Enzephalitis durch Bunthörnchen-Biss?

Süße Tiere bringen qualvollen Tod

In Deutschland sind drei Tierzüchter an einer Enzephalitis gestorben. Vieles spricht dafür, dass sie von Bunthörnchen aus ihrer Zucht infiziert wurden.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Alles andere als harmlos: Bunthörnchen (Sciurus variegatoides) können Forschern zufolge Enzephalitis-Viren beherbergen.

Alles andere als harmlos: Bunthörnchen (Sciurus variegatoides) können Forschern zufolge Enzephalitis-Viren beherbergen.

© dmvphotos / fotolia.com

NEU-ISENBURG. Mittelamerikanische Bunthörnchen (Sciurus variegatoides) finden in Deutschland viele Freunde, sie werden hier sogar gezüchtet. Doch die Verwandten der Eichhörnchen können Viren beherbergen, die wohl drei Züchtern in Sachsen-Anhalt zum Verhängnis geworden sind.

Zwischen November 2011 und November 2013 starben die Männer an einer Enzephalitis. Bereits im Februar dieses Jahres hatten Behörden den Verdacht geäußert, dass ein bisher unbekanntes Bornavirus die Ursache sein könnte.

Züchter und Tierhalter wurden zu einem vorsichtigen Umgang mit den Tieren ermahnt. Nun erhärten Mitarbeiter des Friedrich-Löffler-Instituts (FLI) den Verdacht, dass ein neues tödliches Virus von den Tieren auf Menschen übertragen wurde (N Engl J Med 2015; 373: 154).

Langsamer Tod über zwei bis vier Monate

Wie das Team um Dr. Bernd Hoffmann auf der Insel Riems berichtet, entwickelten die drei Züchter im Alter von 62, 63 und 72 Jahren eine progressive Enzephalitis oder Meningoenzephalitis, die nach zwei bis vier Monaten trotz intensiver Antibiose und virustatischer Medikation (Aciclovir, Ribavirin) zum Tode führte.

Die Erkrankung begann mit Müdigkeit, Zittern, Fieber, psychomotorischer Verlangsamung, instabilem Gang und Kopfschmerzen, alle drei Patienten klagten aber auch über Magen-Darm-Beschwerden wie Verstopfung, Bauchschmerzen oder anogenitale Taubheitsgefühle. Die drei Männer litten zudem unter psychischen Symptomen wie Stimmungsschwankungen und nächtlicher Agitation, alle drei entwickelten auch Verwirrtheitszustände. Im späteren Verlauf kam es zu Myoklonien, Paresen und Sopor, schließlich fielen die Patienten ins Koma.

Alle Männer zeigten im Laufe der Erkrankung auch bilaterale Beinvenenthrombosen. Diese führten bei zwei von ihnen zu einer Lungenembolie.

Im MRT zeigten die Patienten zunächst kaum Auffälligkeiten, bei einem waren lediglich die Ventrikel erweitert. Nach einigen Tagen bis Wochen entwickelten sich jedoch T2-hyperintense ödematöse Läsionen in verschiedenen Kortexarealen, den Basalganglien sowie dem Hirnstamm und bei einem Patienten auch in den Hirnhäuten, nie aber im Rückenmark.

Die sich stetig vergrößernden Läsionen passten zu einer viralen Infektion, so die Forscher. Im Liquor ließ sich eine erhöhte Zellzahl nachweisen, aber keine bekannten Erreger. Auch die Mikroskopie, die Analyse von Biopsien und Serum sowie Erregerkulturen lieferten keine Hinweise auf die Ursache.

Einem Bunthörnchen, das Kontakt zu einem der Patienten hatte, wurden Blut-, Organ- und Schleimhautproben entnommen. Diese unterzogen sie einer umfassenden metagenomischen Analyse.

Sequenzen von Bornaviren

Mit einem solchen Ansatz wird versucht, die Gesamtzahl aller in den Proben vorkommenden genetischen Einheiten aufzuspüren, also etwa sämtliche Bakterien, Viren und Pilze. Die dabei entstehende Gendatenbank durchforsteten die Wissenschaftler nach Spuren von Krankheitserregern.

Dabei stießen die Forscher auf Sequenzen von Bornaviren, die aber nur entfernt verwandt mit bekannten Säugetier- und Vogelviren waren. Das bislang unbekannte Virus wurde "Bunthörnchen-Bornavirus 1" (variegated squirrel 1 bornavirus, VSBV-1) genannt.

Das infizierte Tier schien klinisch weitgehend gesund, im Gehirn zeigte sich jedoch eine Satellitose und leichte Glia-Aktivierung. Hohe Viruskonzentrationen fanden die Wissenschaftler in Herz, Lunge, Niere, Gehirn sowie in den oropharyngealen Schleimhäuten, nicht aber im Blut.

Nun analysierte das Team um Hoffmann Hirnproben der drei verstorbenen Züchter - und wurde fündig. Bei allen drei ließen sich moderate bis hohe Viruskonzentrationen nachweisen. Autopsieproben von zehn anderen Patienten waren hingegen negativ.

Eine vertiefte genetische Analyse ergab, dass die Bornavirus-Sequenzen der drei Patienten sowie die des Bunthörnchens weitgehend identisch waren - das spricht für eine Übertragung von den Tieren auf die Züchter.

Die Analyse bestätigte zudem, dass es sich um einen bislang unbekannten Erreger handelt, dessen nächste Verwandte unter Pferde-Bornaviren zu finden sind. Schließlich fanden die Virologen auch Antikörper gegen das Bornavirus im Liquor und Serum einer der drei Patienten.

Die Wissenschaftler sehen in ihren Untersuchungen mehrere Indizien, die auf eine Bornavirus-Infektion als Ursache der Todesfälle deuten. Zum einen kannten sich die drei Männer - sie waren Mitglieder im selben Züchterverein. Offenbar tauschten sie auch Tiere aus - dies mag den Infektionsweg erklären.

Alle drei entwickelten ähnliche Symptome, inklusive einer beidseitigen Beinvenenthrombose, alle drei hatten genetisch weitgehend identische Kopien des isolierten Bunthörnchenvirus im Gehirn und bei einem konnten in noch vorhandenen Liquorproben Antikörper gegen das Virus nachgewiesen werden.

Zwar sind damit noch nicht alle Koch'schen Postulate erfüllt - es fehlt der Nachweis, dass die isolierten Viren in empfänglichen Organismen eine Enzephalitis auslösen können - das Bornavirus sei aber mit hoher Wahrscheinlichkeit die Ursache für die Erkrankungen, schreiben Hoffmann und Mitarbeiter. Bei zwei der Züchter berichteten Angehörige über Kratz- und Bissspuren - möglicherweise wurde der Erreger auf diese Weise übertragen.

Viren mit starker ZNS-Affinität

Für Bornaviren als Krankheitsursache spricht auch der Verlauf der Enzephalitis: In ihren natürlichen Wirten wie Pferden und Schafen zeigen die Erreger ebenfalls eine starke ZNS-Affinität, auch dort kommt es zu Gangstörungen, sensorischen und emotionalen Beeinträchtigungen, und bis zu 90 Prozent der infizierten Tiere sterben.

Ein Zusammenhang wurde in der Vergangenheit auch mit psychischen Erkrankungen bei Menschen postuliert, konnte aber nie klar belegt werden.

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