskiy / fotolia.com

Radioaktive Kontamination und Inkorporation sind die Hauptgefahren für die Gesundheit der Arbeiter, die am havarierten Reaktor in Fukushima tätig sind. Für die Einwohner des Landes muss gewährleistet sein, dass sie keine kontaminierten Lebensmittel essen.

Die radioaktive Strahlung, die etwa vom Boden ausgehe, sei aus medizinischer Sicht zu vernachlässigen, sagt der Nuklearmediziner Professor Christoph Reiners von der Universität Würzburg. "Jetzt geht es darum, konsequent die Lebensmittel in dieser Region zu überwachen", so der Leiter des WHO-Kollaborationszentrums für medizinische Vorsorge und Hilfe bei Strahlenunfällen.

Mit der Evakuierung der Bevölkerung aus der 20-km-Zone ist nach Reiners Angaben das entscheidende Risiko abgewendet worden: die Inkorporation von radioaktivem Jod. Es sei nicht notwendig gewesen, JodTabletten zu verteilen. "Wir wissen aus Tschernobyl, dass die Entwicklung von Schilddrüsenkrebs bei Kindern die entscheidende und praktisch die einzige direkte gesundheitliche Strahlen-Spätfolge für die Bevölkerung ist", sagt Reiners, der mit seinen Kollegen damals 250 Kinder und Jugendliche mit fortgeschrittenem Schilddrüsenkrebs aus Weißrussland in Deutschland behandelt hat und deren Gesundheitszustand bis heute in einer Ambulanz in Minsk beobachtet. Der Experte hält zudem seit Langem engen Kontakt zu japanischen Kollegen, die unter anderem die Spätfolgen der Atombombenabwürfe in Hiroshima und Nagasaki im Jahre 1945 untersuchen.

Wenn um Fukushima gewährleistet wird, dass keine radioaktiven Lebensmittel in den Handel kommen, sind nach Reiners Ansicht Risiken und Spätfolgen wie strahleninduzierter Krebs, speziell der Schilddrüse, sehr gering, wenngleich keine definierte Schwellendosis für derartige Gesundheitsfolgen existiert.

Auch für die am havarierten Kernkraftwerk beschäftigten Arbeiter geht die Hauptgefahr von der Kontamination und Inkorporation durch Radioaktivität aus, weshalb sie mit Atemschutzmasken und Schutzanzügen ausgestattet sind, nicht jedoch mit einem Bleischutz. Eine Lehre aus der Tschernobyl-Katastrophe ist, dass das Tragen der Bleischürzen durch die "Liquidatoren" wenig effektiv und eher hinderlich war.

Sollte es doch zu Inkorporationen kommen, bedarf es spezifischer Therapien. Wird zum Beispiel rechtzeitig entdeckt, dass Jod 131 aufgenommen worden ist, kann innerhalb eines - allerdings engen - Zeitfensters mit stabilem Jod eine feste Bindung des radioaktiven Jods im Körper weitgehend verhindert werden. Cäsium 137 wird von dem als Arzneimittel verfügbaren Berliner Blau gebunden und kann damit über die Nieren ausgeschieden werden.

Elektronische Dosimeter zeigen Arbeitern in Fukushima an, wann ihr persönliches Strahlenkonto, gemessen an den gültigen Grenzwerten für diesen Personenkreis, voll ist und sie die Gegend verlassen müssen. "Die Männer der ersten Stunde müssen gewiss lebenslang medizinisch überwacht werden", betont Reiners. Für das jetzige Einsatzpersonal seien jedoch keine Maßnahmen nötig, die über die normale Strahlenschutzüberwachung beruflich exponierter Personen hinausgehen muss. Das gilt unter der Voraussetzung, dass die für diese Personengruppe festgelegten Grenzwerte eingehalten werden.

Reiners warnt vor oberflächlichen Vergleichen zwischen den Folgen des GAU in Tschernobyl und der Katastrophe in Fukushima. So habe der Tschernobyl-Reaktor keinen Sicherheitsbehälter aus Beton gehabt. Die Wasserstoffexplosion hat erhebliche Mengen Radioaktivität in die Atmosphäre freigesetzt. Der Reaktor brannte zehn Tage lang, da die Steuerstäbe aus schwer zu löschendem Graphit waren. 237 Mitarbeiter des Atomkraftwerks in Tschernobyl waren akut strahlenkrank geworden, von ihnen hatten 209 überlebt.

In Fukushima dagegen handele es sich bislang um ein räumlich begrenztes Ereignis. Akute Strahlenerkrankungen gab es nicht. Die zwei Arbeiter, deren Beine mit radioaktiv kontaminiertem Wasser in Berührung gekommen waren, haben keine Strahlennekrosen erlitten, betont Reiners. Manche Medienberichte hätten Verletzungen suggeriert. Nach der Dekontamination und zweitägiger Beobachtung im Krankenhaus wurden beide Arbeiter als gesund entlassen.

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