So hoch ist das HIV-Infektionsrisiko durch Spritzen

Eine Horrorvorstellung für viele Menschen: Man verletzt sich an einer Spritze, die von einem Drogensüchtigen stammt. Doch wie hoch ist eigentlich das Risiko, sich über eine Stichverletzung mit HIV zu infizieren? Die Antwort darauf liefert Dr. Ulrich Baumann von der Medizinischen Hochschule Hannover.

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Eine Spritze auf dem Waldboden: Wenn die Nadel schon eine Weile herumliegt, ist sie kaum noch infektiös, denn das Blut ist bereits geronnen.

Eine Spritze auf dem Waldboden: Wenn die Nadel schon eine Weile herumliegt, ist sie kaum noch infektiös, denn das Blut ist bereits geronnen.

© imagebroker / imago

BIELEFELD (eb). Verletzt sich ein Kind zum Beispiel auf dem Spielplatz an einer Spritze, die von Drogensüchtigen stammt, können Sie den Eltern in puncto HIV-Übertragung Entwarnung geben.

Anders sieht es allerdings aus, wenn sich ein Arzt an der Nadel verletzt, mit der er einen HIV-Infizierten behandelt hat. Dann ist Gefahr im Verzug.

Nadeln auf der Straße kaum infektiös, da sie meist schon eine Weile rumliegen

Etwa 10 bis 15 Prozent der Drogenabhängigen, die sich das Rauschmittel intravenös applizieren, sind HIV-positiv. Trotzdem geht von Spritzen, die auf der Straße oder dem Spielplatz zurückgelassen werden und mit denen sich Kinder stechen, keine Gefahr aus.

"In den letzten 25 Jahren ist keine einzige HIV-Übertragung durch solche Nadelstichverletzungen bekannt geworden", erklärte Privatdozent Dr. Ulrich Baumann von der Medizinischen Hochschule Hannover bei der 107. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) in Bielefeld.

Die Nadeln seien kaum infektiös, da sie meist schon eine Weile herumliegen. In dieser Zeit ist das Blut geronnen. Und ist es erst einmal geronnen, gelangt es praktisch nicht mehr in den Körper des verletzten Kindes.

Gefahr von Infektion mit Hepatitis-Viren

Jedoch ist das Risiko einer Infektion mit Hepatitis-B- oder -C-Viren durchaus vorhanden. "Deshalb hier bitte den Impfstatus überprüfen, genauso wie den von Tetanus", sagte Baumann.

Eltern kann außerdem angeboten werden, Titerkontrollen von Hepatitis B und C durchzuführen.

Risiko beträgt 1:300

HIV-Infektionen durch Nadelstichverletzungen am Arbeitsplatz kommen dagegen viel häufiger vor - jedoch nicht unbedingt in der Kinderheilkunde.

"Das Risiko, sich hier mit HIV zu infizieren, ist in etwa so hoch wie mit dem Flugzeug abzustürzen", erläuterte Baumann. Das mittlere Risiko ist eine Infektion auf 300 Nadelstichverletzungen.

Wenn Nadeln tief eindringen, ist Gefahr besonders hoch

HI-Viren treten innerhalb von Minuten durch die Schleimhaut. Innerhalb von zwei Stunden binden die Viren an die Wirtszelle, innerhalb von zwölf Stunden ist die RNA in die Wirtszelle eingedrungen, nach 24 Stunden folgt die erste Virusreplikation, und nach 72 Stunden erfolgt die spezifische Immunantwort.

Die Gefahr einer Übertragung ist besonders hoch, wenn die verwendeten Nadeln großkalibrig sind, sie tief eindringen, wenn außen Blut vorliegt und das Blut aus der Spitze in die Wunde gedrückt wird. Ebenso erhöht eine große Virusmenge des Patienten die Gefahr einer Infektion.

Eine Schleimhautexposition ist zwar weniger riskant, jedoch haben sich auch schon Menschen durch Blutspritzer in das Auge infiziert.

Erste Maßnahme: An Einstichstelle drücken

Was also ist zu tun, wenn man sich eine Nadelstichverletzung zugezogen hat und der Indexpatient HIV-positiv ist? Zunächst sollte die Umgebung der Einstichstelle möglichst schnell gedrückt werden, sodass das Blut zurückfließt.

Danach sollten desinfizierende Lösungen aufgetragen werden. Und bei Schleimhautexposition sollte die Stelle möglichst schnell gewaschen werden, etwa mit Seife.

Rasch handeln

In beiden Fällen muss möglichst rasch entschieden werden, ob eine Postexpositionsprophylaxe durchgeführt wird, die aus einer der Standardtherapien über vier Wochen besteht.

"Sie ist am erfolgreichsten, wenn sie innerhalb von zwei Stunden begonnen wird, spätestens jedoch nach 24 Stunden", berichtete Baumann.

Zur Not kann sie auch noch nach zwei oder drei Tagen angewendet werden. "Nach drei Tagen hat man dann allerdings keine Chance mehr."

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