Herausforderung

Die individuelle Gentherapie: Neue Hoffnung, aber auch große Herausforderung

Eine neue Generation von Arzneimitteln verlässt die Forschungspipeline und kommt in die Versorgung: gentechnisch industriell erzeugte, auf den einzelnen Patienten zugeschnittene Medikamente. Für alle Beteiligte eine große Herausforderung.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Das Paul-Ehrlich-Institut arbeitet für ganz Europa.

Das Paul-Ehrlich-Institut arbeitet für ganz Europa.

© PEI

Sie werden auf Basis von Blut oder Körpergewebe individuell in einem industriellen Verfahren hergestellt: Advanced Therapeutical Medicinal Products (ATMP), eine völlig neue Generation von Arzneimitteln, die derzeit die Versorgung auch in Deutschland erreicht. Es geht um Individual-Medikamente oder -Medizinprodukte (Gewebe), die dem Patienten appliziert werden und in dessen Körper spezifische Heilungsprozesse auslösen.

Derartige Verfahren stellen alle beteiligten Institutionen – die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen in der pharmazeutischen Industrie, die Zulassungsbehörden, nun aber auch das Health-Technology Assessment, beispielsweise des Gemeinsamen Bundesausschusses, vor erhebliche Herausforderungen. Und: Die Kosten der Behandlung sind meist so hoch, dass sie in Fallpauschalen für die Krankenhäuser nicht abgedeckt sind. Damit wird die Refinanzierung dieser Therapie auch zum Risiko für die Kliniken. Diskutiert wurde dies jüngst bei einem Symposion des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie in Berlin.

Welche Dynamik in der Entwicklung dieser neuen ATMP steckt, zeigt die Zahl der Beratungen (Scientific Advice), die die Europäische Arzneimittelagentur EMA durchführt: 2009 waren es noch weniger als 20 Beratungen, im vergangenen Jahr bereits 55. Inzwischen sind dabei neue Verfahren zur Individualanfertigung von Gentherapeutika dominant. Waren es 2013 noch neun Beratungen gewesen, so ist deren Zahl auf über 40 gestiegen. Der Scientific Advice gehört inzwischen zum Standard der EMA: Rechtzeitig zu Beginn der klinischen Prüfung von neuen Wirkstoffen verständigen sich Zulassungsbehörde und Antragsteller auf die Gestaltung der Studien, die Grundlage der Zulassung werden sollen. Das schafft Planungssicherheit und eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass ein Zulassungsantrag am Ende auch genehmigt wird.

Expertise beim Paul-Ehrlich-Institut

Die EMA selbst koordiniert das Verfahren – der wissenschaftliche Sachverstand liegt bei den nationalen Arzneimittelbehörden. In Deutschland ist dies das Paul-Ehrlich-Institut für Sera und Impfstoffe, das für diese Produktkategorie zuständig ist und das im europäischen Konzert eine bedeutende Rolle spielt. Bereits vor Jahren hat die EMA einen besonderen Ausschuss für diese Innovationen gebildet, das Committee for Advanced Therapies (CAT) . Seine Empfehlungen sind ausschlaggebend dafür, ob das Committee for Medicinal Products for Human Life der EU-Kommission zur Zulassung eines Arzneimittels rät.

Die Charakteristika der relevanten Krankheiten und der ATMP beschreibt Dr. Martina Schüssler-Lenz vom Paul-Ehrlich-Institut so:

  • Bei den betroffenen Patienten sind alle vorhandenen Therapieoptionen ausgeschöpft;
  • es handelt sich um bislang nicht behandelbare Krankheiten, so dass der medical need besonders hoch ist;
  • die Patientenzahlen sind sehr klein, so dass die Arzneimittel Orphan Drug Status erhalten;
  • die therapeutischen Effekte sind sehr ausgeprägt – und damit stellt sich auch die Frage, ob möglicherweise von Heilung gesprochen werden kann.

Hauptproblem ist die begrenzte Evidenz

Unter diesen Bedingungen sind nicht selten Randomisierte kontrollierte Studien unmöglich – und auch ethisch nicht vertretbar, wenn es keine Therapiealternative mehr gibt. Andererseits ist es schwer zu beurteilen, in welchem Ausmaß und mit welchem Schweregrad unerwünschte und auch schwere Arzneimittelrisiken auftreten. Aus diesem Grund sind Zulassungen regelhaft mit Auflagen verbunden: Risiko-Management-Pläne, Sicherheits- und Wirksamkeitsstudien sowie die Bildung von Registern.

Diese Umstände sieht auch der Gemeinsame Bundesausschuss: Dr. Rimma Berenstein vom GBA hält deshalb eine "Bridging Phase" nach der Zulassung für notwendig, um die zum Zeitpunkt des Markteintritts noch nicht vorliegende Evidenz für eine vergleichende Bewertung nachträglich zu generieren. Das erfordere alternative Erstattungsregelungen, zum Beispiel die Abgabe dieser Arzneimittel nur durch spezialisierte Zentren oder die Bindung der Erstattung an eine Teilnahme an Register- oder Phase-3-Studien.

Als ein noch nicht befriedigend gelöstes Problem erweist sich laut Dr. Thomas Ecker (Beratungsunternehmen Ecker&Ecker) die Refinanzierung dieser Therapien in der stationären Versorgung: Während in der ambulanten Medizin neue Arzneimittel grundsätzlich mit ihrer Zulassung erstattungsfähig sind, und zwar unabhängig vom Preis, gelten Arzneikosten in der Klinik als Bestandteil der DRG. Die aber reichen bei hohen Preisen nicht, so dass Sonderentgelte bewilligt werden müssen. Das Verfahren beim zuständigen Institut für das Entgeltsystem der Krankenhäuser hat sich nach Expertenmeinung dabei als unzulänglich erwiesen – als starr, bürokratisch, nicht medizinisch orientiert. Jede Klinik muss einen eigenen Antrag stellen. Alternativ wird daher derzeit bei der Kasse des jeweiligen Patienten im Einzelfall ein Antrag auf Kostenerstattung gestellt. Andere Optionen sind: Die kurzzeitige Überweisung des Klinikpatienten in die ambulante Versorgung – oder die Geltung der Arzneimittelrichtlinien auch für die Behandlung in der Klinik. GBA-Chef Josef Hecken hat dies bereits mehrfach gefordert.

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