Interview

"Trend zu acht Wochen HCV-Therapie"

Wenn heute über die chronische Hepatitis C diskutiert wird, dann hauptsächlich über besonders schwer zu behandelnde Patienten. Auch für sie gibt es Therapieoptionen. Doch ihre Zahl wird abnehmen, weil die weitaus meisten HCV-Patienten früh geheilt werden können. Professor Stefan Zeuzem von der Uniklinik in Frankfurt rät: Nicht warten mit der Viruseradikation, bis die Grunderkrankung fortgeschritten ist!

Dr. Thomas MeißnerVon Dr. Thomas Meißner Veröffentlicht:
HCV-positiv: Die Heilungsraten bei therapienaiven, nichtzirrhotischen Patienten liegen inzwischen über 98 Prozent.

HCV-positiv: Die Heilungsraten bei therapienaiven, nichtzirrhotischen Patienten liegen inzwischen über 98 Prozent.

© jarun011 / Fotolia

Ärzte Zeitung: Herr Professor Zeuzem, die antivirale Therapie bei HCV-Infektion erfolgt inzwischen Interferon-frei. Gibt es noch Patientengruppen, die Interferon benötigen?

Prof. Stefan Zeuzem

Prof. Stefan Zeuzem

© privat

Professor Stefan Zeuzem: Nein. Es gibt aber leider noch Länder wie Finnland, wo aus völlig unverständlichen Gründen HCV-Infizierte immer noch mit Interferon und den damit assoziierten Nebenwirkungen behandelt werden sowie arme Länder, in denen das aus finanziellen Gründen geschieht. Tatsache ist: Es existiert heute weder eine medizinische noch eine wirtschaftlich zu begründende Indikation für Interferon. In Ländern mit fehlenden finanziellen Ressourcen stehen Generika zur direkt antiviralen Behandlung zur Verfügung.

Ribavirin spielt in diversen Regimen weiterhin eine Rolle. Wie lange noch?

Es gibt einzelne Indikationen, bei denen Ribavirin eine sinnvolle Ergänzung der direkt antiviral wirkenden Medikamente darstellt. Das sind Patienten mit schwer zu eradizierenden HCV-Genotypen oder Virusmutanten, die vergleichsweise weniger sensitiv auf die verfügbaren antiviralen Medikamente ansprechen.

Gleichwohl wird Ribavirin künftig immer weniger benötigt werden, nicht nur, weil die antiviralen Regime zunehmend besser wirken. Die Zahl schwer zu behandelnder Patienten, zum Beispiel mit fortgeschrittener Leberzirrhose, wird mit der Zeit abnehmen, weil wir inzwischen so viele HCV-infizierte Menschen frühzeitig behandeln und heilen können.

Was bedeutet "Heilung" in diesem Zusammenhang?

Gemeint ist "infektiologische Heilung", das Virus wird eradiziert. Besteht bereits eine Zirrhose, so ist diese damit natürlich nicht beseitigt. Wir werden in Zukunft sehen, welche der Patienten mit kompensierter und dekompensierter Leberzirrhose sich nach der Viruseradikation wie rasch bessern. In Einzelfällen, bei weit fortgeschrittener Leberzirrhose, kommen wir leider zu spät.

Wann muss Ihrer Meinung nach behandelt werden, um nicht zu spät zu kommen?

Wir sollten, und das ist mir wirklich wichtig, uns anstrengen, bei jedem Patienten frühestmöglich HCV zu eradizieren. Je früher wir das schaffen, desto größer ist die Chance, den Patienten tatsächlich zu heilen. Gerade weil viele Patienten unter HCVassoziierten Komorbiditäten wie Diabetes, Leberzirrhose oder Nierenerkrankungen leiden, sollten wir auf keinen Fall warten, bis diese Krankheitsbilder fortgeschritten sind.

Die Behandlungsdauer hat sich im Vergleich zur Interferon-Ära signifikant verkürzt. Kann mit einer weiteren Verkürzung gerechnet werden?

Die Therapiedauern liegen heute bei der großen Mehrheit der Behandlungsregime zwischen acht und zwölf Wochen. Der Trend geht für immer mehr HCV-infizierte Patienten in Richtung acht Wochen.

Die Heilungsraten bei therapienaiven, nichtzirrhotischen Patienten liegen bei über 90 Prozent...

Wir liegen inzwischen sogar über 98 Prozent. Diejenigen, die wir nicht heilen können, sind in der Regel Patienten mit Compliance-Problemen oder – und das ist die große Ausnahme – Patienten mit einem primär resistenten Virus. Es wäre aber nicht kosteneffektiv, primär eine Resistenztestung bei jedem Patienten vorzunehmen, eben weil dies so selten vorkommt. Das ist jenen Patienten vorbehalten, die tatsächlich eine antivirale Zweittherapie benötigen. In einer großen US-amerikanischen Studie hat sich als weiterer, häufiger Grund für Therapieversagen ein nicht leitliniengerechtes Verschreiben der antiviralen Medikamente herausgestellt. Es werden also für den jeweiligen HCV-Genotyp die falschen Medikamente verordnet oder die Therapiedauer wird falsch gewählt. Ich hoffe, das ist in Deutschland nicht der Fall.

Nun stellt sich die antivirale Differenzialtherapie recht komplex dar. Können das nur spezialisierte Gastroenterologen in Zentren leisten?

Ich meine, das hängt nicht am Facharztstatus, sondern am persönlichen Engagement, an der persönlichen Ausbildung und Erfahrung der Kolleginnen und Kollegen. Ich kenne Allgemeinmediziner, die hoch verantwortungsbewusst und erfolgreich die antivirale Therapie bei chronischer Hepatitis C vornehmen. Ich kenne angesehene Chefärzte, die sich nicht ausdrücklich mit dieser Materie beschäftigt haben. Allein das ist jedoch Voraussetzung dafür, differenzialtherapeutisch die richtigen Maßnahmen einzuleiten und die Patienten erfolgreich behandeln zu können. Und wenn Patienten weit entfernt von einem Zentrum leben, kann dies gerne in enger Kooperation abgewickelt werden. Da brauchen wir noch nicht mal Telemedizin! Ein Telefon reicht völlig, um verantwortungsvoll und zum Wohle des Patienten agieren zu können.

Zum Wohle des Patienten soll gehandelt werden, aber auch wirtschaftlich angemessen. Wie machen Sie das an Ihrer Klinik?

Selbst bei einem nur acht- bis zwölfwöchigen Therapieregime sollte die Medikation nicht über den gesamten Zeitraum verschrieben werden. Es gibt immer wieder Situationen, in denen die Patienten nicht in der Lage sind, die Medikamente weiter zu nehmen, sei es wegen unerwünschter Arzneimittelwirkungen oder wegen Schicksalsschlägen wie Unfällen und anderen Dingen. Wir geben daher ausschließlich Rezepte für N1-Packungen aus, also für 28 Tage. Die notwendigen Folgetermine lassen sich für die klinische und labortechnische Kontrolle sowie für die Motivation des Patienten nutzen. Ich bin überzeugt, dass diese Politik an unserem Zentrum mit ein Grund für die bei uns sehr hohen Ansprechraten ist.

Leberspezialisten haben sich Anfang Juni bei Ihnen in Frankfurt beim Viral Hepatitis & Liver Disease Congress getroffen. Welche Themen werden aktuell unter Experten diskutiert?

Dort ging es, wenn man so will, um das Feintuning der einzelnen medikamentösen Regime: Welches ist für welche Patientenpopulation am besten, um die wirklich höchsten Heilungschancen in der Ersttherapie zu erzielen? Wie behandle ich jene wenigen unglücklichen Patienten, die bei der Ersttherapie nicht geheilt werden? Es ging um Patienten mit fortgeschrittener Niereninsuffizienz, um Patienten mit dekompensierter Leberzirrhose, transplantierte und koinfizierte Patienten. Auch für diese, im Übrigen immer kleiner werdenden Gruppen gibt es Optionen. Deutlich wurde, dass in den einzelnen Regimen sorgfältig auf mögliche Arzneimittelinteraktionen geachtet werden muss.

Kürzlich wurde berichtet, dass sich unter antiviraler Therapie bei HCV-infizierten Diabetes-Patienten die Insulinresistenz deutlich bessert. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Das ist in der Tat so. Und das ist besonders für Insulin-therapierte Diabetes-Patienten bedeutsam. Denn die Insulindosis kann und muss unter erfolgreicher antiviraler Therapie angepasst werden. Diabetespatient und behandelnder Arzt sollten also unter dem Gesichtspunkt der antiviralen Behandlung den Blutzucker genau beobachten.

Sind weitere medikamentöse Neuentwicklungen zu erwarten?

Die Pharmaunternehmen haben die Entwicklung weiterer Anti-HCV-Medikamente weitgehend eingestellt. Die vorhandenen Wirkstoffe werden in noch laufenden klinischen Studien fertigentwickelt. Ansonsten bieten die verfügbaren multiplen Therapieregime in nahezu jeder denkbaren Konstellation eine Heilungschance.

Sie sprachen bereits die Zirrhose an. Inwiefern ist die Hoffnung berechtigt, dass sich bestehende strukturelle Veränderungen der Leber unter und nach der antiviralen Therapie zurückbilden?

Für alle Lebererkrankungen ist bewiesen worden, dass, wenn die Grunderkrankung exzellent behandelt wird, es zu einer Normalisierung der Syntheseleistungen und der Entgiftungsfunktion des Organs kommen kann. Die portale Hypertension ist rückläufig und das Risiko für die Entwicklung eines hepatozellulären Karzinoms (HCC) nimmt ab. Festzuhalten ist aber auch: Bei HCV-Patienten mit bereits bestehender Leberzirrhose sinkt das HCC-Risiko bei erfolgreicher Viruseradikation zwar um immerhin etwa 70, aber eben nicht um 100 Prozent. Daher ist auch nach Viruseradikation Leitlinien-gerecht eine Überwachung per Sonografie alle sechs Monate erforderlich.

Ist die Bestimmung des Fibrosestadiums vor antiviraler Therapie differenzialtherapeutisch von Bedeutung?

Das kommt auf das jeweilige Therapieregime an. Dennoch muss sich jeder Kollege, der sich mit diesen Patienten befasst, vor Therapiebeginn darüber im Klaren sein, ob bereits ein fortgeschrittenes Fibrosestadium oder eine Zirrhose vorliegt. Da geht es nicht nur um die richtige Medikamentenauswahl und um die korrekte Therapiedauer, sondern auch darum, dem Patienten von vornherein sagen zu können, ob er nach erfolgreicher Viruseradikation einer entsprechenden HCC-Überwachung bedarf.

Ab wann steht eigentlich fest, ob ein antiviral behandelter Hepatitis-C-Patient auf die jeweilige Therapie anspricht oder nicht?

In der Interferon-Ära haben wir sehr genau die Viruslast beobachtet, weil das die Abbruch-Regeln und die Therapiedauer beeinflusst hat. Das ist heute mit den hochpotenten direkt antiviralen Mitteln nicht mehr erforderlich. Gleichwohl bin ich dafür, dass die Patienten unter der Therapie eine Kontrolle erfahren: Nehmen sie die Medikamente ein und vertragen sie sie? Diese Visiten dienen auch der Motivation und der Compliance-Förderung. Ich halte eine Kontrolle der Leber-Transaminasen für sehr sinnvoll. Damit lässt sich auch auf die Compliance rückschließen. Denn die Leberwerte normalisieren sich üblicherweise sehr rasch. Eine Bestimmung der HCV-RNA führen wir aus Kostengründen unter der Therapie nicht mehr durch.

Professor Stefan Zeuzem

» Aktuelle Position: Direktor der Medizinischen Klinik 1 am Universitätsklinikum Frankfurt / Main, Stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Leberstiftung, Mitglied des Medizinausschusses des Wissenschaftsrats des Bundes und der Länder

» Werdegang: Studium der Medizin in Frankfurt/Main, Cambridge und Newcastle upon Tyne; 1985 Stabsarzt im Bundeswehrkrankenhaus Gießen, 1986 Promotion, Weiterbildung zum Internisten und Gastroenterologen an der Universität Frankfurt; 1992 Habilitation; 1993 Forschungssemester an der Yale University in den USA, 1998 Ernennung zum außerordentlichen Professor; 2002-2006 Direktor der Medizinischen Klinik II am Universitätsklinikum Homburg/Saar; seit 2007 W3-Professor an der Universität Frankfurt / Main und Direktor der Medizinischen Klinik 1.

» Schwerpunkte: Hepatologie (mit Schwerpunkt Virushepatitiden), gastrointestinale Onkologie

Mehr zum Thema

3.500 Todesopfer jeden Tag

WHO-Bericht: 200.000 mehr Hepatitis-Fälle weltweit

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Ulrike Elsner

© Rolf Schulten

Interview

vdek-Chefin Elsner: „Es werden munter weiter Lasten auf die GKV verlagert!“