Internationale Erfahrungen

Was für und was gegen die Impfpflicht spricht

Mit einer Impfpflicht steigen die Schutzraten, zeigen die Erfahrungen in Italien und Frankreich. Doch der Zwang alleine führt nicht zu den höheren Quoten: Das Erfolgsrezept liegt eher in anderen Faktoren.

Wolfgang GeisselVon Wolfgang Geissel Veröffentlicht:
Manche Erfahrung aus dem Ausland spricht gegen eine Impfpflicht.

Manche Erfahrung aus dem Ausland spricht gegen eine Impfpflicht.

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Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat ein Gesetz für eine Impfpflicht gegen Masern auf den Weg gebracht. Das Kabinett wird voraussichtlich am 17. Juli die Vorlage beschließen und die Impfpflicht soll ab März 2020 gelten – so dass sie noch vor dem neuen Schuljahr in Kraft treten kann.

Spahn erfährt auch Gegenwind vom Ethikratt. Der hält einen Zwang bei Kindern für überzogen, weist auf die vielen nicht in das Gesetz einbezogenen ungeschützten Jugendlichen und jungen Erwachsenen hin und würde lieber mit Überzeugungsarbeit und Informationskampagnen die Impfraten in Deutschland verbessern.

Allerdings stützt der Rat – wie auch Minister Spahn – eine Impfpflicht für Menschen in medizinischen Berufen.

Dafür gibt es einen breiten Konsens auch bei vielen Experten aus ganz Europa, berichten die Professorinnen Heidemarie Holzmann und Ursula Wiedermann-Schmidt von der Medizinischen Universität Wien. Wegen der großen Impflücken bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen ließen sich mit einer Impfpflicht bei Kindern aber entscheidende Lücken beim Schutz nicht unmittelbar schließen, geben die Präventions-Expertinnen in einem „Editorial“ zu „Pflichtimpfungen in Europa“ zu bedenken (Euro Surveill 2019, 24 (26): pii=1900376).

Nachholimpfungen in schlecht geschützten Altersgruppen seien dringend nötig, die zudem flankiert werden müssten mit vertrauensbildender Kommunikation, Recall-Systemen und elektronischen Impfregistern.

Zwang besonders bei Ausbrüchen angemessen

Pflichtimpfungen halten die Expertinnen eher bei aktuellen Ausbrüchen für erforderlich, um in der Schule bei Kindern und Lehrern oder auch in Gesundheitseinrichtungen schnell die Infektionsketten unterbrechen zu können. Generell müssten Pflichtimpfungen zudem immer an die ungeschützten Zielgruppen angepasst werden. Die Ergebnisse eines solchen angeordneten Schutzes sind dabei widersprüchlich, wie die Beispiele Italien und Frankreich zeigen.

In beiden Ländern waren einige Basisimpfungen wie gegen Diphtherie, Tetanus (DT) und Polio bei Kindern schon lange Pflicht. Weitere Impfungen waren nur empfohlen und wurden daher häufig als weniger wichtig erachtet. So gingen in Italien von 2000 bis 2016 die Masern-Mumps-Röteln-(MMR)-Schutzraten von 90 auf 87 Prozent zurück.

Angesichts der Masern-Ausbrüche wurde dort die Pflicht im Sommer 2017 auf zehn Impfungen ausgedehnt (DT, Pertussis, Polio, HepB, Hib sowie MMR und Varizellen). Frankreich folgte Ende 2017, wobei dort von den zehn Impfungen in Italien Varizellen nicht obligatorisch sind, dafür aber zusätzlich der Schutz gegen Meningokokken C und Pneumokokken.

In Frankreich hat sich dabei die erweiterte Impfpflicht bereits im ersten Jahr positiv ausgewirkt, berichtet ein Team um Dr. Daniel Lévy-Bruhl vom französischen öffentlichen Gesundheitsdienst in Sainte-Maurice bei Paris (Euro Surveill 2019; 24 (26): pii=1900301).

Zwar haben zunächst in einer Umfrage 57 Prozent der Franzosen das Gesetz als autoritär bewertet. Ungeimpfte werden nämlich von Gemeinschaftseinrichtungen ausgeschlossen und Kinder können ausschließlich aus medizinischen Gründen von der Impfpflicht befreit werden.

Trotzdem sind die Impfraten im ersten Jahr der erweiterten Pflicht in Frankreich deutlich gestiegen. Zum Beispiel von 74,7 auf 77,7 Prozent bei der ersten MMR-Dosis im ersten Lebensjahr oder auch von 92 auf 98 Prozent bei der ersten HepB-Dosis. Besonders erfolgreich war die Pflicht bei der MenC-Impfung mit einer Steigerung der Raten von 39,3 auf 75,7 Prozent.

Hier konnte gleichzeitig ein starker Rückgang der schweren Meningokokken-Meningitiden dieses Typs in Frankreich belegt werden.

Die Erfolge reflektieren das Commitment und die Anstrengungen der Regierung, mit intensiven Kampagnen und dem Gesetz zur Pflichtimpfung die Impfraten zu verbessern, so die Autoren. Vor allem habe die Regierung mit einer Website etwa mit Antworten zu häufigen Impffragen das Vertrauen in die Sicherheit und Wirksamkeit von Vakzinen gestärkt.

In Italien bröckelt der Konsens zur Impfpflichtt

Auch in Italien sind in den zwei Jahren nach Einführung der erweiterten Impfpflicht die Impfraten deutlich gestiegen, berichten Forscher um Dr. Fortunato D‘Ancona vom Nationalen Gesundheitsinstitut in Rom (Euro Surveill 2019; 24 (26): pii=1900371). So gingen die Raten beim Masernschutz je nach Region um drei bis sieben Prozent nach oben. Die für die Masern-Elimination nötigen 95 Prozent Durchimpfung wurden dabei fast erreicht, betonen die Autoren.

Anders als in Frankreich mit einer Impfpflicht für Kleinkinder gibt es hier wegen der obligatorischen Impfungen bis zum 16. Lebensjahr viele Widerstände. Und trotz der messbaren Erfolge wird in einigen Regionen immer noch die Notwendigkeit der Pflicht angezweifelt.

Individuelle Freiheiten würden eingeschränkt und ein autoritärer „Modus Operandi“sei bei Maßnahmen zur öffentlichen Gesundheit nicht angemessen, betonen die Gegner. Die neue populistische Regierung diskutiert daher einen Gesetzentwurf, mit dem Pflichtimpfungen künftig auf Masern beschränkt werden sollen.

Was macht Finnland anders?

Die österreichischen Expertinnen verweisen auf Finnland, wo hohe Schutzraten auch ohne Impfpflicht erreicht worden sind.

Nötig dazu waren umfassende elektronische Impfregister und RecallSysteme, aktive und motivierende Impfberatung von hierin ausgebildeten Ärzten, Impfungen am Arbeitsplatz sowie von Krankenschwestern und Apothekern. Pflichtimpfungen gibt es dort nur bei Menschen in Gesundheitsberufen und zuständig für die Kontrolle ist der Arbeitgeber und nicht der Staat. (Aktuelle Ergänzungen: ajo)

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