Vermeidbare Todesfälle

Viele Darmkrebstote haben zeitlebens das Screening vernachlässigt

Wie wichtig ein regelmäßiges Darmkrebs-Screening ist, wird in einer Untersuchung erneut deutlich: Bei den allermeisten Darmkrebstodesfällen waren die Patienten zuvor überhaupt nicht oder nicht regelmäßig gescreent worden.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Die Gefahr, an Darmkrebs zu sterben, ist einer US-Studie zufolge bei regelmäßigem Screening um 62 Prozent reduziert.

Die Gefahr, an Darmkrebs zu sterben, ist einer US-Studie zufolge bei regelmäßigem Screening um 62 Prozent reduziert.

© Anatomy Insider / stock.adobe

Das Wichtigste in Kürze

» Frage: Wie hoch ist der Anteil von Darmkrebstoten mit mangelhaftem Screening vor der Krebsdiagnose?

» Antwort: In einer US-Studie waren 67 Prozent der Darmkrebstoten überhaupt nicht oder nicht regelmäßig auf Darmtumoren gescreent worden, bei weiteren 9 Prozent war ein positives Testergebnis nicht nachkontrolliert worden.

» Bedeutung: Regelmäßiges Darmkrebs-Screening senkt nach diesen Daten die Gefahr, an einem Kolorektalkarzinom zu sterben, um 62 Prozent.

PHILADELPHIA. Geht man davon aus, dass die aktuellen Resultate von Forschern um Dr. Chyke Doubeni von der Universität in Philadelphia repräsentativ sind, so ist der allergrößte Teil der Darmkrebstoten zeitlebens nicht ordentlich auf Darmtumoren gescreent worden (Gastroenterology 2019; 156: 63–74). Die Forscher gehen davon aus, dass die meisten solcher Darmkrebstodesfälle durch ein leitliniengerechtes Screening vermeidbar wären.

Daher sei es wichtig zu eruieren, was beim Screening am häufigsten schief geht und wie solche Fehler vermeidbar sind. Das größte Risiko für tödlich verlaufende Kolorektaltumoren besteht nach ihren Analysen, wenn jemand mit einem auffälligen Befund nicht rechtzeitig nachuntersucht wird.

Ein Drittel ohne Screening

Für ihre Untersuchung haben die Forscher um Doubeni 1750 Darmkrebstodesfälle analysiert, die in den Jahren 2006 bis 2012 in Kalifornien registriert worden waren. Alle waren beim US-Konzern Kaiser Permanente versichert, dieser hatte ab 2006 ein umfangreiches Darmkrebs-Screening für die Versicherten implementiert. Die Beteiligung nahm im Laufe der Jahre stetig zu und erreichte 2012 etwa 80 Prozent der Versicherten.

Berücksichtigt wurden nur Teilnehmer in einem Alter von 55 bis 90 Jahren zum Todeszeitpunkt sowie solche, für die über mindestens fünf Jahre vor ihrem Tod umfangreiche Daten zu Untersuchungen und Behandlungen vorlagen. Im Schnitt waren die Teilnehmer bei der Darmkrebsdiagnose 70 Jahre alt, die Hälfte von ihnen waren Frauen.

Die Forscher gliederten die Verstorbenen anhand ihres Screening-Status in mehrere Gruppen:

  • 34 Prozent hatten nie an einem Screening per Koloskopie oder Test auf okkultes Blut im Stuhl teilgenommen.
  • 33 Prozent hatten sich zwar schon einmal screenen lassen, waren aber zum Zeitpunkt der Krebsdiagnose überfällig, hatten also wichtige Intervalle wie die Koloskopie alle zehn Jahre oder den Stuhltest alle zwei Jahre versäumt.
  • 8 Prozent waren einem positiven Ergebnis – zu zwei Drittel einem positiven Stuhltest – nicht weiter nachgegangen, es erfolgte innerhalb von neun Monaten keine weitere Abklärung. Der Hälfte dieser Patienten war eine Koloskopie oder eine Barium-Kontrast-Untersuchung verordnet worden, an der sie aber nicht teilnahmen.
  • 1 Prozent hatte eine Adenomdiagnose erhalten, dieses wurde aber nicht weiter überwacht, weil die Patienten an der Kontrolluntersuchung nicht teilnahmen oder eine solche nicht empfohlen worden war.
  • 24 Prozent waren vor der Krebsdiagnose leitliniengerecht gescreent worden und dennoch an Darmkrebs gestorben. Ihnen hat das Screening nichts genützt, da entweder Adenome übersehen worden waren oder Intervallkarzinome auftraten.

Insgesamt waren also 76 Prozent der analysierten Darmkrebstoten zuvor unzureichend gescreent oder nachkontrolliert worden, nur 24 Prozent waren trotz leitliniengerechten Screening- und Kontrolluntersuchungen an dem Tumor gestorben.

Patienten mit mangelhaftem Screening hatten in den Jahren vor der Diagnose deutlich seltener einen Hausarzt besucht, auch waren sie öfter besonders jung oder besonders alt im Vergleich zu solchen mit leitliniengerechtem Screening.

Entscheidende Rolle für Hausärzte

Die Forscher um Doubeni schauten sich auch knapp 3500 krebsfreie Patienten mit ansonsten vergleichbaren Charakteristika an, hier fanden sie ähnliche Zusammenhänge: Solche mit mangelhaftem Screening waren seltener beim Arzt und gehäuft unter 60 oder über 80 Jahre alt – im Vergleich zu Versicherten, die regelmäßig am Screening teilnahmen.

Insgesamt waren aber 45 Prozent der krebsfreien Versicherten regelhaft gescreent worden. Nach den Berechnungen der Forscher ist die Gefahr, an Darmkrebs zu sterben, damit bei regelmäßigem Screening um 62 Prozent reduziert, umgekehrt ist bei mangelhaftem Screening das Darmkrebssterberisiko um den Faktor 2,6 erhöht.

Schaute sich das Team um Doubeni die einzelnen Screeningumstände genauer an, so ging vor allem eine ausgelassene Kontrolluntersuchung nach einem positiven Screeningresultat mit einer drastisch erhöhten Darmkrebssterblichkeit einher, und zwar um den Faktor 7,2. Am meisten bewirken ließe sich jedoch, wenn es Ärzten gelänge, mehr Menschen fürs regelmäßige Screening zu begeistern, schließlich haperte es daran bei zwei Drittel der Darmkrebstoten.

Allgemeinärzten und Internisten kommt hier offenbar eine Schlüsselrolle zu: Je häufiger der Kontakt mit solchen Ärzten, umso wahrscheinlicher ist eine Teilnahme am Screening.

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