Forschung

Boehringer-Ingelheim-Preis verliehen

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MAINZ. Für ihre Forschungen zu Darmkrebs und zu Netzhautschäden bei Diabetes hat die Boehringer Ingelheim Stiftung den Toxikologen Privatdozent Dr. Jörg Fahrer und die Ophthalmologin Privatdozentin Dr. Katharina Ponto mit dem diesjährigen Boehringer-Ingelheim-Preis ausgezeichnet. Der mit insgesamt 30.000 Euro dotierte Preis geht zu gleichen Teilen an die beiden Nachwuchswissenschaftler der Universitätsmedizin Mainz.

Karzinogen PhIP im Fokus

Jörg Fahrer fand heraus, wie Zellen des Darms auf bestimmte krebserregende Stoffe, die etwa beim Braten von Fleisch entstehen, reagieren und welche Wege die Zelle einschlägt, um sich vor Schäden an ihrem Erbgut und Zelltod zu schützen(Nucleic Acids Res. 2016; 44(21):10259-10276), teilt die Universitätsmedizin Mainz mit. Die neuen Erkenntnisse helfen, besser zu verstehen, wie Dickdarmkrebs entsteht. Über 30 Prozent aller Darmkrebsfälle werden durch die Ernährung verursacht. Insbesondere der Verzehr von Fleisch ist dabei in den Fokus geraten, da bei dessen Verarbeitung und -zubereitung verschiedene Karzinogene entstehen können. Hierzu zählt ein Stoff mit der Kurzbezeichnung PhIP, der die DNA schädigt und zu irreversiblen Veränderungen des Erbguts führt. Je heißer Fleisch zubereitet wird und je dunkler es wird, umso mehr steigt sein Gehalt an PhIP.

"Bis vor kurzem war noch wenig darüber bekannt, wie die Zelle sich gegen diese krebserzeugende Substanz schützen kann", wird Fahrer in der Mitteilung der Universitätsmedizin Mainz zitiert. "Deshalb haben wir uns gefragt, wie Zellen des Darms reagieren, wenn sie mit PhIP in Kontakt kommen."

Protein ATR steuert das Schutzprogramm

Dazu untersuchten die Wissenschaftler die Wirkung von PhIP mittels bioanalytischer, biochemischer, zellbiologischer und genetischer Verfahren. Gemeinsam mit Kollegen in Hannover, Potsdam und Dallas (USA) fanden sie zunächst heraus, dass die durch PhIP verursachten DNA-Schäden ein komplexes Schutzprogramm aktivieren, das weitere Schäden bei der DNA-Replikation begrenzt. Gesteuert wird dieses Schutzprogramm maßgeblich von dem Protein ATR, das die Schäden erkennt und weitere Moleküle aktiviert, die unter anderem an der Regulation des Zellzyklus und an der Reparatur beteiligt sind.

Um diese Vorgänge genauer zu untersuchen, schalteten die Wissenschaftler ATR in bestimmten Zellen mit einem hochspezifischen pharmakologischen Hemmstoff aus. So konnten sie zeigen, dass PhIP die Struktur der Chromosomen deutlich häufiger verändert, wenn ATR "außer Gefecht gesetzt" ist. Bei starker Schädigung durch PhIP leiteten die Zellen darüber hinaus auch deutlich häufiger ein automatisches Zelltodprogramm ein.

Höheres Krebs-Risiko bei ATR-Defekt?

"Unsere Forschungsergebnisse belegen erstmals, dass Darmzellen sich durch ein ATR-gesteuertes Programm gegen ein wichtiges Karzinogen wehren können", so Fahrer. "Interessanterweise finden sich in Tumoren des Magen-Darm-Trakts auch Mutationen von ATR, die dazu führen, dass das ATR-Protein nicht richtig arbeitet. Patienten mit einem ATR-Defekt könnten daher ein höheres Risiko besitzen, Darmkrebs zu entwickeln. Diese Hypothese wollen wir nun in weiteren Forschungsprojekten untermauern."

Daten der Gutenberg-Gesundheitsstudie aus gewertet

Katharina Ponto wertete Daten der Gutenberg-Gesundheitsstudie aus und liefert nun erstmals verlässliche und aussagekräftige Zahlen zu Netzhautveränderungen im sehr frühen Diabetes-Stadium (Diabetologia 2016 59:1913-1919). Ihre Daten legen nahe, dass gezielte Screening- Programme helfen könnten, Netzhautschäden als Folge eines Diabetes zu vermeiden. Bisher existierten in Europa keine bevölkerungsbezogenen Daten zum Auftreten diabetischer Netzhautveränderungen bei neu – etwa im Rahmen von Screenings oder Studien – festgestelltem Diabetes, erinnert die Universität Mainz in ihrer Mitteilung.

Die Arbeit von Katharina Ponto schließt diese Lücke und liefert nun erstmals verlässliche und aussagekräftige Zahlen zu Netzhautveränderungen im sehr frühen Diabetes-Stadium. Dabei konnte die Fachärztin für Augenheilkunde auf eine ungewöhnlich große Datenbasis zugreifen – auf Daten, die im Rahmen der Gutenberg-Gesundheitsstudie erhoben wurden. Diese Bevölkerungsstudie analysiert den Gesundheitszustand der Bevölkerung in der Rhein-Main-Region, insbesondere deren Herz-Kreislauf-Gesundheit. Zusätzlich erfassten die Ärzte Erkrankungen der Augen, des Immunsystems, des Stoffwechsels, der Psyche sowie Krebs.

Daten von über 15.000 Personen analysiert

Von 2007 bis 2012 untersuchten sie im Rahmen der Studie über 15.000 Personen aus einer repräsentativen Bevölkerungsstichprobe im Studienzentrum der Universitätsmedizin.

Dabei diagnostizierten die Ärzte bei 347 Studienteilnehmern – also etwa jedem 50sten – erstmals Diabetes. Damit erfuhr etwa jeder vierte Diabetiker in der Studie (insgesamt 1377) erst durch diese Untersuchung von seiner Erkrankung. Für die vorliegende Untersuchung wertete Katharina Ponto bei diesen Teilnehmern Bilder des Augenhintergrundes aus. Sie stellte bei 13 Prozent von ihnen Netzhautschäden fest.

"Weltweit handelt es sich um die jüngste und größte Gruppe, deren Daten zu dieser Fragestellung ausgewertet wurden", lautet die Bilanz von Katharina Ponto. "Unsere Daten – jeder 50ste leidet ohne es zu wissen an einem Diabetes und immerhin 13 Prozent davon haben bereits Netzhautschäden – lassen vermuten, dass durch ein Diabetes-Screening die Erkrankung selbst und Schäden an der Netzhaut frühzeitig entdeckt werden können. Möglicherweise könnten durch gezielte Screening-Programme schwere Komplikationen in Bezug auf begleitende Augenerkrankungen und ein Erblinden in einigen Fällen verhindert werden."

Mit dem Boehringer-Ingelheim-Preis zeichnet die Boehringer Ingelheim Stiftung Nachwuchswissenschaftler der Universitätsmedizin Mainz für wissenschaftliche Leistungen auf dem Gebiet der theoretischen und klinischen Medizin aus. Der Preis ist mit insgesamt 30.000 Euro dotiert und wird seit 1969 jährlich vergeben. (mal)

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