Schweinegrippe-Impfung mit GBS-Risiko

Alles nur Nebenwirkungen? Kaum gab es während der Schweinegrippe die ersten Impfstoffe, machten Berichte über Nebenwirkungen die Runde. Vieles stellte sich als übertrieben heraus. Jetzt haben Forscher ein erhöhtes GBS-Risiko ermittelt. Allerdings lohnt ein genauer Blick auf die Zahlen.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
2009/10 gab es Impfaktionen gegen die Schweine- oder Neue Grippe.

2009/10 gab es Impfaktionen gegen die Schweine- oder Neue Grippe.

© dpa

QUEBEC. Offenbar kam es nach der Pandemie-Impfung vor drei Jahren doch gehäuft zu Erkrankungen mit dem Guillain-Barré-Syndrom (GBS).

Darauf deutet jetzt eine Analyse aller GBS-Fälle in Quebec in Kanada, die zwischen Oktober 2009 und März 2010 auftraten.

Andere Erhebungen hatten zuvor recht widersprüchliche Daten geliefert. So war die Rate für ein GBS in mehreren europäischen Analysen nach der Pandemie-Impfung nicht signifikant erhöht.

US-Daten wiederum deuten auf eine dreifach erhöhte Inzidenz unmittelbar nach einer Immunisierung mit dem dort verwendeten Impfstoff ohne Adjuvanzien.

Letzteres wird nun in einer kanadischen Analyse bestätigt, hier allerdings für die in Kanada verwendete adjuvantierte Vakzine.

Epidemiologen um Dr. Philippe De Wals hatten die GBS-Inzidenz in Quebec bei geimpften und nicht geimpften Personen untersucht (JAMA. 2012; 308(2):175-18).

Monitoring von Anfang an

Insgesamt waren in Quebec 57 Prozent der 7,8 Millionen Menschen im Alter von über sechs Monaten immunisiert worden.

Das Besondere dabei: Von Anfang an war ein GBS-Monitoring etabliert worden. So wurden bereits im Vorfeld der Impfkampagne alle Ärzte in Quebec gebeten, GBS-Fälle oder Verdachtsfälle zu melden, unabhängig davon, ob die Personen geimpft wurden.

Zusätzlich erhielten alle Neurologen bis Mitte April 2010 zweimal pro Monat Post, die sie daran erinnerte, Fälle und Verdachtsfälle zu melden. Schließlich werteten die Studienautoren auch Daten von Kliniken nach GBS-Diagnosen aus.

Da sie für ihre Recherche unterschiedliche Quellen nutzen konnten, gehen sie davon aus, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit alle GBS-Erkrankungen erfasst haben, die in den sechs Monaten nach Beginn der Impfkampagne aufgetreten sind.

Insgesamt zählte das Team um De Wals 83 Patienten mit neu aufgetretenem GBS, das entspricht 2,3 Neuerkrankungen pro Jahr und 100.000 Einwohner. 42 davon waren vor Beginn der Erkrankung mit dem H1N1-Impfstoff immunisiert worden.

Dreifach erhöhte Inzidenz

Die Forscher richteten nun ihr Augenmerk auf die ersten acht Wochen nach der Impfung. Nur in dieser Zeit wird ein kausaler Zusammenhang zwischen Impfung und der Autoimmunerkrankung GBS als möglich erachtet.

Sie fanden 25 Patienten, die innerhalb von acht Wochen nach der Impfung ein GBS entwickelten, 19 davon hatten die Krankheit innerhalb von vier Wochen nach der Impfung bekommen.

Wurden Alter, Geschlecht und bekannte Risikofaktoren berücksichtigt, so ergab sich eine dreifach erhöhte GBS-Inzidenz in den ersten vier Wochen nach der Impfung und eine verdoppelte Inzidenz in den ersten acht Wochen danach.

Da auch bei einer Influenza-Infektion der Verdacht besteht, dass sie ein GBS verursacht, schauten sich die Forscher die Erkrankungszahlen im November und Dezember 2009 genauer an, als die Epidemie in Kanada ihren Höhepunkt erreicht hatte.

Zu dieser Zeit wurde jedoch kein GBS-Cluster bei ungeimpften Personen festgestellt.

Nutzen höher

Ein kausaler Zusammenhang vorausgesetzt, lässt sich ein Risiko von 1 : 500.000 berechnen, durch die Impfung ein GBS zu bekommen.

Zum Vergleich: Das Risiko, infolge einer Influenza-Infektion zu sterben, lag im selben Zeitraum in Quebec bei 1 : 73.000 und war damit knapp siebenfach höher.

Nicht zuletzt deswegen gehen die Studienautoren davon aus, dass der Nutzen der Grippe-Impfung einen möglichen Schaden bei weitem überwiegt.

Dies gilt offenbar auch für schwangere Frauen: In einer zeitgleich veröffentlichten dänischen Studie wurde bei über 53.000 Kindern, deren Mütter in der Schwangerschaft einen H1N1-Impfstoff mit Adjuvans erhalten hatten, keine erhöhte Fehlbildungsrate festgestellt (JAMA 2012; 308(2):165-174).

Guillain-Barré: lange Dauer, gute Prognose

Das Guillain-Barré-Syndrom ist nach den AWMF-Leitlinien eine akute periphere Polyneuritis mit multifokaler Demyelinisierung. Oft gehen Infekte mit Bakterien oder Viren voran, selten Impfungen. Als Ursache werden Autoimmunprozesse vermutet.

Typisch sind aufsteigende Lähmungen der Beine, Arme und Hirnnerven, Störungen von Vegetativum und Herzrhythmus. Behandelt wird mit Kortikoiden, Plasmapherese oder Immunglobulinen.

Die Krankheit dauert Monate, die Prognose ist gut, mit langer Rekonvaleszenz. Einem Fünftel der Patienten bleiben Ausfälle. (eb)

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Führen den BVKJ: Tilo Radau (l.), Hauptgeschäftsführer, und Präsident Michael Hubmann im Berliner Büro des Verbands.

© Marco Urban für die Ärzte Zeitung

Doppel-Interview

BVKJ-Spitze Hubmann und Radau: „Erst einmal die Kinder-AU abschaffen!“

Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch.

© Rolf Schulten

Interview

Diakonie-Präsident Schuch: Ohne Pflege zu Hause kollabiert das System