HINTERGRUND

Werden sich Jungen gegen HP-Viren impfen lassen, nur damit Mädchen besser vor Zervix-Ca geschützt sind?

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Von Philipp Grätzel von Grätz

Wenn eine neue Impfung eingeführt werden soll, ist der Nachweis der Effektivität immer nur das eine. Wurde gezeigt, daß eine Immunreaktion ausgelöst wird und daß diese Immunreaktion auch klinisch einen schützenden Effekt für den Geimpften hat, dann müssen weiterer Fragen beantwortet werden, bevor eine Impfempfehlung ausgesprochen werden kann. Vor allem muß geklärt werden, wer geimpft werden soll und in welchem Alter.

Impfstoffe gegen HPV sollen bald auf den Markt kommen

Am Beispiel der gerade in Entwicklung befindlichen Impfstoffe gegen das humane Papillomavirus (HPV) lassen sich diese Schwierigkeiten gut illustrieren. In mehreren Phase-II-Studien konnte mittlerweile die klinische und immunologische Effektivität von HPV-Impfstoffen belegt werden. Es wird allgemein erwartet, daß die jetzt laufenden Phase-III-Studien die hohen Erwartungen erfüllen und ähnlich positiv verlaufen werden.

Am nächsten an einem Zulassungsantrag ist derzeit der quadrivalente Impfstoff Gardasil™ von Sanofi-Pasteur-MSD, dessen Unterlagen bereits Ende des Jahres bei der Europäischen Zulassungsbehörde EMEA eingereicht werden sollen (wir berichteten). Die Vakzine schützt außer vor den beiden karzinogenen HPV-Varianten 16 und 18 auch vor HPV 6 und 11, den häufigsten Erregern von Genitalwarzen (Condylomata accuminata).

Da HPV durch Haut-zu-Haut-Kontakt beim Geschlechtsverkehr übertragen wird und das Zervixkarzinom der Hauptgrund für die Impfstoffentwicklung ist, ist die Zielgruppe für diese Impfung klar: "Primär sollten Mädchen vor oder in der Pubertät geimpft werden, also vor dem ersten Geschlechtsverkehr", sagte Dr. Eliav Barr vom Unternehmen MSD auf einer Veranstaltung aus Anlaß der 22. Papillomavirus-Konferenz in Vancouver in Kanada.

Um die HPV-Infektionen flächendeckend zurückzudrängen, reiche das aber nicht aus, wie britische Erfahrungen aus den 70er Jahren mit der Rötelnimpfung gezeigt hätten. Der Rötelnschutz wurde in Großbritannien kurzzeitig nur Mädchen empfohlen, bevor dann auch Jungen geimpft wurden.

Barr ist der festen Überzeugung, daß das Potential der HPV-Impfung nur dann ausgeschöpft werden kann, wenn auch Jungen geimpft werden. Nur: Lassen sich pubertierende Jungen aus altruistischen Gründen drei intramuskuläre Spritzen geben? Argumentiert werden könnte mit HPV-assoziierten Analkarzinomen, die auch bei Männern auftreten können.

Auch davor sollte die HPV-Impfung im Prinzip schützen. Betroffen sind aber fast ausschließlich Homosexuelle. Wird es ein männlicher Teenager gerne hören, wenn ihm der Arzt sagt, er möge sich impfen lassen, weil er noch nicht wissen könne, ob er später vielleicht schwul wird?

Bei einer polyvalenten Impfung, die nicht nur gegen HPV 16/18, sondern auch gegen HPV 6 und 11 wirkt, gibt es noch ein anderes Argument, das Jungen besser überzeugen könnte als das einer möglichen Homosexualität. HPV 6 und 11 sind ursächlich für mindestens neunzig Prozent aller Erkrankungen mit Genitalwarzen.

"Genitalwarzen sind in westlichen Ländern ein zunehmendes Problem", sagte Dr. Michael Watson von der Entwicklungsabteilung von Sanofi-Pasteur MSD. Auf etwa ein Prozent werde die Prävalenz von Experten derzeit geschätzt.

Studien belegten zudem, daß es sich auch dank sexueller Freizügigkeit und immer früherer Aufnahme des Geschlechtsverkehrs vor allem um ein Problem von Jugendlichen und jungen Erwachsenen handelt. Weil Genitalwarzen weh tun, mit einer hohen psychischen Belastung verbunden sind und auch Jungen unmittelbar angehen, hält Watson sie für einen guten Hebel, um auch die männliche Hälfte der Bevölkerung von der HPV 16/18-Impfung zu überzeugen.

Diese Auffassung teilt auch der HPV-Experte Dr. John Schiller vom National Cancer Institute in den USA: "Die Kombination mit einer Impfung gegen Genitalwarzen gibt männlichen Jugendlichen einen Grund, sich gegen HPV 16/18 impfen zu lassen, der über den reinen Altruismus hinausgeht".

Jugend-Impfung gegen HPV, Hepatitis und Meningokokken

Schiller kann sich auch eine "Adoleszentenimpfung" vorstellen, die außer einer HPV-Impfung auch die vor allem für Jugendliche und junge Erwachsene relevante Meningokokkenimpfung und die im Moment noch bei Neugeborenen angesiedelte Hepatitis B-Impfung enthält.

Durch diese Kombination, so das Kalkül, könnten die mit einer reinen Impfung gegen eine Geschlechtserkrankung wie HPV verbundenen Akzeptanzprobleme gemindert oder umgangen werden.



STICHWORT

Zervixkarzinom

Die Inzidenz des Zervixkarzinoms ist seit Einführung des zytologischen PAP-Screenings gesunken. Sie liegt derzeit bei 6 bis 10 Neuerkrankungen pro 100 000 Frauen pro Jahr. In Ländern ohne Screeningprogramm ist sie zwei- bis viermal so hoch. Die Sterblichkeit liegt in Europa bei zwei bis drei Todesfällen pro 100 000 pro Jahr. Bei praktisch allen Zervixkarzinomen läßt sich DNA des humanen Papillomavirus nachweisen, das deswegen als alleinige Ursache gilt. HPV 16 und 18 sind zusammen für 70 Prozent aller Zervixkarzinome ursächlich. Ob es bei einer Impfung gegen HPV 16/18 eine gewisse Kreuzimmunität gegen andere kanzerogene HP-Viren gibt, ist derzeit umstritten. Ein Ersatz für das PAP-Screening wäre eine HPV 16,18-Impfung aber nicht. (gvg)

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