Experten einig

Antibiotika steigern Infektionsrisiken

Antibiotikaverbrauch, Personalmangel, medizinischer Fortschritt und Schlamperei: Es gibt nicht nur eine Ursache für Krankenhauskeime.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Da führt kein Weg dran vorbei: Die Desinfektion der Hände gehört zum A und O der Klinikhygiene.

Da führt kein Weg dran vorbei: Die Desinfektion der Hände gehört zum A und O der Klinikhygiene.

© Klaus Rose

BERLIN. Die Hygienestandards in deutschen Krankenhäusern sinken nicht. Darin waren sich die Fachleute bei einer Podiumsdiskussion zum Abschluss des 6. Nationalen Qualitätskongresses in Berlin fast alle einig.

"Der Standard hat sich verbessert", sagte der Leiter des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin, Professor Axel Kramer. Aber: "Das sterile Krankenhaus gibt es nicht, den keimfreien Patienten ebensowenig."

"Unvermeidbare Kehrseite moderner Medizin"

Noch wisse man zu wenig über die Krankenhausinfektionen, über ihr Ausmaß und ihre Verläufe, hielt Dr. Ilona Kösters-Steinebach vom Verbraucherzentrale Bundesverband dagegen. Deshalb lasse sich auch keine Aussage zur Entwicklung der Hygienestandards in Kliniken treffen.

Krankenhausinfektionen seien die "unvermeidbare Kehrseite moderner Medizin", sagte Professor Franz Daschner aus Freiburg.

Zum einen würden die Patienten älter, ihre Immunabwehr mithin geschwächt. Zum anderen würden die Operationen immer invasiver, Beispiel Knochenmarkspende, was die Patienten "extrem infektionsanfällig" mache.

Daschner nannte auch Zahlen: Auf Allgemeinstationen seien 3,5 Prozent der Patienten von Infektionen mit multiresistenten Keimen betroffen, auf Intensivstationen 15 Prozent.

"Eine Welle kommt auf uns zu"

Das ist nicht weit entfernt von ganz aktuellen Ergebnissen einer Untersuchung der Universitätsklinik Jena. Die hat erste Ergebnisse ihrer Alerts-Studie veröffentlicht, in der die Daten von 40.000 Patienten über die reguläre Surveillance hinaus ausgewertet werden sollen.

Ergebnis der ersten Auswertung: Bei 4,3 Prozent der Patienten seien Krankenhausinfektionen aufgetreten, hat das Klinikum mitgeteilt.

Etwa ein Drittel der Klinikinfektionen sei vermeidbar, hieß es in der Berliner Runde. So müsse der Antibiotikaverbrauch in der Tiermast, aber auch in den Verordnungen niedergelassener Ärzte sinken.

Die Länder müssten das Infektionsschutzgesetz diesbezüglich umsetzen, sagte der FDP-Politiker Lars Lindemann. Die Kontamination der Bevölkerung mit Antibiotika sei eine bevölkerungspolitische Aufgabe, ergänzte Dr. Bernd Metzinger von der Deutschen Krankenhausgesellschaft.

Metzinger warnte vor dem Auftreten neuer Keime neben MRSA. Ihre Zahl sei zwischen 2001 und 2009 um mehr als 1000 Prozent gestiegen. "Da kommt eine Welle auf uns zu", warnte Metzinger.

800 Einrichtungen nehmen an Aktion "Saubere Hände" teil

Personalmangel bei Hygienefachärzten sowie Schlamperei sind ebenfalls Ursachen vermeidbarer Infektionen. "Die Kerle waschen sich zu selten die Hände", grollte Daschner.

Für Professor Sebastian Suerbaum, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie, ergibt sich daraus eine klare Forderung. In jede Klinik gehöre je ein Facharzt für Hygiene und einer für Mikrobiologie, sagte Suerbaum.

Dr. Gerhard Schillinger vom AOK-Bundesverband mahnte alle stationären Einrichtungen zur Teilnahme an der Aktion "Saubere Hände". Bislang nähmen nur 800 stationäre Einrichtungen daran teil.

Es müsse möglich werden, Krankenhäuser mit Hygienedefiziten zu veröffentlichen beziehungsweise aus Verträgen auszuschließen.

Der Personalstand solle zum Qualitätsindikator werden, sagte Schillinger. Zu wenig Personal, das Auslagern von Reinigungsarbeiten und hohe Arbeitsverdichtung in den Kliniken gelten als Hygienerisiken.

Mehr zum Thema
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Der papierene Organspendeausweis soll bald der Vergangenheit angehören. Denn noch im März geht das Online-Organspende-Register an den Start.

© Alexander Raths / Stock.adobe.com

Online-Organspende-Register startet

Wie Kollegen die Organspende-Beratung in den Praxisalltag integrieren