Impfung gegen tödliche Keime

Debatte um Men B in England

Eltern in Großbritannien wollen erreichen, dass der National Health Service die Meningokokken-B-Impfung für alle Kinder und nicht nur für Säuglinge bezahlt. In Deutschland gibt es hierzu bisher noch keine allgemeine Impfempfehlung.

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Neisseria meningitides unter dem Mikroskop: Der Keim ist der häufigster Erreger bakterieller Meningitiden in Deutschland.

Neisseria meningitides unter dem Mikroskop: Der Keim ist der häufigster Erreger bakterieller Meningitiden in Deutschland.

© Ezume Images / fotolia.com

LONDON. Bilder sterbender Kinder mit Meningokokken B haben Großbritannien schockiert. In den vergangenen Tagen und Wochen hatten dort einige Eltern Fotos vom Martyrium ihrer schwerst kranken Kinder ins Internet gestellt. Eine Petition an das Parlament fordert jetzt die Meningokokken-B-Impfung für alle Kinder "bis mindestens elf Jahre".

Mehr als 800.000 Menschen haben das Papier unterzeichnet, ein Rekord. Er sei "überwältigt", sagte Lee Booth, der die Petition gestartet hatte, über die Unterstützung. Eine seiner beiden Töchter ist an Meningitis gestorben.

Vorreiter: Impfung im Impfkalender von Säugling

Ein Impfstoff gegen Meningokokken B ist seit Ende 2013 zugelassen. England ist das erste Land der Welt, das die Impfung für Säuglinge in den Impfkalender gestellt hat, die Impfung wird im ersten Lebensjahr vom National Health Service (NHS) bezahlt. Mit zwei Monaten bekommen die Kinder die erste Spritze. Was die Eltern im Land erzürnt: Bei älteren Kindern wird die Impfung nicht nachgeholt, wenn die Eltern nicht selbst die Kosten tragen.

Die Erkrankungsgefahr ist in Großbritannien deutlich höher als in Deutschland: 500 bis 1700 Menschen mit Meningokokken B werden dort pro Jahr registriert, in Deutschland wird die Inzidenz auf etwa 250 pro Jahr geschätzt. Etwa jede zehnte Erkrankung endet tödlich.

Bei Überlebenden kommt es oft zu Entwicklungsstörungen, Intelligenzminderung, Lähmungen, Krampfanfällen und Innenohr-Schädigungen. Auch Amputationen kommen vor. Das Bild eines kleinen Mädchens ohne Hände kursierte jüngst in britischen Medien.

In Deutschland wird die Impfung nur als Indikationsimpfung für "Menschen mit erhöhtem Risiko für Meningokokken-Erkrankungen" empfohlen, etwa Menschen mit angeborener Immunschwäche, mit engem Kontakt zu Meningitis-Patienten und Menschen, die dem Erreger im Labor ausgesetzt sein könnten.

Nur gegen Meningokokken C wird bisher flächendeckend geimpft und die Kosten erstattet. "Die STIKO hat entschieden, erst auf Grundlage von Daten zur tatsächlichen klinischen Effektivität der Meningokokken-B-Impfung eine Entscheidung bezüglich einer möglichen Routineimpfung bei Säuglingen, Kleinkindern oder anderen Altersgruppen zu treffen", teilte das Gremium auf Anfrage der Presse-Agentur "dpa" mit. Mit diesen Daten rechne man in ein bis zwei Jahren.

Im Frühstadium gut behandelbar

Meningokokken-Infektionen lassen sich im Frühstadium gut mit Antibiotika behandeln. Das Problem ist, dass die Symptome eher unspezifisch sind, etwa Kopfschmerzen, Fieber, Schüttelfrost und Schwindel. "Innerhalb weniger Stunden kann sich ein schweres, lebensbedrohliches Krankheitsbild entwickeln", warnt das Robert Koch-Institut (RKI).

Im Jahr 2015 wurden in Deutschland nach vorläufigen Angaben 287 Meningokokken-Erkrankungen durch alle Serotypen an das RKI übermittelt, 9 mehr als 2014. Es waren weitaus mehr Fälle vom Serotyp B als vom Serotyp C, gegen den schon breit geimpft wird. Von 100 Patienten, die sich mit Meningokokken infizieren, sterben in Deutschland acht bis zehn. "Von den 28 Todesfällen im Jahr 2015 waren 15 Kinder im Alter von 15 Jahren oder jünger", teilt das RKI mit.

Auch viele deutsche Experten empfehlen daher, Säuglinge gegen Meningokokken B standardmäßig zu impfen. "Wir befinden uns momentan in einer Phase von abnehmenden Fallzahlen und somit ist es schwierig für die STIKO, ein Impfprogramm zu empfehlen", erklärt Dr. Ralph Köllges vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte.

In seinen Impfaufklärungen empfehle er die Impfung gegen Meningokokken B, könne aber weder Risikobewusstsein noch Finanzkraft der Eltern bewerten. Bisher erstatteten nur wenige Krankenkassen bis zum Alter von 24 Monaten die Impfung als freiwillige Extra-Leistung. Da es bei Jugendlichen einen zweiten Erkrankungsgipfel gebe, würde er sich eine Ausdehnung der Empfehlung auf alle Kinder bis 18 Jahre wünschen.

Ob die Petition in Großbritannien etwas bewegen wird, ist offen. Bereits ab 100.000 Unterschriften kommt eine Petition für eine Debatte infrage. Meningitis B wird Thema im britischen Parlament sein, heißt es auf der Webseite. Zunächst wollten die Parlamentarier aber mit betroffenen Eltern und Medizinern sprechen.

Auch sind nicht alle britischen Ärzte der Meinung, dass der Impfschutz auf ältere Kinder ausgeweitet werden sollte. Denn die Impfung ist teuer. "Wir müssen sicherstellen, dass die am meisten gefährdete Gruppe - Kleinkinder - geschützt sind", schreiben die Pädiater Helen Bedford und David Elliman im "Guardian", "und dass wir unser begrenztes Gesundheitsbudget weise und auf Grundlage der verfügbaren wissenschaftlichen Belege ausgeben." (dpa/eis)

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