Zukunftsvision

"Krebsmedikamente für Centbeträge"

Nationaler Krebsplan, intelligente Konzepte und finanzierbare Innovationen: Die Onkologie steht vor großen Aufgaben. Im Interview wagt Professor Michael Hallek, Präsident des 31. Deutschen Krebskongresses, einen Blick in die Zukunft.

Von Dr. Johannes Weiss Veröffentlicht:
Professor Michael Hallek und Dr. Anna Guastafierro im Labor.

Professor Michael Hallek und Dr. Anna Guastafierro im Labor.

© Mathias Ernert, Uniklinik Köln

Ärzte Zeitung: Der 31. Deutsche Krebskongress findet vom 19. bis 22. Februar 2014 in Berlin statt. Erstmals wird er gemeinsam von der Deutschen Krebsgesellschaft und der Deutschen Krebshilfe ausgetragen. Welche Bedeutung hat das für den Kongress?

Professor Michael Hallek: Zum einen haben sich damit zwei wesentliche Organisationen der deutschen Krebsforschung und Forschungsförderung sowie der Gestaltung des Themas Krebs in der Öffentlichkeit zusammengetan und wollen ihre Interessen in Zukunft gemeinsam vertreten, was äußerst begrüßenswert ist.

Zum zweiten wird durch das Engagement der Krebshilfe der Kongress etwas unabhängiger von industrieller Unterstützung. Es ist sicherlich eine gute Entwicklung, wenn man versucht, solche Kongresse nicht nur an der finanziellen Förderung durch die Industrie festzumachen.

Außerdem können die auf dem Kongress diskutierten Themen mit der gebündelten Medienarbeit beider Gesellschaften öffentlich gemacht und kommuniziert werden.

Was war der Grund für diese Zusammenarbeit der beiden Gesellschaften?

Hallek: Krebshilfe und Krebsgesellschaft hatten sich schon seit geraumer Zeit überlegt, in mehreren Bereichen enger zusammenzuarbeiten. Ein Thema war hierbei eben auch die gemeinsame Gestaltung des Krebskongresses, beide Organisationen treten aber auch immer häufiger zusammen in politischen Gremien auf.

So erfolgte die Abstimmung des Nationalen Krebsplans sehr eng zwischen beiden Gesellschaften, aber auch bei Behandlungsempfehlungen wird kooperiert. Die Zusammenarbeit ist vielschichtig. Beide wollen in Zukunft gemeinsam an einem Strang ziehen, und der Krebskongress ist eine Art Symbol dafür.

Welche weiteren Neuerungen wird es auf dem Krebskongress geben?

Hallek: Es gibt eine ausschließlich gemeinsame Ausgestaltung der politischen Foren. Jeder Krebskongress hat seine politischen Themen, und hierzu gibt es nun ein gemeinsames Konzept, welche Felder platziert werden sollen.

Hier spielt auch der Nationale Krebsplan eine wesentliche Rolle und die Überlegung, wie sich dieser umsetzen lässt und wie sich verschiedene Themen vernetzen lassen. Abgesehen davon wollen wir eine stärkere Betonung auf die Abstracts in den Postersitzungen legen und die Attraktivität dieser Sitzungen steigern.

Weiterhin haben wir konsequent versucht, in allen wissenschaftlichen Sitzungen einen Leitgedanken durchzusetzen. Bei einem bestimmten Thema wie beispielsweise dem Mammakarzinom, wird es daher nicht mehr so sein, dass Gynäkologen, Strahlentherapeuten oder Internisten ihre Sitzungen nacheinander abhalten, sondern die Veranstaltung wird für alle gemeinsam ablaufen.

Das Konzept wird für die weitaus meisten Krankheitsbilder gelten. So wollen wir eine Verzahnung der Themen erreichen, wie es sie bisher eigentlich auf keinem internationalen Kongress zum Thema Krebs gibt. Das ist sowohl wissenschaftlich als auch im Hinblick auf die Fortbildung sehr reizvoll.

Sie hatten die politische Dimension des Kongresses angesprochen....

Hallek: Ja, wir werden uns vor allem denjenigen Themen widmen, die im Nationalen Krebsplan verabschiedet worden sind. Beispielsweise werden die Psychoonkologie und die Finanzierung im Rahmen der Regelversorgung einen breiten Raum einnehmen, aber auch die Weiterentwicklung von Krebszentren und deren Finanzierung.

Ein weiteres Thema wird der Wunsch einer effizienten Krebsbehandlung für alle sein und die Frage, wie sich dies im Hinblick auf die unglaubliche Beschleunigung im Forschungsgeschehen realisieren lässt.

Sorge macht mir persönlich die Sicherung von Innovationen und die ausreichende Unterstützung von klinischer und Versorgungsforschung, weil wir nur dann neue Prinzipien in die Onkologie einführen können.

Wie könnte man Ihrer Meinung nach dem Dilemma entkommen, Patienten Neuerungen zugutekommen zu lassen, dies aber finanzierbar zu halten?

Professor Dr. Michael Hallek

Ausbildung: Professor Dr. Michael Hallek studierte Medizin in Regensburg, München und Paris und absolvierte anschließend eine klinische und wissenschaftliche Ausbildung als Hämatologe und Onkologe in München und Harvard.

Werdegang: 1994 gründete er die Deutsche CLL-Studiengruppe, die weltweit größte Studiengruppe zur chronischen lymphatischen Leukämie, deren Leitung er seitdem auch inne hat. Seit dem Jahr 2003 ist er Direktor der Medizinischen Klinik I für Innere Medizin der Universität zu Köln und seit 2007 auch des Centrums für Integrierte Onkologie (CIO), das zweimal als onkologisches Spitzenzentrum ausgezeichnet wurde.

Auszeichnung: Für seine wissenschaftliche Arbeit wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Seit 2011 ist er Mitglied der Leopoldina. Dem 31. Deutschen Krebskongress vom 19. bis 22. Februar in Berlin wird er als Präsident vorstehen.

Hallek: Es wird in den nächsten 30 bis 40 Jahren eine Phase geben, in der wir in der Onkologie sehr viele Neuheiten bekommen werden, von denen die meisten sicherlich ein Segen für die Patienten sein werden. Wir müssen dafür sorgen, dass wir diese Therapien den Patienten auch zur Verfügung stellen.

Alles andere würde unsere Gesellschaft verändern: Eine optimale Behandlung nur nach Barzahlung oder finanzieller Beteiligung würde das Solidarsystem unterhöhlen.

Daher kämpfe ich um den Erhalt des Systems in unserem Land, in dem alle Menschen, die krank werden, die wesentlichen medizinischen Leistungen erhalten. Das zu bewahren, wird eine historische Aufgabe sein.

Und wie könnte sich diese Aufgabe Ihrer Ansicht nach lösen lassen, ohne dass das System kollabiert?

Hallek: Auf die längere Perspektive habe ich keine allzu große Sorge, dass das System nicht mehr finanzierbar sein wird. Die neuen Medikamente, die heute viel kosten, werden in 30 Jahren größtenteils für Centbeträge herzustellen sein. Dann wird man auf die lange Sicht hin Erkrankungen wie beispielsweise ein kolorektales Karzinom mit Substanzen behandeln können, die vielleicht so viel kosten wie Aspirin.

Die neuen Wirkstoffe sind häufig orale Medikamente, die sich relativ leicht synthetisieren lassen. Ich glaube, dass wir vor allem die patentgeschützte Phase überbrücken und darauf achten müssen, dass Exzesse in der Preisgestaltung durch kluge Verhandlungen mit den Pharmafirmen verhindert werden.

Außerdem müssen wir dafür sorgen, dass die neuen Medikamente auch zielgerichtet eingesetzt werden, denn häufig wirken sie nur bei einem Teil der Patienten. Es wird die Aufgabe der klinischen Forschung sein, herauszufinden, bei welchen Patienten und in welcher Kombination diese Medikamente wirken und dies schnell umzusetzen.

Deshalb fordere ich auch, dass wir speziell in Deutschland mit seiner privilegierten wirtschaftlichen Situation unser Gesundheitssystem so ausrichten, dass wir praktisch alle neuen Medikamente in der Routinebehandlung durch klinische Forschung begleiten. Dann würden wir nämlich rasch wissen, was etwas bringt und was nicht.

Dies lässt sich aber nur in einem akademisch oder unabhängig organisierten Forschungsgeschehen realisieren. Wenn wir dies zum Prinzip in der Krebsbehandlung machen würden, wäre die Lösung für die Finanzierung wahrscheinlich ziemlich einfach.

Ein Leitthema des Krebskongresses werden intelligente Konzepte in der Onkologie sein, kurz iKON. Was genau ist darunter zu verstehen?

Hallek: Wir haben im Grunde genommen versucht, in einem bildlich gut fassbaren Begriff wie iKON zu sagen, was wir gerne auf dem Kongress darstellen möchten. Was meint in diesem Zusammenhang intelligent? Zum einen ist es die Interdisziplinarität.

Durch die ausufernde Spezialisierung in der Onkologie weiß kein Arzt mehr, wie genau der einzelne Patient zu behandeln ist, sodass die Therapieentscheidung auf mehrere Schultern verteilt werden muss. Der Arzt gibt also ein Stück weit seine Entscheidungskompetenz an ein Gremium ab.

Wir setzen uns zusammen, überlegen und entscheiden dann, was mit dem Patienten geschieht. Und häufig sieht diese Entscheidung dann ganz anders aus, wenn Chirurg, Strahlentherapeut und andere Disziplinen ihre Meinungen mitteilen, als wenn man die Entscheidung alleine trifft. Interdisziplinarität heißt, dass bei jedem Patienten die wesentlichen Fachdisziplinen mitreden.

Der nächste Punkt ist die Innovation. Unser Gebiet entwickelt sich so rasend schnell, dass es wichtig ist, die Innovationen auch zum Patienten zu bringen. Das kann am besten durch klinisch angewandte Forschung geschehen. Daher wollen wir, dass Deutschland die Strukturen prägt, um solch eine Forschung weiter zu ermöglichen und zu beschleunigen.

Der dritte Punkt ist die Individualisierung. Alle diese Entwicklungen laufen darauf hinaus, dass man Patienten individuell behandelt, nicht nur im Hinblick auf ihre Persönlichkeit und Eigenheiten. Auch die Diagnose muss individualisiert gestellt werden, sodass molekulare Signaturen des Tumors bestimmen, welche Medikamente eingesetzt werden. Onkologie wird eine immer stärker individualisierte Medizin werden.

Dies erklärt auch das Paradoxon, dass wir auf der einen Seite eine wachsende Spezialisierung haben, auf der anderen Seite aber dieses Spezialwissen am Patientenbett zusammentragen müssen.

Als weiteres Ziel bezeichnen Sie es, innovative Forschungsstrukturen zu stärken. Wie stellen Sie sich das vor?

Hallek: Es muss ausreichend Fördermittel für junge Wissenschaftler geben, die eine Idee haben und nicht nur für die programmorientierte Großforschung einiger Einrichtungen oder Firmen.

Zurzeit beobachten wir mit Sorge, dass die Förderraten für junge Wissenschaftler bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft eher nach unten gehen. Man spricht von Akzeptanzraten zwischen 10 und 20 Prozent, eine Quote, die in den USA zum Exodus junger Forschungstalente geführt hat.

Eine Akzeptanzquote zwischen 30 und 50 Prozent schafft genügend Anreize für junge Wissenschaftler, sich um Forschungsgelder zu bewerben.

Zweiter Punkt: Wir müssen klinische Studien entbürokratisieren. Sie sind mittlerweile so teuer geworden, dass sie nur noch mit Unterstützung von Großforschungseinrichtungen oder mit Industrieförderung durchgeführt werden können.

Das ist eine falsche Entwicklung, die de facto zu einer Monopolisierung des Erkenntnisgewinns in der Hand weniger führt.

Wo sollte man ansetzen mit der Entbürokratisierung? Nur bei der Forschung oder auch an anderer Stelle?

Hallek: Es kann nicht sein, dass wir das Wesentliche unseres Berufs, nämlich die Arbeit am und mit dem Patienten, immer mehr aus den Augen verlieren, weil der gesamte Apparat immer mehr bürokratische und Dokumentationsaufgaben mit sich bringt. Einige davon sind sicherlich sinnvoll, aber manches ist einfach zu viel.

Ein großes Problem ist hierbei auch die zergliederte Informationstechnologie im Gesundheitswesen mit fehlenden Schnittstellen zwischen den unterschiedlichen Anbietern, sodass immer wieder die gleichen Daten neu eingegeben werden müssen.

Es gibt hier also viel zu tun, um unser Gesundheitssystem effizienter und auch preiswerter zu machen. Das erfordert politischen Gestaltungswillen und eine geschlossene Ärzteschaft.

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