Schichtdienst

Wie Arbeitszeit und "innere Uhr" die Krebsgefahr beeinflussen

Schichtarbeit erhöht das Risiko für Krebs, Diabetes und Herz-Kreislauferkrankungen, belegen Studien. Wie stark die Gefahr wächst, hängt davon ab, wann gearbeitet werden muss und welcher Typ man ist: Nachteule oder Frühaufsteher.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:

KÖLN. Schichtarbeit ist auf Dauer nicht gesund: Das Risiko für Krebs, KHK, Diabetes und viele andere Erkrankungen ist nach Studiendaten bei solchen Menschen erhöht, die über Jahre hinweg zu nachtschlafender Zeit ihren Dienst verrichten.

Möglicherweise wird dieses Risiko bei einigen Menschen noch deutlich unterschätzt: Bei solchen, die dann arbeiten, wenn es ihrem genetisch festgelegten Chronotyp am stärksten widerspricht. Dazu zählt etwa der Frühaufsteher, der zur Spätschicht eingeteilt wird, oder die Nachteule, die morgens um vier aufstehen muss.

Der Chronotyp sollte daher bei der Einteilung zur Schichtarbeit stärker berücksichtigt werden, forderten Experten auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) in Köln.

Professor Thomas Erren von der Uniklinik Köln machte dies am Beispiel des Krebsrisikos deutlich. Karzinogene Effekte einer gestörten Chronobiologie sind schon lange aus Tierexperimenten bekannt: Entfernt man bei Nagern den zentralen Taktgeber, den Nucleus suprachiasmaticus, dann wachsen injizierte Tumorzellen deutlich schneller.

Auch haben Lichtimpulse während der Schlafenszeit von Tieren eine krebsfördernde Wirkung. Aufgrund solcher Studien hatte die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) im Jahre 2007 Schichtarbeit, die zu zirkadianen Störungen führt, als "wahrscheinlich krebserregend beim Menschen" eingestuft.

Erhöhtes Brustkrebsrisiko

Schaute man sich hingegen epidemiologische Studien an, so war der Zusammenhang damals weniger klar: Sieben Studien deuteten auf ein etwa 40 bis 50 Prozent erhöhtes Risiko für Brustkrebs, zwei Analysen zu Prostatakrebs lieferten uneinheitliche Ergebnisse.

Inzwischen, so Erren, seien 27 weitere Untersuchungen hinzugekommen, darunter allein zwölf zu Brustkrebs, und von diesen hätten zehn ein signifikant erhöhtes Krebsrisiko bei Schichtarbeiterinnen ergeben. Dagegen deuteten nur drei von fünf Studien zu Prostatakrebs auf ein erhöhtes Risiko bei Männern mit Schichtarbeit.

Erren geht jedoch davon aus, dass diese Ergebnisse deutlich verzerrt sind, weil in den meisten Studien der Chronotyp nicht berücksichtigt wurde. Ähnlich wie bei einem stofflichen Karzinogen müsse auch bei der Schichtarbeit berücksichtigt werden, in welchem Umfang die Betroffenen dem schädlichen Einfluss ausgesetzt sind.

Geht man von den Tierexperimenten aus, entspreche die Karzinogendosis bei Schichtarbeitern dem Ausmaß der Chronodisruption, also der Abweichung von der genetisch festgelegten biologischen Nacht oder der Innenzeit.

Ein Beispiel: Steht ein Spättyp mit einer biologischen Nacht zwischen 24 Uhr und 8 Uhr bereits um 4 Uhr auf, weil er um 6 Uhr arbeiten muss, wäre der Rhythmus um vier Stunden verschoben. Bei einem Frühtypen, der normalerweise zwischen 22 und 6 Uhr schläft, beträgt die Chronodisruption unter gleichen Bedingungen hingegen nur zwei Stunden. Die Karzinogendosis wäre nach diesem Modell dann nur halb so hoch.

Chronotyp bei Schichteinteilung berücksichtigen

Dies lässt sich auch in Studien abbilden. Als ersten Hinweis wertet Erren eine Analyse zur Brustkrebsrate von dänischen Militärangestellten. Für Frauen, die mehr als rund 900 Nachtschichten absolvierten, ließ sich ein deutlich erhöhtes Brustkrebsrisiko berechnen. Dieses hing aber vom Chronotyp ab.

Bei Nachteulen, die zumindest in der frühen Nacht noch fit sind, ist die Chronodisruption am geringsten. Für sie ist nach den dänischen Daten das Brustkrebsrisiko in etwa verdoppelt, bei den Lerchen im Vergleich zu Frauen ohne Schichtarbeit hingegen vervierfacht - bei ihnen ist auch die Chronodisruption am stärksten.

Erren forderte daher auf dem Kongress einen "Paradigmenwechsel" in der Definition von Schichtarbeit - diese müsse den Chronotyp mit einbeziehen.

Dem stimmte auch DGSM-Präsident Dr. Alfred Wiater zu: "Die innere Uhr geht bei jedem anders. Für Spättypen sind Frühschichten besonders belastend, für Frühtypen Spätschichten."

Der Chronotyp sollte daher bei der Schichteinteilung besser berücksichtigt werden. "Tun wir das nicht, führt das zu ernsten Folgen."

Leben in Dauerdämmerung

Solche Folgen müssen vermutlich jedoch nicht nur Schichtarbeiter fürchten, sondern in gewissem Ausmaß jeder, dessen Schlaf durch das enge Alltagskorsett zu kurz kommt oder nicht im biologisch festgelegten Zeitfenster erfolgt - und das sind wohl die meisten von uns.

Ein Hinweis darauf ist die verlängerte Schlafzeit am Wochenende und an anderen freien Tagen: Die Mehrheit steht dann eine bis mehrere Stunden später auf - nur 13 Prozent haben denselben Rhythmus wie an Arbeitstagen. Darauf deutet eine Analyse des Human Sleep Projects, das inzwischen auch aktimetrische Daten von 15.000 Nächten erfasst hat.

"Die inneren Uhren der meisten Menschen in Industrieländern gehen nach, weil wir ihnen zu wenig Kontrast zwischen Tageslicht und Dunkelheit geben", so Professor Till Roenneberg vom Institut für Medizinische Psychologie an der LMU München.

Seiner Meinung nach halten sich die Menschen oft nur noch in beleuchteten Gebäuden auf, in denen die Lichtintensität tausendmal geringer ist als unter freiem Himmel.

Zudem gehen wir nicht bei Sonnenuntergang schlafen, sondern verlängern den Tag mit künstlichem Licht. Dies führt seiner Ansicht nach dazu, dass wir zwar immer später einschlafen, morgens aber durch den Wecker stets zur selben Zeit geweckt werden.

Roenneberg sprach auf dem Kongress von einem "sozialen Jetlag": Die innere Uhr verschiebt sich in die Nacht, die Außenzeit bleibt aber konstant. Den Schlafmangel versuchen die Menschen dann am Wochenende wieder aufzuholen.

Was lässt sich nun dagegen tun? Dem "Leben in Dauerdämmerung", so Roenneberg, könne man etwa durch mehr Tageslicht in den Arbeitsräumen entgegenwirken.

Helfen würde auch ein spektral differenziertes Licht: Morgens sollte der Anteil an aktivierendem Blaulicht hoch sein, abends muss das Blaulicht raus. "Dann gelingt es wieder eher, Innenzeit und Außenzeit zu synchronisieren."

Der Chronobiologe sieht jedoch noch ein anderes Problem: Viele Menschen wollen gar nicht ausreichend schlafen. "Es gibt beim Schlaf einen seltsamen Wettbewerb: Meiner ist kürzer als deiner."

Wenig zu schlafen heißt, viel zu tun zu haben, wichtig und leistungsbereit zu sein. Wer hingegen ausschläft, gilt als faul und langweilig. "Wenn ich jedoch beim Schlaf spare, leidet meine Effizienz."

Roenneberg forderte auf der Tagung eine Kampagne für den Schlaf, ähnlich der gegen das Rauchen. "Wir müssen dem Schlaf die Uncoolheit nehmen."

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