Kinder- und Jugendärzte

Kein Loblied auf die Homöopathie

„Neue Hotspots in der Pädiatrie“: So lautete das Motto des diesjährigen Herbst-Kongresses des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) in Bad Orb. Dabei ging es auch beim Thema „Homöopathie“ klar zur Sache.

Von Raimund Schmid Veröffentlicht:
Globuli: Homöopathika haben ein festes Standbein bei den Krankenkassen – werden aber auch bei vielen Ärzten propagiert, so eine Kritik beim Herbstkongress der Kinder- und Jugendärzte.

Globuli: Homöopathika haben ein festes Standbein bei den Krankenkassen – werden aber auch bei vielen Ärzten propagiert, so eine Kritik beim Herbstkongress der Kinder- und Jugendärzte.

© esemelwe / Getty Images / iStock.com

Bad Orb. Die zunehmende „Globulisierung von Kindern und Jugendlichen“ hat der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) beim 47. Herbstkongress in Bad Orb angeprangert. Insbesondere das Verhalten der Krankenkassen sei nicht nachvollziehbar, da heute bereits zwei Drittel aller gesetzlichen Kassen die Kosten für homöopathische Anwendungen übernehmen.

Dies sei nicht nachvollziehbar,weil die Übernahme der Kosten primär darauf abziele, besser betuchte und eher gesunde Mitglieder zugewinnen, kritisierte Tagungspräsident Professor Klaus-Michael Keller aus Wiesbaden vor den rund 300 Teilnehmern. Zwar sei es nicht auszuschließen, dass Homöopathika aufgrund der mit ihrer Verordnung verbundenen ganzheitlichen Intervention „besser als Placebo“ wirken. Ein solcher Effekt sei biostatistisch allerdings in keiner Weise nachzuweisen und wegen der extremen Verdünnungen auch nicht auf die homöopathische Substanz zurückzuführen.

Von Kunden explizit eingefordert

Zudem bestehe die Gefahr, dass die Homöopathen auch bei ernsthaften Krankheiten Hilfe suggerierten, die zu lebensbedrohlichen Zuständen führen können, wenn damit zugleich andere zwingend notwendige medizinische Maßnahmen unterbleiben. Auch hier finanzierten die Krankenkassen solche „Scheintherapien“, weil diese von ihren Kunden explizit eingefordert werden.

Dabei würde das Geld, das pro Jahr in Deutschland mit Homöopathika umgesetzt werde (2018: 670 Millionen Euro), an anderer Stelle fehlen. Zum Beispiel sei dies dann der Fall, wenn nachgewiesen wirksame und zum Teil sehr teure Medikamente nicht von den Kassen erstattet werden oder den jungen Patienten vorenthalten werden, weil sie nicht für das Kindesalter zugelassen sind (off-label-use).

Schließlich übte Keller scharfe Kritik daran, dass homöopathische Verfahren heute immer noch nicht mit gleicher Rigidität, Präzision und Objektivität evaluiert werden müssen, wie schulmedizinische Methoden.

Standbein nicht nur bei den Kassen

Ein festes Standbein hat die Homöopathie aber längst nicht nur bei den Krankenkassen. Auch von Ärzten selbst werde die Methode immer wieder – zum Teil sogar durch Veröffentlichungen in renommierten Fachpublikation – propagiert, kritisierte der Herner Naturwissenschaftler Dr. Christian Weymayr in Bad Orb.

Das mit Homöopathika umgesetzte Geld fehlt an anderer Stelle.

Professor Klaus-Michael Keller, Präsident der BVKJ-Tagung

Auch Fortbildungen und Zusatzbezeichnungen trügen innerärztlich zur Aufwertung der Homöopathie bei. Selbst an zahlreichen renommierten Universitäten wie der Charité in Berlin sei die Homöopathie fest verankert. Dabei sei die Methode nicht „ganzheitlich, sondern gänzlich überflüssig“, unterstrich Weymayr in Bad Orb.

Der Münchner Pädiater Professor Walter Dorsch, der sich seit langem mit der Alternativmedizin beschäftigt, stellte die Homöopathie als „modernen Schamanismus“ dar und speziell die Globulisierung von Kindern als „pädagogisches No-Go.“ Besonders fatal ist für Weymayr, dass Kinder, die schon in jungen Jahren bei allen Gelegenheiten regelmäßig „Kügelchen“ bekommen, auch ganz generell schon früh ein unkritischer Umgang mit Arzneien anerzogen wird.

Tagungspräsident Keller gestand zwar abschließend ein, dass Homöopathen viel „Empathie und Zeit“ für ihre Patienten aufbringen würden. Für ausreichend lange Gespräche mit den Eltern fehle im Alltag in der ärztlichen Praxis die Zeit.

Zu wenig Zeit für Zuwendung

Dies konnte der Berliner niedergelassene Kinder-und Jugendarzt Dr. Steffen Lüder nur bestätigen. In seiner Praxis, in der pro Quartal bis zu 1800 Scheine abgerechnet werden, sei die vielfach geforderte sprechende Medizin und intensive Zuwendung zum Patienten nicht möglich. Die sei durchaus ein gravierender struktureller Nachteil der Schulmedizin im Vergleich mit der Homöopathie.

Denn in der Regel könnten es sich niedergelassene Ärzte aus finanziellen Gründen schlichtweg nicht leisten, sich – wie mitunter notwendig – bis zu einer Stunde mit einem einzigen Patienten zu beschäftigen.

Wie zur Homöopathie nutze der BVKJ den Herbst-Kongress des Berufsverbands, um sich etwa auch in der Diskussion zu kindgerechten Nahrungsmitteln politisch zu positionieren. So wurde etwa in Bad Orb ein Werbeverbot für Kinder-Lebensmittel gefordert. Dass solche Verbote für ungesunde Nahrungsmittel die erwünschte Wirkung erzielen, habe bereits das Rauchverbot und die Alkopops-Steuer unter Beweis gestellt.

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