Immuntherapie

Hoffnung auf den Sieg über Krebs

Die Immuntherapie mit Antikörpern und veränderten T-Zellen hat schon jetzt die Krebstherapie verändert. Vor Kurzem sind zwei Forscher auf diesem Gebiet mit dem Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis 2015 geehrt worden. Ihre Erkenntnisse machen Hoffnung.

Peter LeinerVon Peter Leiner Veröffentlicht:
Könnte die Immuntherapie der Durchbruch in der Krebsforschung sein?

Könnte die Immuntherapie der Durchbruch in der Krebsforschung sein?

© Juan Gärtner / Fotolia.com

HOUSTON. Die Musik hat sein wissenschaftliches und immunologisches Denken geprägt, sie hilft ihm, sich auf eine Sache zu konzentrieren, und bei der wissenschaftlichen Kommunikation.

Und so spielt Professor James P. Allison vom MD Anderson Cancer Center in Houston noch heute regelmäßig und leidenschaftlich in der Band "The Checkpoints" die Mundharmonika.

Das sei meist während wissenschaftlicher Kongresse der Fall, so der US-Amerikaner im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" - und stets in ausverkauften Sälen. Der nächste Auftritt steht schon fest: beim Krebskongress ASCO Ende Mai in Chicago.

Ehrlichsche Zauberkugel

Allison ist vor Kurzem gemeinsam mit Professor Carl H. June von der University of Pennsylvania School of Medicine, wie berichtet, mit dem Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis 2015 geehrt worden - beide für die Verdienste in der Entwicklung von Immuntherapien gegen Krebs.

Jeder hat auf seine Weise einen Weg gefunden, wie die Krebsbehandlung noch effektiver sein kann als mit Stahl, Strahl und Chemotherapie. Der Schlüssel liegt im zellulären Immunsystem, dem diese Wissenschaftler auf unterschiedlichen Wegen auf die Sprünge helfen.

Und das bisher sehr erfolgreich. Ganz im Sinne des Medizin-Nobelpreisträgers von 1908 Paul Ehrlich mit seinem Konzept der Zauberkugel.

Allison hat seine Forschung zunächst auf das Molekül CTLA-4 (cytotoxic T-lymphocyte antigen 4) auf T-Lymphozyten konzentriert, das Ende der 1980er-Jahre entdeckt worden ist. In der Folge der immunologischen Forschung stellte sich heraus, dass es nur dann vorhanden ist, wenn die T-Lymphozyten unter anderem über den T-Zell-Rezeptor aktiviert worden sind.

CTLA-4 sorgt als "Checkpoint" regulierend dafür, dass weitere Signale, die auf die T-Zelle einprasseln, geschwächt werden. Damit wird eine mögliche Autoimmunität in Schach gehalten; es hat aber auch fatale Folgen, da die Bekämpfung etwa von Krebszellen erschwert oder gar verhindert wird.

"Checkpoints" im Visier

Mitte der 1990er-Jahre gelang es Allison mit seinen Kollegen in Tiermodellen zu zeigen, dass durch eine Aktivierung von CTLA-4 mit Antikörpern die Vermehrung von T-Zellen gedrosselt wird, es also möglich ist, in diese Signalkaskaden einzugreifen.

1996 schaffte es der Forscher, durch Hemmung dieses "Checkpoints" im Tierversuch die zelluläre Immunabwehr drastisch zu steigern (Science 1996; 271 (5256): 1734-1736).

Auf der Grundlage dieser Forschung wurde die Entwicklung von Antikörpern für die Therapie von Krebspatienten vorangetrieben, die im ersten, intravenös verabreichten Medikament aus der Gruppe der Checkpoint-Hemmer, Ipilimumab, zur Therapie von Melanompatienten, gipfelte, das 2011 zunächst in den USA und dann in der EU zugelassen worden ist.

Eine völlig neuartige Strategie: Statt das Immunsystem von außen gegen Tumoren gezielt zu aktivieren, werden quasi die im Immunsystem installierten Bremsen gelöst. Der nächste "Checkpoint", der entdeckt wurde, war das PD-1-Molekül, das durch den monoklonalen Antikörper Nivolumab blockiert wird.

Weitere "Checkpoints" sind unter anderem der Ligand von PD-1 sowie LAG-3. Inzwischen sind insgesamt sechs "Checkpoint"-Moleküle identifiziert und charakterisiert worden. Das werde die Optionen für künftige immuntherapeutische Ansätze deutlich erweitern, so Allison.

Lokale Injektion eine Option?

Antikörper sind recht große Moleküle. Könnte es möglich sein, nur Fragmente der Antikörper für die Therapie zu verwenden? Im Prinzip ja, meint Allison, allerdings habe das den Nachteil, dass diese Fragmente rascher eliminiert würden als die intakten Immunglobuline, etwa über die Nieren.

Die Forschung bemüht sich derzeit seinen Angaben zufolge um eine Verbesserung der Applikation, und zwar durch eine lokale Injektion, die eine niedrigere Dosierung erlaubt.

Allison: "Bei der Therapie mit Ipilimumab gab es Patienten, bei denen nur eine Injektion erforderlich war, um eine Remission zu erzielen. Die Standardtherapie erfordert vier Injektionen.

Antikörper gegen PD-1 müssen dagegen alle zwei Wochen verabreicht werden, und zwar über einen Zeitraum von zwei Jahren." Der Erfolg mit Ipilimumab kann sich sehen lassen: Von 5000 damit behandelten Melanompatienten leben 20 Prozent auch noch zehn Jahre nach der Behandlung.

Bei June sind die Ehrlichschen Zauberkugeln nicht Antikörper wie bei Allison, sondern genetisch veränderte patienteneigene T-Lymphozyten, die CAR-Zellen. CAR steht für "Chimeric Antigen Receptor".

Bei der als CART-19-Therapie bezeichneten Strategie hat der Facharzt für Innere Medizin und Medizinische Onkologie T-Zellen von Leukämiepatienten mit einem Rezeptor ausgestattet, der das Oberflächenmolekül CD19 erkennt.

Dieses sitzt außer auf B-Zellen auch auf Leukämiezellen. Die patienteneigenen T-Zellen mit den krebsspezifischen CAR-Molekülen werden ex vivo vermehrt und den Patienten reinfundiert. Die Zellen koppeln sich über das CAR-Molekül an die Leukämiezellen und töten sie.

Eine T-Zelle tötet 1000 Krebszellen

Die Wissenschaftler schätzen, dass eine veränderte T-Zelle in der Lage ist, etwa 1000 Krebszellen zu eliminieren. Dass auch B-Zellen ausgeschaltet werden, kann durch eine Immunglobulinsubstitution kompensiert werden.

Um das Gen für das CAR-Molekül in die T-Zellen der Patienten zu schleusen, verwendet June nicht mehr vermehrungsfähige HI-Viren. In ersten Studien mit HIV-Infizierten Anfang der 2000er-Jahre konnte er belegen, dass diese Methode sicher ist, wie er zur "Ärzte Zeitung" sagte, sodass die FDA die Zulassung erteilte.

2010 habe man begonnen, die Methode bei Krebspatienten zu erproben, zuerst bei Erwachsenen, dann auch bei Kindern. Zur weltweit bekanntesten Erfolgsgeschichte wurde die Therapie des US-amerikanischen Mädchens Emily Whitehead, die June wegen einer therapierefraktären akuten lymphatischen Leukämie (ALL) 2012 mit der CAR-Therapie behandelte.

Inzwischen ist sie neun Jahre alt und noch immer leukämiefrei. Bei akuten Leukämien liegen June zufolge die Remissionsraten bei 90 Prozent. Deutlich geringer, aber immer noch beachtlich hoch sind sie bei Patienten mit chronischen Leukämien, nämlich 50 Prozent. Warum sie hier niedriger liegen, ist noch nicht klar.

June: "In unserer Arbeitsgruppe haben wir inzwischen mehr als 150 Patienten mit dieser CAR-Methode behandelt." Weltweit gebe es bereits mehr als 1000 Patienten, die mit unterschiedlichen Formen dieser immuntherapeutischen Strategie behandelt worden seien.

Inzwischen geht es nicht nur um Leukämien, sondern auch um solide Tumoren. Erst vor Kurzem hat June die Methode zur Behandlung von Patienten mit Glioblastomen anhand einer Pilotstudie mit den ersten zehn Patienten vorgestellt (Sci Transl Med 2015: 7/275; 275ra22).

Das CAR-Molekül auf den patienteneigenen T-Zellen koppelt in diesem Fall an das für die Krebszellen typische EGFRvIII-Molekül, eine mutierte Form des epidermalen Wachstumsfaktorrezeptors.

Ähnliche Pilotstudien laufen auch bei Patienten mit anderen Tumorentitäten, zum Beispiel mit einem Ovarialkarzinom oder mit Pankreaskarzinomen. June: "Und das ist erst der Anfang!"

Die CAR-Therapie klingt kompliziert, doch in fünf Schritten ist man schon am Ziel. Von der Entnahme der patienteneigenen T-Zellen bis zur Reinfusion liegen derzeit zehn Tage. Das habe mit Sicherheitstests zu tun, die noch vor der Reinfusion gemacht werden, so June.

 "Wir wollen das aber auf fünf Tage verkürzen." Nach der Blutabnahme und der Isolierung der T-Zellen werden diese mit den krebsspezifischen CAR-Molekülen ausgestattet.

Das geschieht im Fall der CD19-spezifischen T-Zellen im Rahmen von Studien in einem Speziallabor des Unternehmens Novartis, das 2012 die Lizenz für diese Technik erworben hat.

Ein solches Labor wird es auch in Deutschland geben. Am Ende des Prozesses werden die veränderten Zellen wie bei einer Bluttransfusion über eine intravenöse Infusion den Patienten zurückgegeben.

Das Unternehmen führt derzeit Studien in den USA bei Patienten mit ALL durch. Es plant, Ende 2015 die Studie auch in Deutschland machen zu können, sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern. Gespräche mit den Verantwortlichen beim Paul-Ehrlich-Institut hätten schon stattgefunden, so der Immuntherapeut.

Das Unternehmen werde die Zulassung dieser Therapieform in den USA im kommenden Jahr beantragen. Fast 20 weitere Firmen arbeiten inzwischen an der CAR-Therapiestrategie.

Viele wollen eine Immuntherapie

Ist der Öffentlichkeit klar, was da an neuen Therapieoptionen auf sie zukommt? Allison: "Ich hoffe, die Menschen verstehen das." Zumindest sei das Interesse an der Immuntherapie in den letzten Jahren spürbar gewachsen.

"Noch vor fünf Jahren war es sehr schwierig, Krebspatienten für Immuntherapiestudien zu gewinnen. Heute lesen die Patienten darüber im Internet, und viele möchten deshalb solche Therapien auch haben."

June verlangt mehr Aufklärung: "Es ist schwierig, die Bevölkerung gut über diese Behandlungsform zu informieren. Die Menschen müssen aufgeklärt werden, das gilt im Übrigen für alle neuen Formen der personalisierten Medizin."

Der Medizin-Nobelpreisträger Professor Harald zur Hausen aus Heidelberg, Vorsitzender des Stiftungsrates der Paul Ehrlich-Stiftung, war anfangs skeptisch, ob die CAR-T-Zell-Strategie jemals funktionieren würde.

"Ich bin Konvertit: Zunächst hatte ich Zweifel, doch heute bin ich davon überzeugt", so zur Hausen während der Verleihung des Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preises in der Paulskirche in Frankfurt am Main.

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