Afrika

Kriegsfolgen treiben Kindersterblichkeit hoch

In den Regionen Afrikas, in denen es Krieg oder bewaffnete Konflikte gibt oder gab, kommen offenbar ebenso viele Kinder ums Leben wie durch Hunger. Die Zahl der kriegsbedingten Todesfällen bei Säuglingen und Kleinkindern fällt deutlich höher aus als zunächst angenommen.

Wolfgang GeisselVon Wolfgang Geissel Veröffentlicht:
Ausgezehrt durch einen jahrelangen Konflikt: zweijähriges Hutu-Kind 1997 in Ruanda.

Ausgezehrt durch einen jahrelangen Konflikt: zweijähriges Hutu-Kind 1997 in Ruanda.

© SAYYID AZIM / AP Images / pictur

STANFORD. Unter militärischen Auseinandersetzungen leidet häufig die Zivilbevölkerung am meisten und darunter sind außer chronisch kranken und alten Menschen besonders die Kinder bedroht.

Todesfälle im Kindesalter werden dabei weniger durch die Kampfhandlungen verursacht, sondern durch die Folgen einer zerstörten Infrastruktur, was über Jahre Krankheiten wie Masern oder Durchfall ebenso begünstigt wie Mangelernährung.

"Militärische Auseinandersetzungen erhöhen das Sterberisiko kleiner Kinder in riesigen Regionen Afrikas und noch viele Jahre nach Ende der Konflikte", betont Dr. Eran Bendavid von der Stanford University in Kalifornien in einer Mitteilung des Fachblatts "Lancet".

Daten von 35 Ländern Afrikas ausgewertet

"Moderne Kriege haben eine ganze Reihe potenziell tödlicher Risiken, die von Infektionskrankheiten bis zu den Folgen der zusammengebrochenen Infrastruktur etwa bei der Wasserversorgung oder auch bei den medizinischen Diensten einschließlich der Geburtshilfe reichen", so der Forscher.

Er und seine Kollegen haben die Auswirkungen solcher Kriegsfolgen auf die Kindergesundheit ermittelt.

Damit wurde Neuland betreten, denn inwieweit Bürgerkriege, Rebellionen und Kriege zwischen Staaten die Sterberaten von Kindern beeinflussen, sei bisher nur wenig untersucht worden. Grundlage der aktuellen Studie war das "Uppsala Conflict Data Program".

Dieses enthält Daten von 35 der 54 afrikanischen Länder, in denen es von 1995 bis 2015 insgesamt 15.441 bewaffnete Konflikte mit 968.444 direkten Todesfällen gab (Lancet 2018; online 30. August).

Diese Informationen wurden in Beziehung gesetzt zu 1,9 Millionen Geburten sowie Todesfällen von 204.101 Kleinkindern (Alter bis fünf Jahre) und von 133.361 Säuglingen im ersten Lebensjahr, die es in räumlicher und zeitlicher Nähe zu den bewaffneten Konflikten gegeben hatte.

Berücksichtigt wurde zudem eine allgemeine Kindersterblichkeit in afrikanischen Ländern von im Schnitt 67 Todesfällen pro 1000 Geburten, und zwar gemittelt über alle Regionen mit oder ohne Krieg.

Bis zu ein Viertel mehr Säuglings-Todesfälle

Nach den Ergebnissen steigt in Gebieten innerhalb von 50 Kilometern von einem bewaffneten Konflikt-Ereignis das Sterberisiko von Säuglingen im ersten Lebensjahr um 7,7 Prozent, und zwar im Vergleich zu derselben Region ohne Konflikt.

In absoluten Zahlen erhöht sich dabei die Sterberate um 5,2 Todesfälle pro 1000 Geburten, und zwar zusätzlich zur allgemeinen Sterberate in der Region.

Je intensiver der bewaffnete Konflikt ist, desto stärker steigt nach den Berechnungen auch die Säuglingssterblichkeit, und zwar um bis zu 27 Prozent über die Normalwerte, wenn es bei dem Konflikt mehr als 1000 direkte Kriegstote gibt.

Die Säuglingssterblichkeit steigt zudem bei einem länger als fünf Jahre dauernden Konflikt um das vierfache dessen an, was bei einem nur einjährigen Konflikt zu erwarten wäre.

Bemerkenswert: Ein erhöhtes Sterberisiko wird in Regionen mit bis zu 100 km Entfernung vom Konflikt-Ereignis verzeichnet, und es betrifft auch noch Kinder, die erst acht Jahre nach Ende des Konflikts geboren worden waren.

Viele Säugline sterben an indirekten Kriegsfolgen

Mit diesen Grund-Annahmen haben die Forscher nun das Ausmaß der kriegsbedingten Kindersterblichkeit auf dem ganzen Kontinent abgeschätzt.

Danach sind durch die Folgen bewaffneter Konflikte zwischen 1995 und 2015 in allen 54 Ländern Afrikas 3,1 bis 3.5 Millionen Säuglinge an den indirekten Kriegsfolgen gestorben; das entspricht 6,6 bis 7,3 Prozent aller Säuglingstodesfälle in der Region.

Insgesamt gehen die Forscher in den 20 Jahren von 4,9 bis 5,5 Millionen gestorbenen Kleinkindern im Alter bis fünf Jahre aus, was 6,6 bis 7,4 Prozent der Todesfälle in dieser Altersgruppe ausmacht. Diese Rate ist zehnmal höher, als bisher in anderen Untersuchungen veranschlagt worden war.

So geht die Studie "Global Burden of Disease 2015" von einer Steigerung der Kleinkind-Sterblichkeit durch bewaffnete Konflikte von unter 0,4 Prozent aus.

Weitere Analysen ergaben, dass bewaffnete Konflikte zusätzlich Wachstumsverzögerung und Neugeborenen-Sterblichkeit begünstigen, als Spätfolgen von schlechter Gesundheit der Mütter während der Schwangerschaft sowie einer mangelhaften Geburtshilfe.

Mortalität wird bisher nur wenig beachtet

"Unsere Daten legen einen beträchtlichen Einfluss bewaffneter Konflikte auf die Kindersterblichkeit nahe, der bisher nur wenig beachtet worden ist", betont Bendavid in der Mitteilung.

Die Zahl der dadurch verursachten Todesfälle reiche dabei an die Tragweite anderer Todes-Ursachen einschließlich Unterernährung heran.

Zudem sei das Ausmaß solcher Kriegsfolgen bisher nur wenig erforscht, vor allem auch in anderen Risikogruppen wie jungen Frauen. Auch gebe es bisher nur wenig Daten zu den Langzeitfolgen kriegsbedingter nicht-tödlicher Krankheiten und Verletzungen sowie von Behinderungen und Traumata.

Die Forscher räumen ein, dass ihre Arbeit nur ein grobes Bild der Situation ergibt: Wichtige Effekte weiterer Faktoren wie Vertreibung, Naturereignisse oder auch von jahrzehntelangen Auseinandersetzungen etwa in Somalia oder im Sudan seien nicht berücksichtigt worden.

Dr. Emelda Okiro vom Kenya Medical Research Institute in Nairobi und Dr. Philip Ayieko von der Außenstelle der London School of Hygiene and Tropical Medicine in Mwanza (Tansania) ziehen in einem Kommentar zu der Studie folgendes Fazit: "Ein substanzieller Beitrag zum Verständnis indirekter Kriegsfolgen auf die Kindersterblichkeit in Afrika, die dort die Fortschritte bei der Krankheits-Prävention massiv bedrohen."

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