IM GESPRÄCH

"Der Hodenkrebs war das Beste, was mir passieren konnte"

Von Martin Roos Veröffentlicht:

"Mir wurde eine Überlebens-Chance unter 40 Prozent gegeben." Mit diesen Worten blickt ein Patient zurück, der im Alter von 25 Jahren an Hodenkrebs erkrankt war. Einer der prominentesten Patienten mit dieser Erkrankung überhaupt, einer der danach nicht nur zum normalen Leben zurückkehren konnte, sondern sogar Übermenschliches zu leisten vermochte: Lance Armstrong, heute 34, mehrfacher Tour-de-France-Sieger und auch bei der diesjährigen Frankreich-Rundfahrt dominierend.

Der US-amerikanische Radprofi, der eine eigene Krebsstiftung gegründet hat, ist mehr als ein prominenter Krebspatient; er ist Aushängeschild für die Fortschritte der modernen Medizin und Hoffnungsträger für all die vielen Leidensgenossen.

Hodenkrebs wird weltweit immer häufiger

Hodenkrebs wird weltweit immer häufiger. In Deutschland hat sich die Neuerkrankungsrate binnen etwa 30 Jahren nahezu verdoppelt. Bei Männern zwischen 15 und 35 Jahren ist er die meistdiagnostizierte Tumor-Erkrankung. Hinzu kommt, daß er direkt und indirekt die Fruchtbarkeit kosten kann. Direkt wegen der Hodenresektion; indirekt, weil die Behandlung die Samenbildung stört. Wie aggressiv therapiert wird, hängt natürlich vom Erkrankungsstadium ab. Armstrong zum Beispiel mußte mit dem Schlimmsten rechnen. Denn er hatte bereits Metastasen in der Lunge und im Hirn.

"Hodenkrebs gehört zu den bestbehandelbaren Tumoren von Erwachsenen überhaupt", sagt der Onkologe Professor Hans-Joachim Schmoll aus Halle. "Bei optimalem therapeutischem Vorgehen werden 95 Prozent aller Patienten geheilt, alle Stadien zusammengenommen." Selbst wenn es Metastasen gibt, liegen die Heilungsaussichten noch zwischen 75 und 90 Prozent. Und dies nicht etwa nur jenseits des Atlantiks, sondern explizit in Deutschland, das in diesem Sektor - anders als bei manch anderen Formen von Krebs - ganz oben in der Anti-Tumor-Liga mitspielt.

Vor der Behandlung wird eine Samenspende empfohlen

Armstrong hangelte sich von Austin nach Houston und weiter nach Indianapolis durch. Dort machte ihn der Arzt mit einem Therapie-Schema vertraut, das heute noch zum Standard zählt: der Kombination aus Cisplatin, Etoposid und Bleomycin (PEB-Schema).

Doch bevor er mit der Behandlung begann, suchte er ein Zentrum auf, um Samen zu spenden, erzählt der Sportler in seiner Autobiographie. Das wird allen Hodenkrebs-Patienten mit Kinderwunsch empfohlen. Denn, alle Therapieformen zusammengenommen, bleiben nach der Behandlung durchschnittlich 30 von 100 Männern unfruchtbar. Im Fall des Tour-de-France-Champions war nahezu sicher, daß ihn die Chemotherapie endgültig unfruchtbar machen würde.

In Indianapolis erhielt er schließlich aber nicht PEB, sondern ein Therapieschema bestehend aus Vinblastin, Ifosfamid und Cisplatin; zuvor hatte ihm ein Neurochirurg die Hirnmetastasen entfernt. Armstrongs Erinnerungen: "Mein Leben hing am intravenösen Tropf, wurde zur krankhaften Routine: Wenn ich keine Schmerzen hatte, übergab ich mich, und wenn ich mich nicht übergab, dachte ich daran, was ich hatte, und wenn ich nicht darüber nachdachte, was ich hatte, fragte ich mich, wann das alles vorbei sein würde. Das bedeutet Chemo für Dich."

Armstrong fand nach dieser Tortur wieder zu seiner Lebensfreude, Leistungsfähigkeit und am Ende sogar zur Tour zurück. Und das braucht indes kein Einzelfall zu sein. In Norwegen, wo sich die Erkrankungsraten ähnlich wie hierzulande innerhalb der letzten 20 Jahre fast verdoppelt haben, machen Onkologen allen ehemaligen Hodenkrebs-Patienten Hoffnung (Eur. J. Cancer 39, 2003, 1216).

Sportliche Aktivität ist demnach kein Problem. Denn bei einem Vergleich zwischen knapp 1300 Ex-Patienten und Männern der Durchschnittsbevölkerung fiel das Ausmaß der körperlicher Aktivität bei den vormals an Hodenkrebs Erkrankten sogar höher aus. Die norwegischen Ärzte erklären dieses Ergebnis unter anderem damit, daß Krebskranke angesichts der lebensbedrohenden Erkrankung - und nach erfolgreicher Heilung - gesundheitsbewußter lebten als andere.

Armstrong jedenfalls schöpfte aus seiner Krankheit positive Energie und ging soweit zu sagen: "Der Hodenkrebs war das Beste, was mir passieren konnte."

Unerwähnt bleibt in Armstrongs Büchern ein Problem: Spätschäden. Noch nach Jahren kann es zu Nervenstörungen kommen, zu Tinnitus, zu Hörverlust, sehr selten auch zu Sekundärtumoren. Es gilt, die Patienten auch nach vier oder acht Jahren zu regelmäßigen Nachuntersuchungen zu motivieren.

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