Fachärzte raten

Impfen auch bei Angst vor Allergien

Impfen kann Allergien auslösen, denken einige. Doch selbst wenn Patienten allergisch auf bestimmte Impfstoffbestandteile sind, ist das kein Grund, sie nicht zu impfen, betonen Fachärzte.

Von Beate Schumacher Veröffentlicht:
Weder die Sorge, Allergien zu induzieren, noch bestehende allergische Erkrankungen sind nach Ansicht von Fachärzten stichthaltige Argumente gegen das Impfen.

Weder die Sorge, Allergien zu induzieren, noch bestehende allergische Erkrankungen sind nach Ansicht von Fachärzten stichthaltige Argumente gegen das Impfen.

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Kiel. „Impfungen machen nicht allergisch.“ So knapp und klar ist die Botschaft von Privatdozent Dr. Tobias Ankermann vom Uniklinikum Schleswig-Holstein (Campus Kiel) und seinen Kollegen (Allergo J Int 2018; 27(7):234–243).

Die Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin mit dem Schwerpunkt Allergologie beziehen damit eindeutig Stellung gegen anderslautende Befürchtungen, die seit einigen Jahren Konjunktur haben.

Sowohl positive als auch negative Auswirkungen denkbar

Nicht nur bei Patienten und Eltern, auch bei manchen Mitarbeitern im Gesundheitssystem besteht die Sorge, durch die große Zahl von Standardimpfungen die Entwicklung von Allergien zu fördern. Diese Ängste werden laut Ankermann und seinen Kollegen geschürt durch „Fehlinformationen und Fehlinterpretationen“, die über das Internet verbreitet werden.

Tatsächlich hat in den letzten 30 Jahren die Prävalenz atopischer Erkrankungen weltweit zugenommen. Gemäß der Hygiene-Hypothese wird eine Abnahme der Immunstimulation in den ersten Lebensjahren dafür verantwortlich gemacht.

Nach diesem Modell könnten Impfungen sowohl negative als auch positive Auswirkungen haben. Allergiefördernd, weil durch das Ausbleiben von impfpräventablen Erkrankungen die Entwicklung des Immunsystems weniger angeregt wird. Allergieprotektiv, weil in den Impfstoffen enthaltene Antigene das Immunsystem positiv stimulieren können.

Keine Zunahme von Allergien

Betrachtet man die Ergebnisse von epidemiologischen Studien, ergeben sich den Allergologen zufolge keine Belege für eine Risikosteigerung: „In der Synopsis der Daten gibt es keine Evidenz, dass Impfungen bei Risikopatienten oder Patienten ohne Atopiebelastung das Risiko für eine spezifische allergische Sensibilisierung oder die Manifestation allergischer Erkrankungen erhöhen.“

In den meisten Studien habe sich kein verstärkender Effekt gefunden. In einzelnen Studien wurde sogar ein inverser Zusammenhang beobachtet. Beispielsweise war in der deutschen MAS-Studie eine höhere Gesamtzahl von Impfdosen mit einer geringeren Asthmaprävalenz bei Kindern verbunden.

Sogar bei vorbelasteten Kindern – mit atopischer Dermatitis und positiver Familienanamnese für Allergien – ging in einer Studie die Schwere des Ekzems mit der Zahl der Impfdosen zurück.

Einzelne Impfstoffe freigesprochen

Einzelne Impfstoffe, die zeitweise verdächtigt wurden, an der Entstehung von Allergien beteiligt zu sein, werden von den Forschern ebenfalls freigesprochen: So kann etwa bei der Pertussis-Impfung zwar eine transiente IgE-Bildung gegen Impfantigene gemessen werden, eine Zunahme allergischer Erkrankungen wurde aber in keiner Studie festgestellt. Auch die MMR-Impfung hat, alle Studien zusammengenommen, keinen Einfluss auf das Risiko für Allergien.

Impfungen später zu geben als eigentlich vorgesehen, in der Hoffnung, damit das Allergierisiko zu senken, ist den Forschern zufolge nicht sinnvoll: „Es gibt keine Evidenz, dass eine verzögerte Durchführung empfohlener Impfungen vor spezifischen allergischen Sensibilisierungen gegen Umweltallergene oder vor allergischen Erkrankungen oder Neurodermitis schützt.“

Häufigstes Allergen: Hühnereiweiß

Unsicherheit besteht oft auch hinsichtlich des Impfens von Kindern, die eine atopische Disposition oder bereits eine allergische Erkrankung(Asthma, allergische Rhinitis, Nahrungsmittelallergie, atopische Dermatitis) haben.

Ankermann und Kollegen verweisen auf die einschlägigen Leitlinien. Dort wird empfohlen, diese Kinder unter Standardbedingungen zu impfen, also ohne eine obligatorische Nachbeobachtungszeit. Bei akuten Erkrankungen sollte wie sonst auch die Genesung abgewartet werden; über eine Verschiebung von Impfungen aufgrund einer instabilen allergischen Grunderkrankung ist im Einzelfall zu entscheiden.

Bei einer laufenden subkutanen allergenspezifischen Immuntherapie (SCIT) wird geraten, in der Erhaltungsphase zu impfen, und zwar mit größtmöglichem Abstand zwischen zwei SCIT-Injektionen.

Schwieriger wird es bei einer bekannten Allergie gegen Impfstoffbestandteile. Das am häufigsten beschriebene kausale Allergen bei allergischer Impfreaktion ist Hühnereiweiß. Das kann etwa bei MMR- und FSME-Impfungen relevant sein, weil die Impfviren in Hühnerfibroblasten vermehrt werden.

Wie die Forscher berichten, enthalten die Impfstoffe aber nur Spuren von Hühnereiweiß. Kinder, deren Allergie sich ausschließlich an der Haut manifestiert, könnten daher unter Standardbedingungen gegen MMR geimpft werden.

Kontraindiziert bei Menschen mit Hühnereiweißallergie

Kinder mit systemischen Reaktionen sollten dagegen von einem Arzt mit Anaphylaxieerfahrung geimpft und mindestens zwei Stunden überwacht werden. Höhere Konzentrationen an Hühnereiweiß enthalten die Impfstoffe gegen Influenza und Gelbfieber, die mithilfe bebrüteter Hühnereier hergestellt werden.

Die entsprechenden Impfstoffe sind daher in Deutschland bei Patienten mit Hühnereiweißallergie kontraindiziert. Zur Influenzaimpfung von Erwachsenen kann alternativ eine Vakzine genutzt werden, die aus humanen Zelllinien hergestellt wurde.

Von einer prädiktiven Allergiediagnostik im Vorfeld einer Impfung rät das Team dezidiert ab: Selbst wenn eine Sensibilisierung entdeckt wird, sagt das nichts über das Auftreten einer klinisch relevanten Reaktion aus.

Nach einer allergischen Reaktion im Zusammenhang mit einer Impfung wird aber zu einer allergologischen Aufarbeitung geraten. Die Diagnostik sei allerdings „nur dann sinnvoll, wenn weitere Impfungen mit dem Impfantigen oder den potenziell allergenen Bestandteilen indiziert sind“, so die Experten.

Gründliche Anamnese wichtig

Eine gründliche Anamnese umfasst unter anderem den Zeitpunkt der Reaktion, Symptome, Dauer, mögliche Kofaktoren, Impfanamnese und bekannte Allergien. Eine darüber hinausgehende Diagnostik mit Prick- und Serum-IgE-Tests wird nur bei systemischen Sofort-Typ-Reaktionen empfohlen.

„Nach allergischer Reaktion auf eine Impfung sollte die Entscheidung über Folgeimpfungen erst nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abschätzung getroffen werden“, betonen die Allergologen. Wenn möglich, sollte ein Impfstoff gewählt werden, der das identifizierte Allergen nicht enthält.

Ansonsten hängt das Vorgehen von der Art der allergischen Reaktion ab: Kinder mit Impfreaktionen vom verzögerten Typ können erneut unter Standardbedingungen geimpft werden.

Bei ausschließlich lokaler Soforttypreaktion kann die Impfung in der Praxis erfolgen, mit anschließender mindestens einstündiger Überwachung; bei positiver Hauttestung wird zudem die fraktionierte Impfstoffgabe empfohlen.

Bei gesicherter systemischer Soforttypreaktion sollten die fraktionierte Impfung und die Nachbeobachtung in der Klinik erfolgen, anfangs unter Intensivüberwachung.

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