Interview zum Galenus-Forschungspreis

"In Deutschland wird gute Forschung betrieben"

"Wir benötigen noch viele neue Medikamente auf allen Gebieten der Medizin", betont der Kölner Kardiologe und Galenus-Jury Präsident Professor Erland Erdmann. Mit großem Aufwand werde vor allem zu kardiovaskulär und antitumoral wirksamen Pharmaka geforscht.

Veröffentlicht:
"Uns bringen nur exzellente Ausbildung und kompetitive Grundlagenforschung weiter." Professor Erland Erdmann, Jury-Präsident des Galenus-von-Pergamon-Preis

"Uns bringen nur exzellente Ausbildung und kompetitive Grundlagenforschung weiter." Professor Erland Erdmann, Jury-Präsident des Galenus-von-Pergamon-Preis

© Erdmann

Ärzte Zeitung: Was macht den nun seit einem Viertel Jahrhundert verliehenen Galenus-von-Pergamon-Preis für herausragende Arzneimittel-Innovationen so attraktiv?

Professor Erland Erdmann: Historisch gesehen wissen wir, dass Galen gerade auch als Arzt für die verletzten Gladiatoren ständig auf der Suche nach neuen, wirksameren Medikamenten war und dabei auch sehr erfolgreich wirkte. Wenn wir heute daran anknüpfend eine herausragende Medikamenten-Innovation mit diesem Preis auszeichnen, ist allen Fachleuten klar, dass hier echte und hilfreiche Innovationen auf den Schild gehoben werden.

Ärzte Zeitung: Welchen Vorteil hat die Einführung der beiden Kategorien "Primary Care" und "Specialist Care" beim Galenus-Preis gebracht?

Erdmann: In der Vergangenheit hat die Jury bei Medikamenten, die nur für wenige Krankheiten - behandelt durch einen hochspezialisierten Arzt - wichtig waren, bei der Entscheidungsfindung gelegentlich Schwierigkeiten gehabt. Eine Arznei-Innovation, die sehr vielen Kranken zugute kommt, ist vordergründig wichtiger. Jetzt brauchen wir diese kontroverse Diskussion nicht mehr zu führen. Unabhängig von der Zahl der profitierenden Patienten geht es nur noch um die Innovation an sich, sowohl für einen Großteil der Erkrankten als auch für die wenigen mit komplexen Gesundheitsstörungen.

Ärzte Zeitung: Die Indikationsgebiete der diesjährigen Galenus-Kandidaten reichen von der Schmerztherapie über die Dermatologie und die Neurologie bis zur Kardiologie. Spiegelt das in etwa die Realität bei den aktuellen Innovationen?

Erdmann: Ja, es ist tatsächlich ein breites Spektrum von neuen Medikamenten, die um den Galenus-Preis kandidieren. Auch kardiovaskuläre und Krebsmittel müssten noch genannt werden. Auf allen diesen Gebieten hat es tatsächlich bemerkenswerte Innovationen gegeben.

Ärzte Zeitung: In welchen Indikationsgebieten ist der Bedarf an Innovationen am größten?

Erdmann: Natürlich benötigen wir innovative Pharmaka bei den großen Volkskrankheiten Diabetes, KHK, Hypertonie, maligne Erkrankungen. Denken Sie nur daran, dass wir bei manchen oralen Antidiabetika im Augenblick nur wissen, dass sie den Blutzucker senken, aber wir wissen nicht, ob die Menschen auch länger ohne Schlaganfall und Herzinfarkt leben. Außer bei den Statinen haben wir leider wenig Evidenz-basierte Arzneimittel, die bei KHK erfolgreich eingesetzt werden können. Bei vielen soliden Karzinomen wird die Lebenserwartung selbst durch modernste Medikamente nur relativ geringfügig verbessert. Und manchmal verstehe ich unsere moderne Pharmakotherapie nicht - ohne depressiv zu werden -, wenn wir bei Endokarditis oder Sepsis mal wieder erfolglos gekämpft haben. Wir benötigen noch viele neue Medikamente auf allen Gebieten der Medizin!

Ärzte Zeitung: In welchen Indikationen ist in nächster Zeit der größte Zuwachs an pharmakologischen Innovationen zu erwarten?

Erdmann: Es tut sich viel auf dem Gebiet der kardiovaskulär und natürlich bei den antitumoral wirksamen Pharmaka. Hier wird mit großem Aufwand geforscht - irgendwann wird der nächste Durchbruch auch kommen.

Ärzte Zeitung: Welchen Stellenwert hat inzwischen die Biotechnologie in der Arzneimittelentwicklung?

Erdmann: Sowohl bei der Aufklärung molekularer Krankheitsursachen als auch bei der Entwicklung neuer Diagnostika oder spezieller Medikamente gibt es immer mehr biotechnologische Verfahren. Denken Sie nur an die Therapie mit Antikörpern, neue Impfstoffe oder die Biochips. Eines Tages werden wir gewiss mit der Gentherapie oder mit gezüchteten Geweben - dem tissue engineering - körpereigene Transplantate zur Verfügung haben. Versuche mit Stammzellen sind im Augenblick ja nicht besonders erfolgreich verlaufen. Dies kann sich aber rasch ändern, wenn wir mit den richtigen Wachstumsfaktoren intervenieren können. Der Fortschritt geht in diese Richtung.

Ärzte Zeitung: Wie würden Sie die aktuelle Förderung der Entwicklung pharmakologischer Innovationen hier beschreiben - Stichwort "Pharma-Initiative für Deutschland"?

Erdmann: Die meisten Wissenschaftler, aber auch die meisten Arzneimittelentwickler denken heute nicht mehr national. Zum einen wechseln Pharmafirmen ihre Standorte wahrscheinlich je nach der Steuergesetzgebung oder nach anderen Merkmalen. Zum anderen interessiert es mich als Arzt doch gar nicht, ob ein wirksames Medikament aus Deutschland, Belgien oder den USA kommt. Man mag traurig darüber sein, dass die meisten Innovationen von jenseits des Rheins oder der Atlantikküste kommen, aber das spielt in der heutigen globalen Welt doch keine wirkliche Rolle mehr. Die meisten meiner Mitarbeiter haben mindestens zwei Jahre in den USA, in England oder Schweden gearbeitet. Nationale Grenzen sind für diese Kolleginnen und Kollegen irrelevant. Auch Wissenschaftler gehen dort hin, wo man ihnen die besten Arbeitsbedingungen bietet.

Ärzte Zeitung: Was muss sich in der Forschungsförderung künftig ändern?

Erdmann: Meine wissenschaftliche Erfahrung sagt mir, dass man dort Forschung am besten fördert, wo neben einem kompetitiven elitären Klima frei geforscht werden kann. Letzten Endes bringen uns nur exzellente Ausbildung und kompetitive Grundlagenforschung weiter.

Ärzte Zeitung: Welche Stärken hat derzeit der Forschungsstandort Deutschland?

Erdmann: Wenn man sich die guten wissenschaftlichen Publikationen auf pharmakologischem Gebiet in Deutschland anschaut, dann darf man beruhigt sein: Hier wird gute Forschung betrieben. Nicht umsonst haben wir auch in der Kategorie Grundlagenforschung exzellente Kandidaten für den Galenus-Preis. Ich glaube, wir haben derzeit sehr gut ausgebildete Wissenschaftler, die es mit allen Standorten in der Welt aufnehmen können. Man darf andererseits aber auch nicht verlangen, dass bei der Forschung - und wenn sie noch so gut ist - wöchentlich eine großartige Innovation abfällt.

Die Fragen stellte Peter Leiner

Alle Artikel zum Galenus-von-Pergamon-Preis 2010 finden Sie auf unserer Sonderseite

Mehr zum Thema
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Weniger Rezidive

Hustenstiller lindert Agitation bei Alzheimer

Lesetipps
Experten fordern von Bund und Ländern verbindliche Vorgaben für die Kooperation von Rettungsleitstellen (Bild) und ärztlichem Bereitschaftsdienst.

© Heiko Rebsch / dpa / picture alliance

Reform des Rettungsdienstes

Bereitschaftsdienst und Rettungsleitstellen sollen eng aneinanderrücken

Die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung steht in vielen Ländern vor großen Herausforderungen. Ein Arzt aus Israel fordert deshalb mehr Zusammenarbeit.

© Vladislav / stock.adobe.com

Weiterentwicklung der Versorgung

Experte: Bei der Transformation international die Kräfte bündeln!

KBV-Chef Dr. Andreas Gassen forderte am Mittwoch beim Gesundheitskongress des Westens unter anderem, die dringend notwendige Entbudgetierung der niedergelassenen Haus- und Fachärzte müsse von einer „intelligenten“ Gebührenordnung flankiert werden.

© WISO/Schmidt-Dominé

Gesundheitskongress des Westens

KBV-Chef Gassen fordert: Vergütungsreform muss die Patienten einbeziehen