Mit eigenen Mitteln geschlagen

Wie Herpesviren das Immunsystem austricksen

Wissenschaftler haben herausgefunden, wie das Kaposi-Sarkom-assoziierte Herpesvirus gezielt ein Protein seines Wirts für die Infektion nutzt. Das Protein ORF20 programmiert das Immunsystem zu den Viruszwecken um.

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Modell von Kaposi-Sarkom-Viren, auch als HHV-8 bezeichnet. Die Viren sind in allen Kaposi-Sarkomen zu finden.

Modell von Kaposi-Sarkom-Viren, auch als HHV-8 bezeichnet. Die Viren sind in allen Kaposi-Sarkomen zu finden.

© Kateryna_Kon / stock.adobe.com

BRAUNSCHWEIG. Jeder Mensch wird im Laufe seines Lebens mit mindestens einem der neun Vertreter der humanen Herpesviren infiziert. Dabei gelinge es dem Immunsystem gesunder Menschen in den meisten Fällen, die Herpesviren im Zaum zu halten, und es komme selten zur Entwicklung schwerer Krankheitssymptome, erinnert das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig.

Doch die Familie der Herpesviren hat sich ihrem Wirt hervorragend angepasst. Die Viren manipulieren sein Immunsystem auf vielfältigste Weise und schaffen es, lebenslang im Wirt zu bleiben. Ist das Immunsystem geschwächt, können sich die Herpesviren vermehren und so schwere Komplikationen, unter anderem Krebserkrankungen, verursachen.

Ausnutzung des Wirts

Ein Team des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) hat nun entdeckt, dass ein Protein des Kaposi-Sarkom-assoziierten Herpesvirus (KSHV) eine Komponente des Immunsystems für die eigenen Zwecke nutzt (PLOS Pathogens, 2018; 14(3): e1006937). Dies ermöglicht es dem Virus, seinen Wirt erfolgreich zu infizieren.

Das Kaposi-Sarkom-assoziierte Herpesvirus (KSHV) gehört zur Familie der humanen Herpesviren. KSHV ist ein Tumorvirus, das drei verschiedene Krebsarten auslösen kann: das Kaposi-Sarkom, ein Krebs der Blutgefäße, das primäre Effusionslymphom, ein Krebs der weißen Blutzellen, und die Castlemann'sche Krankheit, eine Erkrankung der Lymphknoten.

Das Kaposi-Sarkom tritt besonders häufig bei Aids-Patienten auf, deren Immunsystem durch die Infektion mit dem Humanen Immundefizienz-Virus 1 (HIV-1) stark geschwächt ist. Ein Impfstoff gegen das Kaposi-Sarkom-assoziierten Herpesvirus existiert bislang nicht. Auch die Mechanismen, mit denen dieses Virus seinen Wirt manipuliert und zur Entstehung von Krebs führt, sind nicht vollständig aufgeklärt, heißt es in der Mitteilung des HZI.

"Um Infektionen mit diesem Herpesvirus erfolgreich behandeln zu können, müssen wir im Detail verstehen, wie es unser Immunsystem steuert", wird Professor Melanie Brinkmann in der HZI-Mitteilung zitiert. Brinkmann leitet am Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung die Arbeitsgruppe "Virale Immunmodulation" und hat eine Professur an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) inne.

Protein verändert Funktion

Um Einblicke zu erhalten, wie das KSHV der Immunkontrolle entgeht, hat Brinkmanns Forschungsgruppe ein bislang wenig charakterisiertes Protein dieses Virus untersucht – das Protein ORF20. Durch massenspektrometrische Analyseverfahren fanden die Forscher heraus, dass ORF20 mit einem speziellen Wirtsprotein der angeborenen Immunabwehr einen Komplex bildet.

"Eigentlich dient dieses Wirtsprotein, OASL genannt, der Wirtsabwehr, es hat also eine antivirale Funktion", sagt Dr. Kendra Bussey, Wissenschaftlerin in Brinkmanns Team und Erstautorin der Studie. "Wir konnten jedoch erstmalig zeigen, dass OASL im Kontext der KSHV-Infektion eine provirale Funktion hat – es begünstigt also den Infektionsverlauf anstatt ihn aufzuhalten."

Mithilfe genetisch veränderter Viren konnten die Wissenschaftler zeigen, dass OASL allerdings nur dann proviral wirken kann, wenn das Virusprotein ORF20 vorhanden ist. "Dies zeigt, dass das KSHV seinen Wirt geschickt zu seinen Gunsten manipulieren kann, ihn sozusagen mit seinen eigenen Mitteln schlägt", sagt Bussey.

Diese Forschungen haben Melanie Brinkmann und ihr Team im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Sonderforschungsprogramms (SFB900) durchgeführt. In Zukunft wollen sie in Kollaboration mit Wissenschaftlern des HZI und der MHH im Detail verstehen, welche weiteren Schalthebel der zellulären Immunabwehr das KSHV bedient, um diese Verteidigung zu umgehen.

"Dadurch werden wir neue Einblicke in das Zusammenspiel zwischen dem Virus und seinem Wirt erhalten und hoffentlich nachvollziehen können, wie dieses Virus durch die Manipulation der Immunantwort zur Entstehung von Krebs beiträgt", so Brinkmann. (eb)

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