Interview

"Migranten einmal auf Hepatitis B testen!"

Die Herkunftsländer vieler Migranten haben oft eine hohe Hepatitis-B-Prävalenz. Professor Claus Niederau von der Deutschen Leberhilfe e.V. plädiert dafür, speziell bei Migranten zumindest einmal eine HepatitisSerologie anzufordern.

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"Migranten einmal auf Hepatitis B testen!"

© privat

Prof. Claus Niederau

Aktuelle Position: Direktor der Klinik für Innere Medizin, Katholische Kliniken Oberhausen

Werdegang/Ausbildung: 1973 - 1979 Medizinstudium an der Uni Düsseldorf; 1979 Approbation, 1987 FA für Innere Medizin; 1988 Habilitation; 1989 Bezeichnung "Gastroenterologie"

Karriere: 1983 - 1985 Fellow an der University of California; 1986 - 1988 Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Medizinischen Klinik und Poliklinik der Uni Düsseldorf; 1989 - 1998 Oberarzt der Abteilung für Gastroenterologie an der Uni Düsseldorf

Mitgliedschaften: seit 2007 im Vorstand der Deutschen Leberstiftung, seit 1999 Vorstandsmitglied der Deutschen Leberhilfe

Ärzte Zeitung: Die Deutsche Leberhilfe möchte zum Welt-Hepatitis-Tag speziell für die chronische Hepatitis B sensibilisieren. Wie häufig ist diese Erkrankung in Deutschland?

Professor Claus Niederau: Wir gehen davon aus, dass in Deutschland etwa 500.000 Menschen mit chronischer Hepatitis B leben. Genaue Zahlen gibt es nicht, und die Dunkelziffer ist hoch.

Zwei Drittel der Betroffenen in Deutschland sind Migrantinnen und Migranten der ersten Generation aus der Türkei, Asien, der ehemaligen Sowjetunion, Afrika und den Mittelmeerländern. Nur ein Drittel ist in Deutschland geboren.

Bei den in Deutschland geborenen Patienten gehört ein Großteil zu einer der klassischen Risikogruppen, also Menschen mit häufig wechselnden Sexualpartnern, Drogenabhängige und Angehörige medizinischer Berufe.

Ärzte Zeitung: Die Deutsche Leberhilfe plädiert für ein Risikogruppen-adaptiertes Labor-Screening auf chronische Hepatitis B. Warum?

Niederau: Die chronische Hepatitis B ist eine zwar größtenteils nicht heilbare, aber dennoch sehr gut behandelbare Erkrankung. Mit der fortgeschrittenen Leberzirrhose und dem hepatozellulären Karzinom kann sie Folgen haben, die nicht mehr reversibel sind, wenn sie einmal eingetreten sind.

Deswegen darf man diese Erkrankung nicht übersehen. Nun ist es bei Lebererkrankungen leider so, dass sie lange Zeit ziemlich symptomarm verlaufen. Das typischste Symptom für Lebererkrankungen ist Müdigkeit.

Das hilft in der Praxis nicht weiter. Und der Ikterus ist ein Spätsymptom, so weit sollte es eigentlich nicht kommen. Es macht deswegen Sinn, den Menschen, die ein gewisses Risiko haben, eine Hepatitis-Serologie anzubieten.

Ärzte Zeitung: Wie könnte eine solche Früherkennung konkret aussehen?

Niederau: Zunächst einmal sollten Menschen, bei denen erhöhte Transaminasen auffallen, auf eine chronische Hepatitis hin untersucht werden, und zwar unabhängig davon, wie stark die Transaminasen erhöht sind. Wenn einmalig erhöhte Transaminasen-Werte beispielsweise nach der Einnahme von Antibiotika auftreten, dann kann man das kontrollieren.

Es darf aber nicht sein, dass Menschen jahrelang damit herumlaufen, ohne dass jemals eine Hepatitis-Serologie angefordert wird. Das ist das eine. Das zweite ist, dass Risikogruppen konsequent auf eine chronische Hepatitis hin untersucht werden sollten.

Ärzte Zeitung: Unabhängig davon, ob die Transaminasen erhöht sind oder nicht?

Niederau: Ja. Es gibt eine größere Gruppe von Patienten mit chronischer Hepatitis B, die normale Leberwerte haben. Und deswegen macht es bei Risikogruppen Sinn, auch ohne erhöhte Transaminasen zu testen. Das gilt ganz besonders für die schon angesprochenen Migranten. Die haben sich fast alle in ihrem Herkunftsland infiziert.

Das heißt: Es reicht, wenn diese Menschen ein einziges Mal eine Hepatitis-Serologie bekommen. Ist die negativ, dann ist das Risiko einer chronischen Hepatitis genauso niedrig wie für alle anderen, die hier leben. Es gibt übrigens einige Länder, in denen eine Hepatitis-Serologie bei Migranten aus bestimmten Ländern obligat verlangt wird.

Das hilft den Betroffenen, weil die Erkrankung gut behandelbar ist. Es hilft aber auch den Mitmenschen. Denn anders als bei der chronischen Hepatitis C, bei der die Gefahr einer Übertragung von Mensch zu Mensch gering ist, korreliert das Übertragungsrisiko bei der chronischen Hepatitis B deutlich mit der Virusmenge.

Ärzte Zeitung: Wann wird es Therapien geben, die die chronische Hepatitis B heilen können?

Niederau: Wir haben derzeit bei Patienten, die viele Jahre lang medikamentös therapiert werden, eine Heilungsquote von vielleicht fünf Prozent. Das ist weit entfernt von dem, was wir bei der chronischen Hepatitis C erreichen.

Ärzte Zeitung: Warum?

Niederau: Wir haben hervorragende Therapien, mit denen sich die Hepatitis B dauerhaft gut kontrollieren lässt. Bei den neueren Präparaten ist die Gefahr einer Resistenzentwicklung zumindest in den Zeiträumen, die wir bis jetzt überblicken, minimal. Dazu kommt, dass die Behandlung praktisch keine unerwünschten Wirkungen hat. Viel besser geht es kaum.

Auch deswegen ist es so wichtig, Patienten mit chronischer Hepatitis B zu erkennen. Wir können diesen Menschen wirklich etwas anbieten. Eine chronische Hepatitis B ist heute keine Diagnose mehr, vor der man sich fürchten müsste.

Ärzte Zeitung: Wie zufrieden sind Sie mit den Impfquoten bei der Hepatitis-B-Impfung in Deutschland?

Niederau: Die könnten schon noch besser sein. Was gut funktioniert, ist die Impfung der Kinder. Hier erreichen wir bei der Hepatitis B ähnliche Quoten wie bei den anderen Impfungen. Aber in der Pubertät fängt das Problem an.

Eigentlich müsste der Impfstatus bei den Jugendlichen zu Beginn der Pubertät nochmals kontrolliert werden. Das passiert nur teilweise, weil viele Kinder in diesem Alter gar nicht mehr zur Vorsorge erscheinen. Was die Impfungen von Risikogruppen angeht, sind wir auch noch nicht am Ziel.

Derzeit dürfte hier etwa die Hälfte derer geimpft sein, die eigentlich geimpft sein sollten. Wir wollen aber nicht nur lamentieren. Es ist schon viel erreicht worden - bei den Impfungen, aber auch beim Testen. Die HepatitisSerologie wird von Ärzten heute sehr viel häufiger angefordert als noch vor einigen Jahren. Das ist gut, aber wir können noch besser werden.

Das Gespräch führte Philipp Grätzel von Grätz.

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