Vancomycin-resistente Keime sorgen im Tübinger Klinikum für Probleme

TÜBINGEN (ars). Weltweit treten seit einigen Jahren vermehrt Bakterienstämme auf, die gegen gängige Antibiotika unempfindlich sind. Besonders in Krankenhäusern birgt dies für Patienten mit geschwächter Immunabwehr eine große Gefahr. Zur Zeit hat das Universitätsklinikum Tübingen mit einem Ausbruch Vancomycin-resistenter Enterokokken zu kämpfen.

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Als Gegenwehr hat eine Arbeitsgruppe des Interdisziplinären Zentrums für Infektionsmedizin in Tübingen ein Bündel strikter Hygiene-Maßnahmen zusammengestellt, die jetzt bei einem Expertengespräch vorgestellt worden sind.

Ein Prozent der Bevölkerung hat resistente Keime im Darm

Um die weitere Verschleppung der Bakterien zu verhindern, erhalten Keimträger allein oder zu mehreren ein gesondertes Zimmer, Angehörige müssen sich vor dem Betreten die Hände desinfizieren, einen grünen Kittel und Gummihandschuhe überziehen. Ärzte und Pflegekräfte haben ebenfalls aufwendige Sicherheitsvorkehrungen zu beachten, und gefährdete Personen werden bei ihrer Aufnahme in die Klinik routinemäßig auf die Keime getestet.

An sich sind Enterokokken gar nicht gefährlich, sie hausen im Darm jedes Menschen, ohne je Schaden anzurichten. Das gilt auch für jene Stämme, die in ihrem Erbgut zusätzlich einen Abschnitt tragen, der sie gegen Vancomycin unempfindlich macht. In ihrer häuslichen Umgebung haben Menschen, ob krank oder gesund, von ihnen nichts zu befürchten. Bei etwa einem Prozent der Bevölkerung hat sich diese Variante in der Darmflora eingenistet, schätzt Professor Ingo Autenrieth vom Institut für Klinische Mikrobiologie.

In Kliniken können harmlose Enterokokken gefährlich werden

Ungemach bereiten die resistenten Enterokokken bloß dann, wenn sie sich in Krankenhäusern ausbreiten - durch einfachen Kontakt, indem man zum Beispiel eine damit besiedelte Toilette benutzt, aber auch über andere Gegenstände, über Staub, Wasser oder Lebensmittel.

Gerade in Kliniken ist nie die Möglichkeit auszuschließen, daß die Mikroben dann auch in die Blutbahn gelangen: durch Spritzen, Katheter, bei Operationen. Geschieht dies bei einem Menschen, dessen Immunabwehr geschwächt ist, etwa durch hohes Alter oder Krankheit, durch Zytostatika oder nach einer Transplantation, kann es zu Harnwegs- oder Wundinfektionen, Bauchfellentzündung bis hin zu Sepsis kommen. Dies ist um so schwerwiegender, als die Erreger gefeit sind gegen das Medikament, das die Ärzte als einen der letzten Nothelfer einsetzen, wenn alle übrigen Antibiotika versagt haben.

Nun haben die resistenten Enterokokken das Tübinger Universitätsklinikum verstärkt ereilt, vor allem Medizinische und Kinderklinik: Lag die Zahl der Infektionen seit dem vorigen Sommer stabil unter zehn pro Monat, so stieg sie im Januar sprunghaft auf 31, wahrscheinlich als Folge einer unglücklichen Verkettung von Zufällen. Auch andere Kliniken haben gelegentlich damit zu kämpfen.

Autenrieth hat in jüngster Zeit von Ausbrüchen in den Universitätskliniken Münster und Freiburg erfahren. Ein genauer Überblick fehlt jedoch, weil keine Meldepflicht besteht, und Epidemien daher nur informell mitgeteilt werden. Das müßte sich ändern, so Autenrieth, denn die Erreger werden in Zukunft immer häufiger zum Problem.

Dabei glaubten Experten das Problem schon überwunden, nachdem 1996 das in der Tiermast verwendete Antibiotikum Avoparcin verboten worden war. Dadurch waren ebenfalls Vancomycin-unempfindliche Darmbakterien herangezüchtet worden.

Angesichts der neuen Sachlage machen Tübinger Klinikum und Gesundheitsamt durch Schulungen Gegenmaßnahmen weithin bekannt. Dazu gehört zum Beispiel auch, die Patienten möglichst bald zu entlassen - denn im freien Wettbewerb mit dem Wildtyp haben die mit ihrer Resistenz beschwerten Erreger langfristig keine Chance.

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