"Heilendes Arsen" gegen Syphilis

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Kleiner Erreger, verheerende Wirkung: Eine mikroskopische Phasenkontrast-Aufnahme von Syphilis-Erregern im Maßstab 1360:1.

Kleiner Erreger, verheerende Wirkung: Eine mikroskopische Phasenkontrast-Aufnahme von Syphilis-Erregern im Maßstab 1360:1.

© Foto: Aribert Jung

FRANKFURT/MAIN (Smi). Heldentaten werden mitunter unter Ausschluss der Öffentlichkeit in einem streng abgeriegelten Forschungslabor vollbracht. Eine solche Heldentat, die zugleich ein Stück Ost-West-Historie wie auch deutsche Medizingeschichte dokumentiert, haben die Dessauer Dermatologen Dr. Klaus Holzegel und Professor Hans-Dieter Göring ausgegraben und aufwendig recherchiert ("Akt Dermatol" 33, 2007, 485).

Es geht um die Synthese des Neo-Salvarsan-Analogons Arsaminol (Neo-Arsoluin) in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) 1946, in einer Zeit also, da sich West- und Ostdeutschland zunehmend voneinander separierten und die Spaltung des Staates einleiteten.

Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs stieg die Zahl der Syphiliskranken in ganz Deutschland beängstigend an, so auch in der SBZ. Allein in Magdeburg wurden täglich bis zu 80 Neuinfektionen gezählt, wie Holzegel und Göring herausgefunden haben. Die Ursachen seien vielfältig gewesen: chaotische Verhältnisse nach dem Krieg, ein mangelhaftes Gesundheitswesen, ein Verfall der Sitten, was seinen Ausdruck in Promiskuität und Prostitution fand.

1909 hatten Paul Ehrlich und Sahachiro Hata eine organische Arsenverbindung synthetisiert, die gegen Syphilis wirkte und die sie Salvarsan, "heilendes Arsen", nannten. Hergestellt wurden das Präparat und später auch das besser verträgliche Neo-Salvarsan durch die Farbwerke Hoechst in Frankfurt am Main. Warum diese den Vertrieb ihres Medikaments in die Ostzone einstellten, konnten die Dessauer Dermatologen nicht mehr rekonstruieren. Tatsache jedoch war, dass Syphilispatienten in der SBZ kaum noch Neo-Salvarsan auf Rezept bekamen, mit der Folge, dass sich die Krankheit rasant ausbreitete.

Studien von Paul Ehrlich brachten Forscher auf die Spur

Ein Zufall leitete im Oktober 1945 die Wende ein. Im Sommer hatte sich der 63-jährige Chemiker Professor Ernst Schmitz im VEB Fahlberg-List in Magdeburg um eine Anstellung beworben. Von 1921 bis 1945 war Schmitz Direktor des Instituts für Physiologische Chemie der Universität Breslau gewesen, hatte aufgrund der Angliederung der damals deutschen Ostgebiete an Polen jedoch seinen Lehrstuhl verloren und Breslau verlassen müssen. In seiner Bewerbung erwähnte er, dass er zwischen 1906 und 1909 mit Paul Ehrlich Arsenverbindungen synthetisiert habe. Beim VEB Fahlberg-List wurde man hellhörig und sprach von einem "Glücksfall für die Ostzone".

Am 15. Oktober 1945 trat Schmitz seinen Dienst in Magdeburg an. Sein Forschungsauftrag war sofort klar umrissen: An einer eigens dafür gegründeten Abteilung sollte Schmitz Neo-Salvarsan synthetisieren und damit die Voraussetzungen für eine industrielle Herstellung des Medikaments in der SBZ schaffen.

25 Mitarbeiter standen ihm hierfür zur Seite. Obwohl kaum Chemikalien und Apparaturen vorhanden waren und Neo-Salvarsan 1945 als das schwierigste chemische Industriepräparat überhaupt galt, gelang es Schmitz und seinem Team innerhalb eines Dreivierteljahres, die ersten fünf Kilogramm des Medikaments fertig zu stellen. Das Produkt erhielt den Namen Arsaminol, später Neo-Arsoluin, da der Name Neo-Salvarsan gesetzlich geschützt war. Als die Produktion im VEB Fahlberg-List anlief, konnten jährlich fünf Millionen Ampullen Arsaminol hergestellt werden, was den Bedarf in der Ostzone deckte.

Zwei Dermatologen machten die Geschichte öffentlich

Vielleicht wäre diese Geschichte einer Entdeckung nie öffentlich geworden, wenn nicht Professor Heinz Gartmann, Oberarzt an der Karl-Marx-Uni Leipzig und später an der Uni Köln, seinen Kollegen Holzegel und Göring davon erzählt hätte. Er nannte die Synthetisierung von Arsaminol "eine wirkliche Heldentat, die zur raschen Eindämmung der zahllosen Syphilisinfektionen in der SBZ führte". Schon 1948 hatte sich durch den Einsatz von Arsaminol die Zahl der Infektionen in der Besatzungszone halbiert. Gab es 1946 dort noch 28 700 Betten für Patienten mit Geschlechtskrankheiten, so waren es zwei Jahre später nur noch 7300.

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