HINTERGRUND

Eins von 100 000 Karzinomen verschwindet spontan - aber selbst dann sind Patienten nicht immer geheilt

Von Werner Stingl Veröffentlicht:

Spontane Remissionen oder gar spontane Heilungen sind sehr selten in der Onkologie. Dennoch gibt es zu den meisten Krebsarten glaubwürdige und auch gut dokumentierte Kasuistiken mit überraschend günstigen Wendungen, für die es bislang noch keine plausible Erklärung gibt.

Spontanremission wird oft als Wunderheilung bezeichnet

Auch Wissenschaftler sind an solchen in Publikumsmedien oft als Wunderheilungen bezeichneten Phänomenen interessiert. Denn wenn es gelänge, maßgebliche Mechanismen zu entschlüsseln, die zu Spontanremissionen führen, könnte man vielleicht einigen oder vielen Krebspatienten helfen.

    Das Rätsel der Spontanheilung ist noch nicht gelöst.
   

Als Spontanremission ist definiert, wenn sich eine Krebserkrankung ohne Therapie oder unter einer erfahrungsgemäß nicht erfolgreichen Therapie vollständig, deutlich und dauerhaft oder vorübergehend zurückbildet. Daran hat der niedergelassene Onkologe Dr. Herbert W. Kappauf aus Starnberg bei einer Veranstaltung der Deutschen Krebsgesellschaft in München erinnert.

In der Literatur wird immer wieder angegeben, daß es pro 60 000 bis 100 000 Krebserkrankungen zu einer Spontanremission kommt, sagte Kappauf auf der von Ribosepharm unterstützten Veranstaltung. Es gebe jedoch vielleicht eine erhebliche Dunkelziffer. Denn es könne sich bei so mancher scheinbar erfolgreichen onkologischen Therapie in Wirklichkeit um eine Spontanremission handeln.

Spontanremissionen sind etwa bei Melanomen bekannt

Nach Angaben von Kappauf entfallen weit mehr als die Hälfte aller dokumentierten Spontanremissionen auf vier Krebsarten, bei denen durchaus im Prozentbereich mit einem solchen Ereignis zu rechnen ist: Maligne Melanome, Nierenzellkarzinome, maligne Lymphome und Neuroblastome.

Bei bereits metastasierten Melanomen verschwinden nach Daten aus Fachpublikationen knapp vier bis 15 Prozent der Primärtumoren vollständig. Die Metastasen jedoch bilden sich weitaus seltener mit einer Rate von unter 0,3 Prozent spontan zurück. Dann hat man Metastasen ohne Primärtumor (CUP, Cancer with unknown Primary); Betroffene sterben dennoch. Spontanremissionen sind eben keineswegs gleichbedeutend mit langandauernder Heilung.

Metastasen bei operierten Nierenzellkarzinomen bilden sich nach Angaben in der Literatur bei 0,3 bis acht Prozent der betroffenen Patienten zurück, wobei über 90 Prozent dieser günstigen Verläufe Lungenmetastasen betreffen.

Bei den ohnehin langsam progredienten niedrigmalignen Non-Hodgkin-Lymphomen werden Spontanremissionsraten von bis zu 23 Prozent berichtet. Doch es kommt fast nie zu einer Dauerheilung. Die Lymphome schrumpfen, wachsen aber früher oder später an gleicher oder anderer Stelle wieder.

Auf eine echte Spontanheilung darf man bei Neuroblastomen im Frühstadium bei Kleinkindern hoffen. Das weiß man etwa aus Daten des bundesweiten Neuroblastom-Projekts. In dem Projekt waren einige Jahre in sechs Bundesländern und Stadtstaaten Säuglinge und Kleinkinder routinemäßig auf Neuroblastommarker im Windelurin gescreent worden. In den anderen zehn Bundesländern war darauf verzichtet worden.

Neuroblastome bei Säuglingen verschwinden oft von selbst

Man erkannte, daß sich diese Tumoren offensichtlich regelmäßig spontan zurückbilden. Da eine therapeutische Intervention deshalb womöglich eher schadet denn nützt, wurde das routinemäßige Neuroblastomscreening eingestellt. Säuglinge oder Kleinkinder mit zufällig entdeckten Neuroblastomen in Frühstadien werden erst einmal nur beobachtet.

Gerade bei häufigen Krebsarten wie Bronchial-, Mamma-, Kolorektal-, Magen-, Ovarial- und invasiven Zervixkarzinomen sowie akuten Leukämien sind Spontanremissionen aber eine Rarität, so Kappauf. Man sucht jetzt die biologischen Faktoren, die die auffälligen Unterschiede in der Spontanremissionsrate bei verschiedenen Tumoren bedingen. Theorien dazu gibt es schon jetzt.

Hormondefizit kann Krebszellen untergehen lassen

Krebszellen können verschwinden, wenn sie sich zu normalen Zellen rückdifferenzieren, oder wenn sie untergehen, etwa durch Nekrose. Etwa Hormone, immunreaktive oder anti-angiogenetische Faktoren könnten Krebszellen zum Verschwinden bringen. Vorstellbar ist etwa, daß das mit der Menopause eintretende hormonelle Defizit ein hoch-hormonsensitives Malignom zum Stillstand oder zur Rückbildung bringen kann.

In anderen Kasuistiken sind Spontanremissionen von Tumorknoten zeitlich mit schweren lokalen oder systemischen viralen oder bakteriellen Infektionen assoziiert. Es wird deshalb darüber nachgedacht, inwieweit eine so angeregte Immunaktivierung möglicherweise Tumorzellen hemmen kann.

Man weiß auch, daß nach einer prognostisch ungünstigen unvollständigen Tumorresektion der Tumorrest plötzlich spontan verschwinden kann, sagte Kappauf. Eine mögliche Erklärung ist, daß durch die Operation etwa die Synthese und Ausschüttung anti-angiogenetischer Proteine stimuliert wurden. Die führten zu einer mangelhaften Gefäßversorgung des Resttumors und so zu seinem Aushungern.

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