DNA-Winzlinge sind begehrte Objekte der Krebsforscher

BONN/BERN (ddp). Krebsforscher hoffen seit Kurzem auf einen neuen Therapie-Ansatz: Winzige künstliche Erbgut-Schnipsel, so genannte Oligonukleotide, werden in die Krebszellen hineingeschleust und sollen diese gezielt in den Tod schicken.

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Einer jener Forscher, die auf die Oligonukleotide - auch als Oligos bezeichnet - setzen, ist Professor Gunther Hartmann. In seinem Labor an der Universität Bonn sterben sämtliche Krebszellen in den Glasschalen, wenn er das Oligo 3pRNA dazu gibt. Gleichgültig, ob es sich um Zellen aus Haut-, Brust-, Eierstock- oder Darmkrebs oder aus Hirntumoren handelt. "Die gehen alle ein", schildert Hartmann. Gesunde Zellen überleben 3pRNA dagegen. Auch gerade erst abgeschlossene Untersuchungen an Mäusen mit Hautkrebs seien viel versprechend verlaufen, lässt der Tumorvirologe durchblicken.

CpG-Oligonukleotide werden bereits klinisch geprüft

Ein anderes Oligonukleotid-Präparat namens CpG hat Hartmann gemeinsam mit dem amerikanischen Forscher Professor Arthur Krieg entwickelt, ein Pionier auf diesem Forschungsgebiet. Das US-Unternehmen Coley Pharmaceuticals hat die Substanz in einer klinischen Studie an 111 Patienten mit einer besonders schweren Form des Lungenkrebses getestet. Der Hälfte der Patienten wurde CpG gespritzt und zusätzlich eine Chemotherapie verabreicht, die übrigen wurden nur der Chemotherapie unterzogen.

Ergebnis: In der Gruppe mit der Kombinationstherapie schrumpfte der Tumor bei mehr als doppelt so vielen Patienten, und die Überlebenszeit nach dem Eingriff verlängerte sich von knapp sieben Monaten auf etwas mehr als ein Jahr, wie das Unternehmen mitteilt. Derzeit wird CpG in einer klinischen Studie bei etwa 800 Patienten geprüft.

Und auch die anderen Beteiligten hegen große Hoffnungen gegenüber den Oligos: In Mäusen mit Darmkrebs etwa kann Hartmann mit CpG zentimetergroße Tumoren komplett zum Verschwinden bringen. "Zwar haben Tierversuche sicherlich ihre Begrenzungen. Aber bisher ist es äußerst selten gelungen, einen solch großen Tumor zu heilen", kommentiert Hartmann. Allerdings machen nur bestimmte Oligos Tabula rasa im Krebsgeschwür: Die künstlichen Exemplare, die Hartmann verwendet, kommen auch im Erbgut von bestimmten Viren, etwa Tollwut- oder Grippeviren vor. Sie dienen dort als eine Art Stempel, mit dem die Eiweißbauanleitungen in den Zellen markiert werden. Nistet sich ein Virus in eine gesunde Körperzelle ein, so bemerkt die Zelle den Eindringling nur an den fremden Stempeln. "Anhand der Oligos erkennt jede Körperzelle blitzschnell eine Virusinfektion", fasst Hartmann zusammen. Die Zelle reagiert prompt auf den Befall: Sie begeht Selbstmord. Während sie im Sterben liegt, sendet sie Hilferufe an das Immunsystem. Das beseitigt daraufhin alle restlichen Zellen, die vom Virus befallen sind. "Bis das Immunsystem in dieser Weise reagiert, dauert es allerdings etwa eine Woche", erklärt Hartmann, "dieser Reaktion geht die Früherkennung über die Oligos voraus."

Die Macht der Oligos, Zellen in den Tod zu schicken, nutzen Krebsforscher aus, indem sie die Oligonukleotide künstlich nachbauen. Maschinen fügen die einzelnen Bausteine in wenigen Stunden zusammen. Danach wird der Wirkstoff ins Tumorgewebe gespritzt und gaukelt den Krebszellen eine Virusinfektion vor. Diese leiten daraufhin den Zelltod ein und alarmieren das Immunsystem.

"Das sollte bei allen Krebsformen funktionieren", sagt Hartmann. "Wir hoffen, dass die Oligos zum festen Bestandteil der Therapie werden." Einen Haken hat der Ansatz allerdings: Zwar reagieren die Tumorzellen empfindlicher auf die Oligos als gesunde Körperzellen, aber auch diese können mit in den Tod gerissen werden. "Es wäre von Vorteil, wenn intakte Zellen vollständig verschont würden", räumt Hartmann ein.

Dennoch ist auch Privatdozent Uwe Zangemeister-Wittke, Tumorpharmakologe an der Universität in Bern, überzeugt, dass die künstlichen Erbgut-Schnipsel Krebs wirksam bekämpfen können. Daneben sieht er weitere Vorteile im Vergleich zu bereits etablierten Therapien wie der Chemotherapie: "Oligos sind nicht so aggressiv. Sie haben praktisch keine Nebenwirkungen. Das ist ihr großer Vorzug."

STICHWORT

Oligonukleotid CpG

CpG sind Bereiche innerhalb eines Nukleinsäure-Stranges, in denen die Bausteine Cytosin (C) und Guanin (G) unerwartet häufig vorkommen. Das p steht für eine Phosphatgruppe, die beide Bausteine verbindet. Die Motive sind ein Hinweis darauf, dass in der Nähe ein Gen liegt. Kurze CpG-Moleküle sind äußerst wirksame Immunadjuvanzien. Sie wirken wie etwas, das den Immunzellen Gefahr signalisiert und B-Zellen anregt, Immunglobuline zu synthetisieren. Offenbar stimuliert das CpG-Motiv auch T-Helferzellen vom Typ 1. Charakteristikum dieser Zellen ist die Synthese der Zytokine Interferon-gamma und Interleukin 12. Dagegen wird die Sekretion von Interleukin 4 und Immunglobulin 4 sowie die Freisetzung von Histamin eher unterdrückt.

(ple)

Kurze Nukleinsäure-Moleküle treiben Zellen in den Selbstmord.

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