Molekulare Diagnostik für viel mehr Krebskranke

Vernetzung macht's möglich

Bei einem Teil der Patienten mit Bronchialkarzinom können zielgerichtete Medikamente die Prognose verbessern helfen. Die dafür erforderlichen molekularpathologischen Untersuchungen lassen sich auch über Netzwerke in die Fläche bringen.

Von Nicola Siegmund-Schultze Veröffentlicht:
Bronchialkarzinome sind die häufigste Krebstodesursache in Deutschland: Jährlich sterben daran circa 45.000 Patienten.

Bronchialkarzinome sind die häufigste Krebstodesursache in Deutschland: Jährlich sterben daran circa 45.000 Patienten.

© Springer Verlag GmbH

Die Präzisionsmedizin, bei der die systemische Behandlung von Malignomen auf Basis des Nachweises bestimmter Biomarker erfolgt, kann die Prognose von Patienten mit nicht operablen Lungentumoren verbessern, erfordert aber zuverlässige und möglichst sensitive Untersuchungsmethoden.

Therapie erfolgt in Wohnortnähe

"Das Rüstzeug für solche Untersuchungen gibt es, vor allem in den an Hochschulen angesiedelten Instituten für Pathologie", erinnerte Professor Dietmar Schmidt aus Viersen beim gemeinsamen Kongress der International Academy of Pathology (IAP) und der European Society of Pathology in Köln.

Ziel der Deutschen Abteilung der IAP und der Deutschen Gesellschaft für Pathologie sei es, durch Fortbildung und Ringversuche auch kleineren pathologischen Instituten zu ermöglichen, neue Methoden qualitätsgesichert anbieten zu können, erläuterte Schmidt, einer der beiden Kongresspräsidenten.

Um Patienten an Zentren, denen bestimmte molekularpathologische Verfahren nicht zur Verfügung stehen, ebenfalls die bestmögliche Diagnostik zukommen zu lassen, gebe es die Möglichkeit, sich Verbünden anzuschließen: Die behandelnden Ärzte senden Tumormaterial an ein zertifiziertes Institut für Pathologie, die Therapie erfolgt dezentral in Wohnortnähe des Patienten.

Biopsien von etwa 20.000 Lungenkrebspatienten

Dass dieses Prinzip rasch zum Erfolg führen kann, belegen Ergebnisse des interdisziplinären Netzwerks Genomische Medizin (NGM) am Centrum für Integrierte Onkologie (CIO) der Universität Köln (www.ngm-cancer.com).

Seit der Gründung des NGM im Jahr 2010 seien dort Biopsien von circa 20.000 Lungenkrebspatienten molekularpathologisch untersucht worden, berichtete Professor Reinhard Büttner, Direktor des Instituts für Pathologie an der Universitätsklinik Köln.

Von diesen Patienten hatten circa 60 Prozent ein Adenokarzinom. "Bei elf Prozent dieser Karzinome fanden sich EGFR-Mutationen, für die – theoretisch – eine Therapie mit EGFR-Inhibitoren in Frage kommt", erläuterte Büttner.

Im Verlauf der Kooperation von NGM und den behandelnden Ärzten habe sich das mediane Gesamtüberleben von Patienten mit inoperablen Adenokarzinomen der Lunge und aktivierenden EGFR-Mutationen sukzessive verbessert: von median 9,6 Monaten unter Chemotherapie im Jahr 2005 auf median 31,5 Monate bei EGFR-Hemmung im Jahr 2013, sagte Büttner.

Dies habe eine vor drei Jahren publizierte Subkohortenanalyse ergeben (Science Translational Medicine 2013; 5,209, pp. 209ra153).

Einer Auswertung aus dem Jahr 2015 zufolge habe das mediane Gesamtüberleben bei 55 Monaten gelegen, sofern Patienten dieser Subgruppe in klinische Studien hätten vermittelt werden können, so Büttner bei einer Institutsführung während des Kongresses.

Der mögliche Zugewinn an Lebenszeit liege für diese Patientengruppe also bei median knapp vier Jahren (p<0,001). Bei Lungenkarzinompatienten mit ALK-Genrearrangements habe die Differenz des Gesamtüberlebens in der Subgruppenanalyse von 2013 bei einem Jahr gelegen (median 23 Monate unter Crizotinibtherapie versus 11 Monate bei Chemotherapie; p=0,024).

Projekt wird jetzt erweitert

Büttner hat das Netzwerk Genomische Medizin gemeinsam mit Professor Jürgen Wolf von der Medizinischen Klinik I der Universität Köln und Dr. rer. nat. Roman Thomas vom Institut für Translational Cancer Genomics Köln gegründet, um wissenschaftlichen Fortschritt möglichst rasch in die Phase klinischer Entwicklungen von zielgerichteten Medikamenten überführen zu können: Zunächst als Projekt für Patienten mit einem Lungenkarzinom (NGML), nun wird es auf gastrointestinale Malignome und Brust- und Prostatakrebs erweitert.

Das NGM arbeitet bundesweit mit mehr als 200 klinischen Onkologen zusammen und ist die deutschlandweit größte Initiative für die genomische Charakterisierung von Malignomen.

Jeder Arzt kann sich an das NGM wenden

Jeder Arzt könne sich mit der Bitte um molekulare Charakterisierung von Tumormaterial an das NGM wenden, sagte Büttner.

Die molekularpathologischen Untersuchungen für das Lungenkarzinom seien in den vergangenen Jahren auch für die Routinediagnostik optimiert worden, berichtete Büttner in Köln. Bei Patienten, für die eine genbasierte Analyse auf Treibermutationen sinnvoll sei, werde DNA aus dem Biopsat zunächst per Multiplex-PCR amplifiziert.

Dafür würden nur 10-50 Nanogramm genomischer DNA benötigt, eine Menge, die bei 80 Prozent der DNA-Extrakte erreicht werde. Dann wird die Probe für die Next-Generation-Sequenzierung (NGS) vorbereitet, bei der Tausende von DNA-Fragmenten parallel in einem Sequenziervorgang analysiert werden.

Tests sind kosteneffektiv

Die am NGML gut validierte Methode sei hoch sensitiv, erfordere – je nach Umfang der Analyse (Exons von 4 bis 18 Genen) – vier bis zehn Werktage und sei inzwischen kosteneffektiv sagte Büttner. Viele große gesetzliche, private und Betriebskrankenkassen finanzierten ihren Versicherten NGS-basierte Tests.

Durch einen Vertrag zur integrierten Versorgung im SGB V (§140a) seien solche Analysen für circa 35 Prozent der mit einem inoperablen Lungenkarzinom diagnostizierten Patienten abgedeckt.

Bei zwei Dritteln der jährlich circa 55.300 neu entdeckten Lungenkarzinome in Deutschland ist der Tumor nicht mehr resezierbar. Für 2016 werden insgesamt circa 500.000 Malignomdiagnosen erwartet.

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