Ende einer Eiszeit

Das "Supervirus" darf zurück

Die Forschung mit Influenzaviren kehrt zurück: Nach einer einjährigen Debatte über mutierte "Terrorviren" aus dem Labor und einer Denkpause der Forscher will die Gemeinde zurück an die Labortische. Offene Fragen gibt es trotzdem.

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BSL-4-Labor - ganz so hoch muss die Sicherheitsstufe für die Influenza-Reassortanten nicht sein. Es reicht eine Nummer kleiner.

BSL-4-Labor - ganz so hoch muss die Sicherheitsstufe für die Influenza-Reassortanten nicht sein. Es reicht eine Nummer kleiner.

© Frank May / dpa

MADISON. "Influenzaforschung darf nicht sterben." Hätte Bernhard Grzimek seinerzeit die Ethologie an den Nagel gehängt und sich der Virologie gewidmet, und würde er heute noch immer leben, hätten wir jetzt womöglich diesen Satz von ihm gehört, ganz in Anlehnung an den Dokumentarklassiker über die Serengeti.

Denn tatsächlich fordern Influenzaforscher auf der ganzen Welt derzeit genau das: Die Forschung mit den Viren soll fortgesetzt, ja ausgebaut werden. Ein mittlerweile einjähriges Forschungsmoratorium soll nun enden.

Der Hintergrund dafür sind zwei aufsehenerregende Studien aus dem vergangenen Jahr. Die beiden Influenza-Pioniere Ron Fouchier aus Rotterdam und Yoshihiro Kawaoka aus Madison im US-Bundesstaat Wiscon hatten im Labor Influenzaviren geschaffen, die die Pathogenität der aviären Influenza H5N1 und die Infektiosität der Neuen Grippe H1N1 vereinten.

Daraufhin war bereits im September 2011 ein heftiger Streit in der Forschergemeinde ausgebrochen. Die Befürchtung: Die Laborzüchtung könnte in die Umwelt gelangen und eine verheerende Epidemie auslösen.

Im Januar vergangenen Jahres stoppten Virologen weltweit letztlich ihre Forschung mit Influenza-Reassortanten.

Sie hatten sich ein Moratorium auferlegt. 60 Tage lang sollte es währen, schließlich wurden es 365. Es war eine Zeit der leidenschaftlichen Debatten - Debatten über Sicherheitsregularien, Bioterrorismus, ja sogar über Sinn und Unsinn der Influenzaforschung.

Neue Anforderungen

In den Augen der Virologen haben die Diskussionen nun genügend Früchte getragen, um die Ernte einzufahren: Die Forschung soll fortgesetzt werden. "Wir erklären das Ende des freiwilligen Moratoriums", schreiben die 40 Wissenschaftler (Science 2013; online 23. Januar und Nature 2013; online 23. Januar).

Zu den Unterzeichnern zählen neben den beiden Protagonisten Kawaoka und Fouchier auch der Marburger Virologe Hans-Dieter Klenk und der Präsident des Friedrich-Löffler-Instituts (FLI), Thomas Mettenleiter.

"Wir haben die Ziele unseres Moratoriums in einigen Ländern erreicht und wir sind kurz davor, sie in weiteren Ländern umzusetzen", argumentiert die Gruppe.

Dazu zählen sie unter anderem eine Leitlinie der Weltgesundheitsorganisation WHO aus dem vergangenen Juli. Darin hatten sich die Wissenschaftler auf Sicherheitsstandards für die Forschung mit dem Vogelgrippevirus H5N1 geeinigt.

Eine Anforderung sind künftig Sicherheitslabore des erweiterten Standards BSL-3+. Während der Diskussion hatten sich nicht wenige Experten für den höchsten Standard BSL-4 ausgesprochen. Sie befürchten andernfalls, dass Laborviren in die Umwelt gelangen können.

Auf der Gegenseite argumentierten Wissenschaftler, dass zu hohe Standards die Forschung erlahmen könnten. Nun haben sie sich auf BSL-3 geeinigt. Auch bei dieser Schutzstufe wird das Labor von der Außenwelt abgeschottet. Die Arbeit findet mit Unterdruck statt, die Abluft wird gefiltert.

Bauanleitung für Terrorviren

Ein weiterer Aspekt: Die Forscher wollten ihre Arbeit transparent machen. Das ist ihnen allein schon wegen der öffentlichen Kontroverse gelungen. Weltweit berichteten Publikumsmedien ausführlich über die Forschung und die anschließende Debatte.

"Während des vergangenen Jahres haben wir die Vorteile dieser wichtigen Forschung in zahlreichen Veröffentlichungen deutlich erläutert", schreiben sie.

Die Gefahr des Bioterrorismus sehen die Wissenschaftler allerdings nicht gebannt. Während der Debatte hatte vor allem Paul Keim vor dem sogenannten "Dual Use" gewarnt. Keim ist immerhin Chef des US-Beratergremiums für Biosicherheit (NSABB).

Das NSABB hatte die Studien 2011 begutachtet und zunächst einen Publikationsstopp angeordnet. Keims Argument: Terroristen könnten die wissenschaftlich publizierten Baupläne nutzen, "Terrorviren" zu züchten.

Das NSABB hat ein gewichtiges Wort in der Debatte, immerhin ist es ein offizielles Gremium der Regierung in Washington. Und so schloss sich das National Institute of Health (NIH) schließlich dem Votum an - und verweigerte zunächst sein Plazet für die Veröffentlichung.

Das war bei beiden Publikationen sogar relativ leicht, denn sowohl Fouchier als auch Kawaoka erhalten für ihre Arbeiten Fördergelder vom NIH. Das Institut hat bei Wohl und Wehe der Studien also hinreichend Macht.

Dazumal zählt es weltweit zu den größten Geldgebern in der Influenzaforschung. Zahlreiche Wissenschaftler finanzieren Projekte oder zumindest Teile davon mit NIH-Geldern.

Mutationen in der Umwelt verstehen

Tatsächlich erschienen die Studien im Frühjahr 2012 schließlich in "Science" und "Nature". Einige Passagen waren reichlich gekürzt, andere wiederum wurden ergänzt, um die Forschung vor allem dem Publikum leichter verständlich zu machen.

Andere Forscher halten die vom NIH und NSABB skizzierten Szenarien ohnehin für übertrieben, schließlich sei der Bau eine "Terrorvirus" alles andere als Hobbybastelei. Die Frage ist außerdem, ob die Gefahr des "Dual use" wirklich von der Forschergemeinde beantwortet werden kann.

Die italienische Virologin Ilaria Capua beantwortet gerade das nämlich mit einem klaren Nein. "Das ist keine Entscheidung von Wissenschaftlern", sagt sie im Fachblatt "Nature". "Es muss eine Entscheidung von Politikern sein."

Auch die Diskussion um Sinn und Unsinn der H5N1-Forschung sieht die Forschergruppe nichtsdestotrotz zugunsten der Forschung entschieden. Ihr Argument: Die Viren mutieren ohnehin, und zwar ganz natürlich und in der freien Umwelt.

Nur die Erforschung dieser Mechanismen versetze die Experten in die Lage, diese Vorgänge zu verstehen und gegen neue, gefährliche Wildtypen geeignete Therapien zu entwickeln.

Und so resümieren sie: "Weil schon in der Natur die Gefahr besteht, dass H5N1-Viren auf Säugetiere übertragen werden, überwiegen die Vorteile unserer Arbeit die Risiken."

Supervirus?

Der deutsche Virologe Mettenleiter sieht das ähnlich. "Es geht darum zu verstehen, welches Gefährdungspotenzial da ist", sagte er am Donnerstagmorgen im "Deutschlandfunk". "Dafür sind diese Untersuchung wichtig."

Diese Meinung teilen selbst die US-Behörden, also auch NIH und NSABB. Dennoch dürfte trotz des offiziellen Auslaufens des Moratoriums, vor allem in den USA die Forschung mit H5N1-Reassortanten noch einige Zeit auf Eis liegen.

Dort haben die Behörden noch keinen abschließenden Konsens für Forschungsauflagen gefunden. Und so lange die neuen Richtlinien fehlen, soll es keine neuen Forschungsprojekte mit Virusmutationen geben, empfiehlt auch die Forschergruppe.

Betroffen davon sind auch Projekte mit "Superviren" außerhalb der USA, nämlich wenn sie vom NIH (mit-)finanziert werden.

"Supervirus" - allein diese Bezeichnung, wie sie während der Debatte in den Medien entstanden ist, ist kaum zutreffend. Das findet auch FLI-Präsident Mettenleiter. "Der Begriff ist nicht adäquat", sagte er im "Deutschlandfunk". Tatsächlich hatten Fouchier und Kawaoka alles andere als ein Supervirus geschaffen.

Was sie gezeigt haben, war lediglich, dass aviäre Influenzaviren lediglich wenige Mutationen benötigen, um sich via Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch zu verbreiten.

In ihren Experimenten waren die gezüchteten Viren letztlich auch nicht übermäßig letal. Die Versuchsfrettchen starben zwar, allerdings erst durch die Hand der Forscher.

Beide Forschergruppe hatten parallel nach Mutationen gesucht, die der aviären Influenza das Humanpathogenität und die Übertragungsfähigkeit per Tröpchen verleiht.

Nur wenige Mutationen

Vogelgrippe-Viren haben seit Jahren für Millionen totes Geflügel gesorgt. Völlig anders ist es beim Menschen: Nur rund 600 Menschen sind seit der ersten Entdeckung 1997 infiziert worden.

Allerdings ist die Mortalität erheblich: Knapp 400 Menschen sind an den Folgen der Erkrankung gestorben. Die Drohgebärde, sollte das Virus von Mensch zu Mensch springen können, ist enorm.

Das Problem der aviären Influenza bislang ist im Sialinsäure-Rezeptor versteckt, an dem das Hämagglutinin von Influenza andockt.

H5N1-Viren binden vor allem an a-2,3-Rezeptoren, die vor allem in Trachea und Lunge zu finden sind. Humane Influenza-Viren hingegen bevorzugen a-2,6-Salinsäurerezeptoren, die in zwischen Larynx und Nase ausgeprägt sind - ein Einfallstor für Tröpfchen.

Kawaoka und Fouchier hatten nun Genveränderungen gefunden, die das Bindungsprotein Hämagglutinin von H5N1 a-2,6-adaptiv machen würden. Im Kawaoka-Experiment reichten vier Mutationen einer H1N1-Reassortante, um die Tröpfcheninfektion zu gewährleisten (Nature 2012; 486: 420).

Auch Fouchiers Team aus Rotterdam wurde wurde fündig - bei drei Mutationen, mit denen sie einen H5N1-Stamm austatteten (Science 2012; 336: 1534).

Das niederländische Experiment ist insofern besonders, weil es die Anpassungsfähigkeit der Viren demonstriert. Nacheinander wurden Frettchen infiziert, nach deren Erkrankung ein Konzentrat genommen und die nächsten Tiere infiziert.

Nach bereits vier Passagen gelang dem Virus eine deutlich höhere Replikationsrate im oberen Respirationstrakt - die Viren hatten auf "natürlichem" Weg zwei weitere Mutationen erworben, die die Rezeptorbindung deutlich verbessern. (nös)

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