Blut im Urin

Wenn Leitlinien in die Irre führen

Verschiedene Empfehlungen zum Vorgehen bei Patienten mit Mikro- oder Makrohämaturie schaffen Unsicherheiten. Britische Forscher haben festgestellt, dass etliche Krebserkrankungen unentdeckt bleiben, wenn Ärzte ihrer nationalen Leitlinie folgen.

Von Dr. Christine Starostzik Veröffentlicht:
Eine Mikrohämaturie soll laut NICE-Leitlinie ab dem Alter von 60 Jahren abgeklärt werden.

Eine Mikrohämaturie soll laut NICE-Leitlinie ab dem Alter von 60 Jahren abgeklärt werden.

© Alexander Raths / stock.adobe.com

Wie nach einem Harnbefund mit Mikro- oder Makrohämaturie weiter verfahren werden soll, darüber gehen die Expertenmeinungen in verschiedenen nationalen Leitlinien auseinander, insbesondere was die Altersgrenzen betrifft, ab der Untersuchungen zur Abklärung eines Tumors empfohlen werden.

In einer prospektiven Beobachtungsstudie (DETECT 1) haben Wei Tan vom University College London und Kollegen nun die Häufigkeit von Karzinomen des Harntrakts bei 3556 Patienten mit Hämaturie festgestellt (Eur Urol 2018, online 10. April). Die Studienteilnehmer waren an insgesamt 40 Kliniken zur weiteren Diagnostik überwiesen worden. Bei allen Patienten wurden eine Zystoskopie sowie eine bildgebende Untersuchung des oberen Harntrakts durchgeführt.

Bei insgesamt 10 Prozent der Patienten wurde ein Karzinom des Harntrakts festgestellt. Bei 8 Prozent war die Blase betroffen, bei 1 Prozent die Niere, bei 0,7 handelte es sich um ein Übergangszellkarzinom (TCC) und bei 0,3 Prozent um ein Prostatakarzinom.

Bei Patienten mit Makrohämaturie wurde häufiger eine Krebsdiagnose gestellt als bei Patienten, bei denen eine Mikrohämaturie vorlag (13,8 vs. 3,1 Prozent). Alle TCC der oberen Harnwege und 83,8 Prozent der Nierenparenchymkarzinome waren durch Makrohämaturie aufgefallen. Als unabhängige Risikofaktoren erwiesen sich darüber hinaus Alter, männliches Geschlecht sowie eine Rauchervergangenheit.

Altersunabhängige Abklärung!

Die Blasenkarzinome, die bei Patienten mit Mikrohämaturie diagnostiziert wurden, waren zu 59,4 Prozent High-Risk-Tumoren, 31,3 Prozent von ihnen wuchsen muskelinvasiv. Unter den Patienten, die durch Makrohämaturie aufgefallen waren, fanden sich 49,6 Prozent High-Risk-Karzinome und 15,4 Prozent wurden als muskelinvasiver Blasenkrebs (MIBC) klassifiziert.

3,5 Prozent der Patienten mit Makrohämaturie und Krebsdiagnose waren jünger als 45 Jahre, 1 Prozent der Krebspatienten mit Mikrohämaturie war unter 60. Letzteres entspricht dem Alter, ab dem beispielsweise in der NICE-Leitlinie eine Abklärung bei nicht sichtbarem Blut im Urin empfohlen wird.

Die Ergebnisse der Untersuchung, so Wei Tan, "sprächen dafür, dass eine Makrohämaturie unabhängig vom Alter weiter abgeklärt werden sollte. Eine Altersgrenze wie in der NICE-Leitlinie führe dazu, dass, wie aus den Studienergebnissen erkennbar, etliche Krebserkrankungen übersehen würden. Obwohl bei Personen mit Mikrohämaturie ein geringes Risiko für ein Karzinom des Harntrakts bestehe, würden dennoch auch hier Krebserkrankungen vor dem häufig empfohlenen Alter von 60 Jahren für weitere Untersuchungen entdeckt. Hätte man dagegen die Altersschwelle der US-Leitlinie AUA (35 Jahre) als Handlungsempfehlung gewählt, wären alle Tumoren diagnostiziert worden.

Bei einer Mikrohämaturie empfehlen die Studienautoren, die Patientenpräferenzen zu beachten, wenn die Frage nach weiteren Tests ansteht. Zudem könnte eine europäische Leitlinie nach Ansicht von Tan und Kollegen die Unsicherheiten zum weiteren Management bei Hämaturie-Patienten deutlich verbessern.

Empfehlungen für Deutschland

Die derzeit aktuelle DEGAM-S1-Handlungsempfehlung lautet: Nicht sichtbare Hämaturien rechtfertigen nur im höheren Alter und/oder bei zusätzlichen Risikofaktoren eine abgestufte, standardisierte Diagnostik: "Bei unter 40-Jährigen sollte lediglich bei zusätzlicher Niereninsuffizienz (< 60 ml/min) und/oder Hypertonie (> 140/90 mm Hg) und/oder Proteinurie (> 0,5 g/d) eine Überweisung zum Fachgebiet Nephrologie erfolgen.

Bei über 40-Jährigen sollte eine Nierensonografie und/oder bei Vorhandensein von mindestens einem Risikofaktor eine urologische Konsultation erwogen werden.

Nach dem Ausschluss einer aktuellen Erkrankung sollte nur bei fortbestehender nicht sichtbarer Hämaturie durch die Hausarztpraxis jährlich ein anamnestisch-klinischer Status mit Blutdruckmessung, eine Schätzung der glomerulären Filtrationsrate (eGFR) und ein Harnstreifentest auf Proteinurie erfolgen (modifiziertes abwartendes Offenhalten)."

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