Familiäres Krebsrisiko

IQWiG hinterfragt Nutzen von Darmkrebs-Screening

Der aktuelle Rapid Report des IQWiG kommt ebenso wie der Abschlussbericht von 2013 zu dem Fazit: Der Nutzen des Screenings bei unter 55-Jährigen mit einem familiären Risiko für Darmkrebs ist unklar.

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Das Darmkrebs-Screening kann nützlich sein – für bestimmte Fälle sieht das IQWiG aber einen unklaren Nutzen.

Das Darmkrebs-Screening kann nützlich sein – für bestimmte Fälle sieht das IQWiG aber einen unklaren Nutzen.

© psdesign1 / Fotolia

BERLIN. Für gesetzlich Versicherte stehen je nach Alter (ab 50/über 55 Jahren) verschiedene Möglichkeiten einer frühen Untersuchung auf Darmkrebs – immunologische Stuhltests und Koloskopie – zur Verfügung.

So haben bislang GKV-Versicherte im Alter von 50 bis 54 Jahren einen Anspruch auf einen immunologischen Stuhltest und bei auffälligem Befund auf eine Koloskopie. Ab 55 Jahren können sie dann wählen, ob sie alle zwei Jahre einen Stuhltest machen oder zweimal im Abstand von mindestens zehn Jahren eine Koloskopie in Anspruch nehmen.

 Unklar war bislang, ob dieses abgestufte Vorgehen für unter 55-Jährige mit familiärem Darmkrebsrisiko zur Prävention ausreichend ist.

Auftrag kommt vom GBA

Im Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) gibt es daher die Überlegung, ein risikoadaptiertes Screening einzuführen und damit für gefährdete Personengruppen auch die bisherigen festen Altersgrenzen bei der Prävention aufzuheben. Immerhin hat auch eine epidemiologische Fall-Kontroll-Studie des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) mit 4500 Teilnehmern – die DACHS-Studie – erst kürzlich belegt, dass Teilnehmer mit Darmkrebsfällen unter Verwandten ersten Grades ein etwa doppelt so hohes Erkrankungsrisiko wie Menschen ohne Darmkrebs in der Familiengeschichte haben.

Das IQWiG sollte daher im Auftrag des GBA den Rapid-Report aus dem Jahr 2013 noch einmal überarbeiten und die Zielgruppe der unter 55 jährigen Risikopatienten in den Blick nehmen. Doch trotz des eindeutig erhöhten Risikos kommt das Institut auch in seinem Update zu dem Schluss, dass der Nutzen eines Darmkrebs-Screenings bei dieser Risikogruppe mit positiver Familienanamnese "aufgrund des Fehlens geeigneter Studien" unklar sei.

Wie das Institut mitteilt, seien zwei weitere Studien in die Bewertung eingeflossen. Diese untersuchten, ob Kolorektalkarzinome und fortgeschrittene Adenome bei Personen mit familiärem Darmkrebsrisiko seltener auftreten, wenn bestimmte Screening-Maßnahmen eingesetzt werden. Die FACTS-Studie habe geprüft, ob es bei der Koloskopie einen Unterschied macht, wenn diese Untersuchung nach drei oder aber erst nach sechs Jahren wiederholt wird. Die COLONFAM-Studie habe wiederum die Koloskopie mit dem immunologischen Stuhltest verglichen. Mangels aussagekräftiger Ergebnisse hätten diese Studien die jeweils gestellten Fragen aber nicht beantworten können, so das Institut.

Kritik am Vorgehen des IQWiG

Das heißt aber nicht, dass das Screening nun etwa nicht an die Belange von Personen mit familiärem Risiko angepasst wird. Der GBA hat im Juli 2017 eindeutig beschlossen: "Das organisierte Darmkrebs-Screening nach Paragraf 25a SGB V wird mit einer besonderen Regelung für Personen mit einem familiären Darmkrebsrisiko gestaltet." Allerdings soll dabei wiederum ein gestuftes Verfahren zugrundegelegt werden. Der aktualisierte Rapid-Report könnte aber Auswirkungen auf die strukturierte Anamneseerhebung haben.

Scharfe Kritik an dem Vorgehen des IQWiG kommt von der Vorsitzenden der Felix Burda Stiftung, Dr. Christa Maar: "Seit zehn Jahren wird über das Thema Nutzen und Schaden vorgezogener Früherkennung für Menschen mit familiärem Darmkrebsrisiko diskutiert. Was ist in 10 Jahren geschehen?"

Jeder Gastroenterologe könne über den Nutzen eines jungen Betroffenen Auskunft geben, bei dem er gutartige Vorstufen oder einen Tumor im Frühstadium erkenne, so Mahr. "Was das IQWIG da untersucht, ist meilenweit von der Realität entfernt." "Hochwertige" Studien sind ihrer Meinung nach bei einer Überlebenschance von zwei, drei Jahren bei den jungen Studienteilnehmer, die dann eben aus der Früherkennung ausgeschlossen würden, aber doch an einem metastasierten Darmkrebs erkrankten, gar nicht möglich. "Keine Ethikkommission würde jemals eine solche Studie genehmigen!" – und dies zu Recht.

Mahr plädiert dafür, dass alle Hausärzte zur Erhebung der Familienanamnese verpflichtet werden – über einen kurzen Fragebogen. "Leider wissen viele junge Menschen, in deren Familien es Darmkrebs gibt, nichts von ihrem erhöhten Risiko", sagt sie.

Auch die Stiftung Lebensblicke hält an ihrer Forderung nach einem früheren Zugang zur Vorsorge für Angehörige aus Risikofamilien fest. "Die Feststellung, dass der Nutzen unklar ist, heißt nicht, dass es keinen Nutzen gibt", stellt der Stiftungs-Vorsitzende Professor Jürgen F. Riemann klar. "Hier plädiert die Stiftung nachdrücklich für die Forderung in dubio pro reo, einem bewährten prozessualen Grundsatz. Das anerkennt auch die S3-Leitlinie Kolorektales Karzinom", sagt Riemann.

Anders als Mahr ist Riemann überzeugt, dass derzeit noch laufende Studien eine noch bessere Evidenz dafür ergeben, dass die risikoadaptierte Früherkennung wirklich Sinn mache.(reh/mmr/run)

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Darmkrebs-Screening: Dünne Studienlage

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