Patienten kennen sich am besten

Onkologen setzen auf die Eigenwahrnehmung

Von der Erfassung der patienteneigenen Wahrnehmung des Therapieverlaufs erhoffen sich Onkologen viel. Daten von Studien, in denen die Verwendung von "Patient-reported Outcomes" bei Krebspatienten lebensverlängernd wirkte, geben ihnen recht.

Peter LeinerVon Peter Leiner Veröffentlicht:
Ein neues Modul soll Ältere an eHealth annähern.

Ein neues Modul soll Ältere an eHealth annähern.

© ysbrandcosijn/stock.adobe.com (Symbolbild mit Fotomodell)

Seit vielen Jahren gibt es schon Bestrebungen, sich bei Therapieentscheidungen nicht nur auf die objektiven Messwerte und die Einschätzungen von Ärzten zu verlassen, sondern dabei das subjektive Empfinden der Patienten stärker zu berücksichtigen.

In klinischen Studien etwa in der Onkologie wurde deshalb das "Patient-reported Outcome" (PRO) eingeführt, zunächst nur als einer von mehreren sekundären Endpunkten, inzwischen aber auch als primärer Endpunkt.

Verschiedene Definitionen

Die PRO-Definition ist dabei nicht einheitlich. Die US-Behörde FDA zum Beispiel definiert PRO als "Verfahren, das auf Angaben über den Gesundheitszustand beruht, die direkt vom Patienten stammen, ohne Interpretationen oder Beigaben (Ergänzungen), die vom behandelnden Arzt oder einem Dritten stammen".

Wie es in einem Health Technology Assessment-Bericht des DIMDI (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information) heißt, wird PRO als Oberbegriff für viele verschiedene Konzepte zur Messung subjektiv empfundener Gesundheitszustände gebraucht.

"Die gemeinsame Grundlage dieser Konzepte ist, dass der Patient selbst seinen Zustand einschätzt und berichtet." Über Endpunkte wie Lebensqualität, empfundener Gesundheitszustand sowie Zufriedenheit könne nur der Patient selbst Auskunft geben.

Das PRO-Verfahren, das anfangs wegen fehlender anderer Möglichkeiten nur auf Papier dokumentiert wurde und deshalb auch nicht so richtig Anerkennung unter Ärzten und Patienten gefunden hatte, ist nun längst elektronisch als ePRO verfügbar.

Es gibt eine ganze Reihe von PRO-Instrumenten, mit denen unterschiedliche Formen des Wohlbefindens sowie die kognitive Funktion und die Lebensqualität allgemein durch die Patienten selbst beurteilt werden.

Ein bekanntes Beispiel ist der häufig genutzte Fragebogen QLQC30 der EORTC (European Organisation for Research and Treatment of Cancer). Er besteht aus insgesamt neun Skalen mit jeweils mehreren Fragen (Multi-Item-Skalen), etwa zu Symptomen, funktionellem Wohlbefinden und zur Lebensqualität allgemein. Ein weiteres beim PRO genutztes Instrument ist der Fragebogen "Functional Assessment of Chronic Illness Therapy" (FACT).

Schließlich hat das USNationale Krebsinstitut das PRO-CTCAE (Patient-Reported Outcomes version of the Common Terminology Criteria for Adverse Events) zur Erfassung von Nebenwirkungen entwickelt, das auch in einer deutschen Fassung verfügbar ist.

"Heikle" Themen besser erfassen

Immer mehr wird PRO inzwischen in die klinische Praxis integriert. US-Ärzte um den Hämatologen und Palliativmediziner Dr. Thomas W. LeBlanc von der Duke University School of Medicine in Durham im US-Staat North Carolina bezeichnen die Entwicklung sogar als Paradigmenwechsel (Nat Rev Clin Oncol 2017; online 4. Oktober).

Zumal sich mit ePRO auch "heikle" Themen wie etwa eine therapiebedingte sexuelle Dysfunktion besser erfassen lassen als direkt im Gespräch mit dem Arzt.

Der Paradigmenwechsel verändert nach Angaben der US-Ärzte den Charakter von PRO, vor allem nach den Ergebnissen einer aktuellen randomisierten Studie, in der die Frage geklärt werden sollte, ob sich mit der Anwendung des Verfahrens, internetbasiert, das Gesamtüberleben bei Patienten, die eine Chemotherapie erhalten, beeinflussen lässt (JAMA 2017; 318: 197–198).

An der Studie hatten 766 Krebspatienten im Alter zwischen 26 und 91 Jahren (median: 61 Jahre) teilgenommen, die entweder die normale Versorgung erhielten oder bei denen zusätzlich ein internetbasiertes PRO-Verfahren zur engmaschigen Erhebung von Symptomen angewendet worden war.

Tatsächlich betrug das mediane Gesamtüberleben nach einem Follow-up von median sieben Jahren in der PRO-Gruppe 31,2 Monate, in der Vergleichsgruppe 26,0 Monate – mit p = 0,03 ein signifikanter Unterschied.

Die Autoren weisen darauf hin, dass die Patienten in der Interventionsgruppe die Chemotherapie signifikant länger tolerierten als die Vergleichsgruppe (durchschnittlich 8,2 versus 6,3 Monate). In einem Bericht schätzt die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) diese Studie als wegweisend ein, auch wenn die Patienten nur einem Zentrum entstammten.

Größerer Verwaltungsaufwand?

Das A und O für die erfolgreiche Integration von PROs in den klinischen Alltag ist dessen Akzeptanz sowohl durch Patienten als auch durch Ärzte. Nach Angaben von LeBlanc und seinen Kollegen hat bereits vor zehn Jahren eine Studie ergeben, dass 96 Prozent der Studienteilnehmer eine solche Erhebung von Patienteninformationen für sinnvoll erachten und jederzeit PRO anderen Patienten empfehlen würden.

In einer anderen Studie mit Patienten, bei denen eine Stammzelltransplantation erfolgt war, hätten alle eine PRO-Befragung absolviert und 94 Prozent die elektronische Version dem Papier vorgezogen. Jetzt müssen Ärzte davon überzeugt werden, dass nicht zuletzt etwa durch die Verwendung von Tablet-Computern bei der Umsetzung des PRO das Datensammeln nicht zum befürchteten größeren Verwaltungsaufwand führt.

Und was ist mit älteren Patienten, die kaum oder gar nicht mit Computer und Internet vertraut sind? Für das gemeinnützige System CANKADO zum Beispiel, ein digitales Tagebuch, von Ärzten und Wissenschaftlern aus München und Kirchheim, wurde ein Modul entwickelt – eSTEPS – und beim 3. Kongress "Quality of Cancer Care" in Berlin vorgestellt, das Ältere (70+) und andere technikferne Patienten schrittweise an eHealth annähern soll, ohne die Patienten zu überfordern. Ein Beitrag, der die Versorgung auch von Krebspatienten verbessern wird.

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