HINTERGRUND

Die Vogelgrippe-Viren mutieren so schnell, daß sie auch für Menschen gefährlich werden können

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Von Manfred Bergbauer

Die Bilder sind mehr als beklemmend. Da werden in Thailand Tausende von Hühnern brutal aus ihren Käfigen gezerrt, in Säcke geworfen und diese, kaum verschnürt, mit scharfen Haken auf die Ladefläche eines Lastwagens gehievt. Arbeiter entladen die laut gackernde Fracht in tiefe Gruben, deren Wände mit desinfizierendem Kalk bestreut sind. Anschließend schiebt ein Bulldozer Erde über die noch lebenden Tiere.

Die Geflügelpest hat innerhalb weniger Wochen solche Auswirkungen angenommen, daß eine artgerechte Tötung der Tiere nicht mehr möglich scheint. Selbst die Weltgesundheitsorganisation(WHO) - sonst in ihrer Wortwahl immer besonders diplomatisch - spricht von der Notwendigkeit einer radikalen Auslöschung der Geflügelpopulationen als der einzig wirksamen Maßnahme. So werden bis Ende der Woche in Südostasien wohl 15 Millionen Hühner und Truthühner getötet worden sein.

Seit einigen Jahren erkranken immer mehr Menschen

Außer den Problemen, die die Massentötung in einer bislang unbekannten Größenordnung mit sich bringt, beunruhigt die Gesundheitsbehörden aber noch eine andere Entwicklung: In den letzten zehn Jahren scheint die Vogelgrippe nicht nur zahlenmäßig, sondern auch hinsichtlich der Häufigkeit und der Schwere des Krankheitsbildes, das Vogel-Influenzaviren bei Menschen hervorrufen, zuzulegen.

Als Ende der 90er Jahre zum ersten Mal der Subtyp H5N1 bei einer Geflügel-Epidemie gefunden wurde, verendeten in Hongkong 1,5 Millionen Hühner. Gleichzeitig erkrankten auch 18 Menschen, von denen sechs starben. Bei der Vogelgrippe-Epidemie in den Niederlanden (durch den Subtyp H5N7) im Frühjahr des vergangenen Jahres erkrankten bereits 89 Menschen. Viele kamen mit einer Konjunktivitis relativ glimpflich davon, aber 37 Patienten waren schwer erkrankt; ein Tierarzt starb an einer atypischen Pneumonie.

Bei der derzeitigen Epidemie sind bislang etwa 20 Menschen schwer erkrankt. Die Zahl der Patienten, die an einer atypischen Pneumonie gestorben sind, wird mit elf angegeben. Mit weiteren Toten als Folge der Vogelgrippe wird gerechnet.

Eine Besonderheit des Vogelinfluenzavirus ist, daß im Verlauf einer Epidemie neue Varianten entstehen, die virulenter sind als der ursprüngliche Erreger. Wann es dazu kommt, ist nicht vorhersehbar. Bei der ersten Vogelgrippe-Epidemie in den USA 1983 bis 1984 trat die Killervariante nach fünf Monaten auf, bei der Epidemie in Italien 1991 bis 2001 nach neun Monaten. In Südostasien scheint sich der Übergang von einem wenig zu einem hochvirulenten Erreger innerhalb weniger Wochen vollzogen zu haben.

Erreger vom Typ H5N1 sind besonders virulent

Der Virustyp mit der Bezeichnung H5N1 mutiert besonders leicht und zeichnet sich durch die Eigenschaft aus, daß er mit anderen Influenzaviren Erbinformation austauscht, sobald er in einen geeigneten Mixbecher, also in eine Endothelzelle, gelangt ist. In vitro jedenfalls ist H5N1 besonders virulent, und die in Südostasien beobachteten Krankheitsverläufe belegen, daß in-vitro und in-vivo -Virulenz korrelieren.

Beunruhigend an H5N1 ist außerdem, daß zwei Gruppen etablierter antiviraler Substanzen unwirksam sind. Nach einer aktuellen Untersuchung von Dr. Malik Peiris von der Universität Hongkong sind die von Patienten isolierten Vogelinfluenzaviren gegen Amantadin und Rimantadin resistent.

Da angenommen wird, daß der Neuraminidase-Hemmer Oseltamivir (Tamiflu®) auch etwa bei dem Virustyp H5N1 wirksam sein kann, empfiehlt die WHO jetzt: Das Medikament soll bereitgehalten werden, um Menschen zu behandeln, die mit Massenschlachtungen von Geflügel beschäftigt sind und bei denen der Verdacht auf eine durch H5N1-bedingte Atemwegsinfektion besteht.

Geht alles gut, endet die größte aller bisherigen Vogelgrippe-Epidemien vermutlich, wenn sämtliche Hühner und Truthühner Südostasiens getötet worden sind. Bei den zuständigen Gesundheitsbehörden wird aber auch bereits ein worst case-Szenario diskutiert: Durch Kreuzung könnte ein neuer Erreger entstehen, der nicht nur äußerst virulent, sondern auch von Mensch zu Mensch übertragbar ist. Vakzine wären erst nach Monaten einsatzbereit.

Die Wahrscheinlichkeit für ein solches Szenario steigt, je häufiger H5N1 und humane Influenzaviren in Schleimhautzellen aufeinandertreffen. Sie ist also besonders hoch, wenn sich das Vogelvirus explosiv ausbreitet und gleichzeitig eine Grippewelle über die Menschen Südostasiens hereinbricht. Solche Grippewellen bewegen sich zur Zeit von Europa und den USA auf Asien zu.



FAZIT

Influenzaviren können fast alle Vögel befallen. Bei Wasservögeln wie Enten und Gänsen verläuft die Erkrankung oft unbemerkt. Allerdings scheiden die Tiere über Wochen vermehrungsfähige Erreger etwa im Kot aus. Da die Viren relativ unempfindlich sind , werden sie etwa über verunreinigte Käfige, aber auch über Hände und Kleidung, auf andere Tiere verschleppt. Deshalb sind die Geflügelmärkte mit lebenden Tieren, wie sie überall in Südostasien üblich sind, ideale "Transmissionsriemen", um die Erreger auf bislang gesunde Vogel zu übertragen.

Lesen Sie dazu auch: In sechs Monaten soll es einen Impfstoff gegen Vogelgrippe geben

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