Hygieneskandal in Mainz

Kamen die Keime aus der Apotheke?

MAINZ (nös). Nach dem Tod von drei Säuglingen an der Uniklinik Mainz ermittelt die Staatsanwaltschaft. Die Kinder hatten Infusionen erhalten, die offenbar mit Darmbakterien verunreinigt waren. Im Zentrum der Ermittlungen steht die Klinikapotheke.

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Die Ermittlungsgruppe um den leitenden Oberstaatanwalt Klaus-Peter Mieth (Mitte) hat die Klinikapotheke im Visier.

Die Ermittlungsgruppe um den leitenden Oberstaatanwalt Klaus-Peter Mieth (Mitte) hat die Klinikapotheke im Visier.

© dpa

Klinik und Staatsanwaltschaft sahen sich am Montag mit einer Überzahl an Fragen konfrontiert. In zwei Pressekonferenzen versuchten sie, Antworten zu finden. Antworten darauf, wie die Keime in die Infusionen kommen konnten, nach deren Verwendung bereits am Wochenende zwei Säuglinge starben und noch immer vier Kleinkinder intensiv behandelt werden müssen.

Update: Ein weiteres Kind, dessen Zustand kritisch war, ist am Montagabend verstorben, wie die Uniklinik am Dienstagmorgen in Mainz mitteilte.

Den Anfang machte die Staatsanwaltschaft am Montagmorgen. Die Verunreinigung sei vermutlich über die Schläuche einer Mischapparatur in die Infusionen gelangt, sagte der leitende Oberstaatsanwalt Klaus-Peter Mieth in Mainz. "Das ist der einzige Teil, mit dem die Mitarbeiter in Kontakt kommen. Der Rest läuft vollautomatisch und steril." Und weiter: "Wir gehen davon aus, dass die Verunreinigung in der Klinik stattgefunden hat."

Eine Verkeimung der Grundlösungen schloss Mieth bereits aus. Die Produkte, die die Klinik von verschiedenen Herstellern beziehe, seien bereits Anfang März geliefert worden. "Wären sie verunreinigt, hätte es längst Meldungen aus anderen Kliniken geben müssen." Die Ermittlungen konzentrierten sich zunächst auf die Uniklinik und dort speziell auf die Apotheke, so Mieth.

"Wenn allerdings doch die Grundkomponenten verunreinigt waren, ist die Uniklinik raus." Dafür müsse man nun aber auf die Ergebnisse der mikrobiologischen Untersuchungen warten.

Eine 18-köpfige Sonderkommission hat bereits am Sonntag die Arbeit aufgenommen. Ermittelt wird laut Staatsanwaltschaft wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung. Im ersten Fall drohen bis zu fünf Jahre Haft.

Die Keimbelastung in den Infusionen, mit denen insgesamt elf Kinder versorgt worden waren, sei am späten Samstagvormittag entdeckt worden, sagte Mieth. Routinemäßig würden in der Klinikapotheke von den Infusionen Rückstellproben kultiviert. Die Ärzte hätten nach dem Fund sofort eingegriffen und die Infusionen abgehängt. Alle Kinder seien mit dem Verdacht auf Darmbakterien antibiotisch behandelt worden.

Am Wochenende seien bereits die Patientenakten sichergestellt worden, so Mieth. "Das sind alles zusammen etwa 30 Leitz-Ordner." Man brauche nun Zeit, um das Material zu sichten. In den nächsten Tagen sollen erste Vernehmungen des Apotheken- und Stationspersonals folgen.

Ein Problem gebe es allerdings bei der Obduktion der Leichen. "Die Keime, nach denen wir suchen, können auch durch natürliche Fäulnisprozesse entstehen", sagte Mieth. Bei Kindern gehe das mitunter sehr schnell. Man habe nun große Hoffnung, dass die Rechtsmedizin in Frankfurt am Main schnell Ergebnisse vorlege. Habe man dann ein Bakterium ermittelt, könne damit auch der Überträger ermittelt werden. Erste Ergebnisse werden Dienstagnachmittag erwartet.

Die Frage, ob die Klinikapotheke denn nach dem Vorfall versiegelt worden sei, verneinte der Oberstaatsanwalt. Die betreffenden Materialien seien sichergestellt worden. Die Klinik arbeite mittlerweile mit alternativen Verfahren und Lösungen anderer Hersteller. Das bestätigte auch die Mainzer Uniklinik.

Dort wurden am späten Montagnachmittag weitere Details bekannt gegeben. Der Klinikdirektor Professor Norbert Pfeiffer bestätigte, dass sich noch immer fünf Kinder in einem kritischen Zustand befinden. "Bei einem müssen wir das Allerschlimmste befürchten." Die Angehörigen würden psychologisch betreut. "Nach wie vor sind wir alle sehr schockiert", so Pfeiffer.

Mittlerweile konnte die Klinik zwei verschiedene Keime in den Infusionslösungen ausmachen. Beide seien aus der Familie der Enterobacteriacea. Bei einem handele es sich nachweislich um Enterobacter cloacae, einen der häufigsten Enterobakterien. Die zweite Art sei wesentlich schwieriger zu ermitteln, eine genaue Bestimmung steht zur Stunde noch aus.

Enterobacter-Bakterien sind natürliche Darmbesiedler. In der Regel führen sie nur extraintestinal zu Infekten. Gesundheitlich bereits schwer angeschlagene Patienten, wie auch die betroffenen Kinder in Mainz, sind davon am ehesten betroffen.

Bei den gestorben Kindern in Mainz wird als mögliche Todesursache eine Bakteriämie durch die kontaminierten Infusionslösungen mit Sepsis diskutiert.

Erstmals gab die Uniklinik am Montag auch Einblick in die Abläufe der Infusionsherstellung. Alle betroffenen Kinder hatten intravenöse Ernährungslösungen erhalten, die individuell für sie hergestellt worden waren.

Die Infusionen, so die Klinik, würden jeden Tag neu verordnet und am Nachmittag in einem Reinraum hergestellt. Gegen 15 Uhr kämen die Beutel auf die Stationen und würden ab 17 Uhr verabreicht. Von den Infusionen würden jedes Mal Rückstellproben angelegt. Die Kultivierung liefert allerdings erst am darauffolgenden Tag Ergebnisse.

Zahlreiche Sicherheitsvorkehrungen in dem Reinraum sollen nach Klinikangaben die Sterilität der Produkte gewährleisten. So wird etwa kontinuierlich die Luft getauscht und auf die Partikel- und Keimbelastung überprüft. Die Mitarbeiter müssten halbstündlich ihre Einmalhandschuhe wechseln.

In den vergangenen zehn Jahren seien so über 90 000 Lösungen hergestellt worden, in denen bei den Kontrollen nie Keime gefunden worden waren.

Lesen Sie dazu auch: Sterilitätsnachweis von Infusionen dauert Tage Keime in Infusionslösung - zwei Säuglinge tot

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