INTERVIEW

Krebstherapien vor Op retten vielen Patienten die Kontinenz

Multimodale Konzepte in der Therapie bei Harnblasenkrebs und kolorektalem Karzinom können die Prognose verbessern und zur Lebensqualität beitragen. Das gilt zum Beispiel für die Kombination von Bestrahlung, Operation und Chemotherapie. Dies kann vielen Patienten eine Zystektomie ersparen, sagte Professor Rolf Sauer im Gespräch mit Beate Grübler, Mitarbeiterin der "Ärzte Zeitung". Der Erlanger Strahlentherapeut ist der diesjährige Träger Johann-Georg-Zimmermann-Medaille.

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Ärzte Zeitung: Herr Professor Sauer, was sind eigentlich"multimodale Therapiekonzepte"?

Sauer: Das sind Strategien, die mehrere Krebstherapien durch intelligente Abstimmung von Dosierung und Reihenfolge kombinieren. Ziel ist es, die Verträglichkeit zu verbessern und das Leben der Patienten zu verlängern. Dabei gelten unverändert die therapeutischen Grundsätze, nach denen je nach Krankheitsstadium eine primäre Heilung, eine lokale Kuration, die Verhinderung von Fernmetastasen und der Erhalt der Lebensqualität angestrebt werden. Chirurgen, Strahlentherapeuten und internistische Onkologen müssen dabei an einem Strang ziehen. Wir gehen davon aus, daß mit multimodalen Therapiekonzepten bessere Ergebnisse zu erzielen sind, und wir sind auch bereit, diese offenzulegen.

Ärzte Zeitung: Was kann zum Beispiel mit einer Kombination aus Operation, Bestrahlung und Chemotherapie bei Patienten mit Blasenkrebs erreicht werden?

Sauer: Wir können damit vielen Patienten eine Zystektomie ersparen. Wohlgemerkt: Wir sind nicht grundsätzlich gegen die Entfernung der Harnblase bei Patienten, bei denen das aufgrund eines fortgeschrittenen Blasenkarzinoms unumgänglich ist. Aber bei den meisten Patienten ist es gerechtfertigt, zunächst nur den Tumor durch transurethrale Resektion zu entfernen und dann eine Radiochemotherapie anzubieten. Vier von fünf Patienten erzielen so eine komplette Remission. Die Strahlendosis ist niedrig, und es besteht somit kaum die Gefahr einer Schrumpfblase. Als Chemotherapie hat sich eine Kombination aus 5-Fluorouracil (5-FU) und Cisplatin bewährt. Bei einem solchen Vorgehen ist die Fünf-Jahres-Überlebensrate nicht schlechter als nach einer klassischen Tumoroperation mit Zystektomie, die stadienabhängig bestenfalls zwischen 50 und 70 Prozent liegt.

Ärzte Zeitung: Konzepte, die eine präoperative Radiochemotherapie vorsehen, stoßen auf wenig Akzeptanz. Sie haben gegen anfängliche Widerstände diese Therapie bei Patienten mit Rektumkarzinom durch klinische Studien in ihrer Klinik, aber auch weltweit als Standard etabliert. Wie sehen die Ergebnisse aus?

Sauer: Beim Rektumkarzinom im UICC-Stadium II und III - das sind die mittleren Stadien ohne Fernmetastasierung - ist die totale mesorektale Exzision das Standardverfahren. Dabei wird der Tumor einschließlich des umgebenden Fett- und Bindegewebes (Mesorektum) entfernt. Allein dadurch kann das Rezidivrisiko erheblich gesenkt werden. Zusätzlich erhalten die Patienten eine Radiochemotherapie, damit wurde aber bisher erst nach der Operation begonnen. Wird die Reihenfolge aber umgedreht, also erst Radiochemotherapie und dann die Op, steigt die Effektivität.

In einer deutschen Studie betrug die Rezidivrate nach präoperativer Therapie nur sechs Prozent, bei postoperativer Behandlung dagegen 13 Prozent. Wir gehen davon aus, daß ein noch intakter Tumor empfindlicher auf die Strahlen reagiert, weil die Gefäßversorgung noch existiert. Außerdem ist die präoperative Therapie verträglicher. Aber am wichtigsten ist wohl, daß nach einer solchen Vorbehandlung der Tumor häufig ohne Entfernung des natürlichen Darmausganges reseziert werden kann. Eine den Sphinkter erhaltende Operation gelang in der schon erwähnten Studie bei 39 Prozent der präoperativ behandelten Patienten, aber nur bei 19 Prozent, wenn die Patienten sofort operiert wurden.

Ärzte Zeitung: Der Ansatz - weniger Rückfälle bei besserer Lebensqualität - ist vielversprechend. Aber haben die Patienten mit multimodalen Konzepten auch einen Überlebensvorteil?

Sauer: Sowohl beim Harnblasenkarzinom als auch beim Rektumkarzinom schnitten die neuen Konzepte zumindest nicht schlechter ab als die bisherigen Standardverfahren. Beim Rektumkarzinom konnte mit der präoperativen Radiochemotherapie das Risiko für Lokalrezidive weiter gesenkt werden, allerdings gab es bisher noch keine signifikanten Unterschiede in der Häufigkeit von Fernmetastasen und im Gesamtüberleben. In einer Vergleichsstudie wird nun geprüft, ob sich durch Hinzunahme moderner Chemotherapeutika wie Oxaliplatin die Ergebnisse mit dem präoperativen Konzept noch weiter verbessern lassen.

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