Tumorschmerzen werden häufig nicht ausreichend gelindert

Tumorschmerzen lassen sich bei 90 Prozent der Krebspatienten ausreichend lindern, sofern diese eine adäquate Schmerztherapie erhalten. Bei starken Schmerzen ist meist eine Kombination mehrerer Analgetika mit unterschiedlichen Wirkprinzipien, einschließlich Ko-Analgetika wie Antidepressiva und Antikonvulsiva notwendig, um eine suffiziente Schmerzlinderung zu erreichen. Zudem sollte die medikamentöse Schmerztherapie immer Bestandteil eines schmerztherapeutischen Gesamtkonzepts sein, das außer der Kausaltherapie auch physikalische und psychologische Verfahren zur Schmerzbewältigung enthält.

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Ulrike Maronde

Die meisten Krebskranken haben im Laufe ihrer Erkrankung chronische Schmerzen. Im fortgeschrittenen Stadium sind es mehr als zwei Drittel, im Endstadium etwa 80 Prozent. Schon zum Zeitpunkt der Diagnose hat etwa ein Drittel der Patienten Schmerzen.

Die Schmerzen werden durch den Tumor oder Metastasen ausgelöst, Ursache kann aber auch die Therapie sein. Bei 90 Prozent der Betroffenen könnten die Schmerzen durch eine kausale Behandlung wie Operation, Chemo- oder Strahlentherapie sowie durch eine medikamentöse Schmerztherapie ausreichend gelindert werden.

Umfrage ergibt Defizite bei der Schmerztherapie

Die Realität sieht offensichtlich auch noch im 21. Jahrhundert anders aus: Noch immer viel zu viele Tumorpatienten sind schmerztherapeutisch unterversorgt und leiden unnötig Qualen, bemängelt Professor Michael Zenz von der Universitätsklinik für Anaesthesiologie, Intensiv- und Schmerztherapie, BG-Kliniken Bergmannsheil, in Bochum und Präsident der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes.

Dies hat unter anderem eine EMNID-Umfrage unter 407 Krebspatienten und deren Angehörigen bestätigt. Danach nimmt nur etwa die Hälfte der Krebskranken Schmerzmittel ein. Zwölf Prozent der Befragten erhalten die Schmerztherapie nur unregelmäßig, und fünf Prozent bekommen trotz Nachfrage bei ihrem Arzt keine Schmerzmittel. Bei 24 Prozent werden die Schmerzen nicht thematisiert.

Voraussetzung für eine adäquate Schmerztherapie ist natürlich, daß die Schmerzintensität richtig eingeschätzt wird. Wie stark die Schmerzen eines Patienten sind, läßt sich für den behandelnden Arzt nicht einfach messen wie etwa der Blutdruck. In Studien ist belegt, daß die Einschätzung der Schmerzintensität von Arzt und Patient sehr unterschiedlich ist. Häufig wird die Schmerzstärke vom Arzt unterschätzt.

Bestimmung der Schmerzstärke anhand von Schmerzskalen

Eine relativ zuverlässige Beurteilung der Schmerzintensität ist zum Beispiel mit Hilfe der visuellen Analogskala (VAS) oder der numerischen Schmerzskala möglich. Personen mit kognitiven Einschränkungen und auch Kinder kommen meist mit Smiley-Skalen besser zurecht. Durch Dokumentation der Schmerzen in Schmerztagebüchern läßt sich außerdem der Schmerzverlauf überblicken, und die Therapie kann entsprechend angepaßt werden.

Starke Schmerzen erfordern gleich ein stark wirksames Opioid

Eine Orientierungshilfe bei der medikamentösen Schmerztherapie ist das in den 80er Jahren von der WHO entwickelte Stufenschema. Danach wird bei leichten Schmerzen (Stufe 1) mit einfachen Analgetika behandelt, also mit NSAR oder Metamizol (etwa Novalgin®).

Bei stärkeren Schmerzen (Stufe 2) wird zusätzlich ein niederpotentes Opioid - Tramadol (etwa Tramal®) oder Tilidin / Naloxon (etwa Valoron® N) - eingesetzt. Bei starken Schmerzen wird zusätzlich zum Nicht-Opioidanalgetikum mit einem hochpotenten Opioid behandelt.

Dieses Stufenschema bedeutet nicht, daß man sukzessive Stufe um Stufe erklimmen muß, bis eine angemessene Schmerzlinderung erreicht ist. Vielmehr sollte bei starken Tumorschmerzen sofort mit einem stark wirksamen Opioid behandelt werden. Zur Titrierung auf die individuell erforderliche Dosierung werden orale Retardpräparate eingesetzt: Morphin (etwa MST Mundipharma®), Oxycodon (Oxygesic®), und Hydromorphon (Palladon® Retardkapseln). Auch bei Patienten mit wechselnder Schmerzintensität sind die oralen Retardopioide die Substanzen der Wahl.

Dagegen ist für den Einsatz von transdermalen Retardopioiden ein stabiles Schmerzniveau die Voraussetzung. In Frage kommen das Buprenorphin-Matrix-Pflaster (Transtec®) und das Fentanyl-Matrix-Pflaster (Durogesic® SMAT). Die Opioidpflaster sind vor allem für Patienten mit Magen-Darm-Tumoren oder Schluckstörungen von Vorteil. Sie werden aber auch von vielen Patienten, die solche gastrointestinalen Probleme nicht haben, bevorzugt, da die Pflaster nur alle drei Tage gewechselt werden müssen.

Beim Wechsel von einer oralen Opioidtherapie auf eine transdermale ist zu berücksichtigen, daß etwa acht bis zwölf Stunden vergehen, bis mit einem Pflaster ausreichend hohe analgetische Wirkspiegel erzielt werden. Daher wird empfohlen, das erste Pflaster mit der letzten Dosis des oralen Opioids einzunehmen.

Soll dagegen von der transdermalen Therapie auf eine orale gewechselt werden, ist zu beachten, daß die Wirkung des transdermalen Opioids nach Entfernen des Pflasters noch einige Zeit anhält: Das Opioid wird aus dem Hautdepot, das sich unter dem Pflaster gebildet hat, für weitere zwölf Stunden freigesetzt. Die erste Dosis des oralen Opioids sollte deswegen erst zwölf Stunden nach Entfernen des Pflasters eingenommen werden.



Bei Durchbruchschmerzen sind nicht-retardierte Opioide nötig

Auch wenn Tumorpatienten eine adäquate Opioid-Langzeittherapie in individuell ausreichend hoher Dosierung erhalten, kann es unter Umständen zu Durchbruchschmerzen, das heißt zu vorübergehenden Schmerzspitzen, kommen. Diese können bestenfalls nur wenige Minuten dauern, aber auch bis zu zwei Stunden anhalten. Durchbruchschmerzen können zudem mehrmals täglich auftreten. Häufig werden sie durch unkontrollierte Bewegungen, Husten oder Defäkation ausgelöst.

Bei Durchbruchschmerzen ist eine rasche Linderung erforderlich. Hierzu angewandt werden schnell wirksame - also nicht-retardierte - Opioide, die die Patienten für den Bedarfsfall griffbereit haben sollten. Schnell wirksam sind:

  • Morphin als Tropfen (Morphin Merck Tropfen) oder Tabletten (Sevredol®).
  • Fentanyl zur oralen transmukosalen Therapie als Tablette am Stick (Actiq®), der an der Wangenschleimhaut entlanggerieben wird, so daß das Opioid schnell resorbiert wird.
  • Buprenorphin als Sublingual-Tablette (Temgesic® sublingual).
  • Hydromorphon als schnell freisetzende Kapseln (Palladon® Hartkapseln). (mar)
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