Onkologie

Aggressiver Schilddrüsenkrebs: Bald bessere Therapien?

Analysen des Genoms seltener Schilddrüsentumoren bieten Ansatzpunkte für die Behandlung. Eine Option könnten Immuntherapeutika sein.

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MAINZ. Schilddrüsenkrebs gehört zu den selteneren Krebsarten. Die allermeisten Formen sind gut behandelbar und haben eine sehr gute Prognose. Einige seltenere Formen sind jedoch wesentlich aggressiver in ihrem Wachstum und sprechen oft nicht gut auf die Behandlung mit den bisher bekannten Therapien an.

Aktuelle Forschungen zur Analyse des Genoms dieser Tumoren liefern jetzt neue Einsichten in die Krebsentstehung (Journal of Clinical Investigation 2016; 126(3): 1052-66) und bieten aus Sicht der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) Anhaltspunkte für neue Therapieansätze.

Pro Jahr 7000 Neuerkrankungen in Deutschland

In Deutschland erkranken jedes Jahr etwa 7000 Menschen an einem bösartigen Tumor in der Schilddrüse. Experten vermuten, dass dieser Krebs sogar noch häufiger ist. "Rund 90 Prozent der Schilddrüsentumoren stellen sogenannte differenzierte papilläre (PTC) oder follikuläre (FTC) Schilddrüsenkarzinome dar. Diese können durch eine Operation – meist in Kombination mit einer Behandlung mit radioaktivem Jod – sehr gut behandelt werden", wird Professor Matthias M. Weber, Leiter der Endokrinologie der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, in einer Mitteilung der DGE zu den neuen Forschungsergebnissen zitiert.

Bei fünf bis zehn Prozent der Tumoren sind differenzierte Funktionen – wie zum Beispiel die Radiojodaufnahme – zugunsten eines aggressiven Wachstuns verloren gegangen. "Diese gering differenzierten (PDTC) oder anaplastischen Karzinome (ATC) sind bislang nicht heilbar und nur mit deutlich schlechterem Ergebnis behandelbar", berichtet Weber in der Mitteilung. "Die mittlere Überlebenszeit bei diesen oft schon bei der Diagnose weit fortgeschrittenen und sehr aggressiven Schilddrüsentumoren liegt oft nur noch im Bereich von wenigen Jahren oder gar Monaten."

Genom-Untersuchung liefert Antworten

Bei der Entstehung dieser seltenen Schilddrüsenkarzinome blieben bisher noch sehr viele Fragen offen. So sei zum Beispiel unklar gewesen, ob sie direkt aus normalen Zellen entstehen oder sich aus einem differenzierten Schilddrüsenkarzinom heraus entwickeln, so die DGE in ihrer Mitteilung. Unbekannt sei auch gewesen, was zu dem raschen Wachstum führt. Eine gezielte Genom-Untersuchung habe auf beide Fragen jetzt erstmals Antworten gefunden.

Ein Team um Iñigo Landa und James Fagin vom Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York hat Gen-Mutationen in 117 PDTCs und ATCs untersucht und mit dem bereits bekannten Mutationsmuster von papillären Schilddrüsenkarzinomen verglichen.

"Genetisches Chaos" nimmt zu

"Die Untersuchungen zeigen, dass PDTCs und ATCs im Gegensatz zu papillären Karzinomen ein komplexes und umfassendes Spektrum an Genveränderungen in verschiedenen Signalwegen, Wachstums- und Zellzyklusregulatoren aufweisen, damit ein buntes Potpourri an Mutationen, welche dem Tumor das hohe Aggressivitätspotenzial verschaffen", erläutert Professor Dagmar Führer, Direktorin der Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselerkrankungen am Universitätsklinikum Essen.

PTCs hätten hingegen ein sehr einfaches Mutationsmuster, in der Regel eine aktivierende BRAF V600E oder seltener RAS-Mutationen. Diese Tumoren haben auch eine exzellente Prognose. "Das ‚genetische Chaos‘ nimmt insgesamt vom gering differenzierten zum anaplastischen Karzinom noch einmal zu, was die besonders kurze Überlebenszeit beim ATC erklärt."

Bieten Immuntherapeutika eine Chance?

"Die neue Studie bietet Chancen für die Diagnostik und die Behandlung von Schilddrüsenkarzinomen", so Führer in der DGE-Mitteilung: "Die genaue genetische Analyse von Schilddrüsenkarzinomen könnte uns in Zukunft noch besser zeigen, welche Tumore von einem raschen Fortschreiten bedroht sind und welche weniger aggressiv behandelt werden müssen."

Für einige der entdeckten Treibermutationen in PDTCs und ATCs gibt es Medikamente. Für andere sind Wirkstoffe in der Entwicklung. "Immunonkologische Therapien sind gerade bei Tumoren mit hoher genetischer Instabilität vielversprechend. Ein solches "genetisches Chaos" wie beim ATC lässt erwarten, dass Immuntherapeutika auch hier wirksam sein könnten", so Führer. Es komme jetzt darauf an, für Patienten mit diesen seltenen Tumoren Studien anzubieten, um die bislang äußerst ungünstige Prognose der Erkrankung zu durchbrechen.

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