Morbus Crohn

Das zähe Ringen um die optimale Therapie

Die Suche nach der optimalen Pharmakotherapie bei Patienten mit Morbus Crohn oder mit Colitis ulcerosa bedeutet auch ein ständiges Aufarbeiten und Einordnen neuer Erkenntnisse.

Dr. Marlinde LehmannVon Dr. Marlinde Lehmann Veröffentlicht:

NEU-ISENBURG. Die umfangreiche Palette der für Patienten mit Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa zur Verfügung stehenden Arzneistoffe und deren unterschiedliche galenische Aufbereitungen ermöglichen heute schon eine auf das individuelle Krankheitsbild und die individuellen Patientenwünsche ausgerichtete Behandlung.

Eine noch ausgeklügeltere, gezieltere Therapie könnte möglich sein, wenn der Krankheitsverlauf jedes einzelnen Patienten, also dessen Prognose, schon früh nach der Diagnose feststünde, hoffen Experten.

Aus bisherigen Forschungsprojekten zur Definition von Faktoren, die auf eine gute oder eher schlechte Prognose hinweisen, leiten sie zum Beispiel ab, dass Morbus Crohn-Patienten mit einem Erkrankungsbeginn im Alter unter 40 Jahren, mit ausgedehntem Morbus Crohn - besonders bei Befall des oberen Gastrointestinaltraktes -, mit perianalem Befall und der Notwendigkeit einer Glukokortikoid-Therapie bei der Erstdiagnose Kandidaten für den frühen Einsatz von Immunsuppressiva sind.

Bei Fehlen dieser Risikofaktoren oder bei Faktoren, die einen günstigen Verlauf anzeigen, etwa höheres Alter, niedriges CRP, geringe endoskopische Aktivität sowie Fehlen perianaler Läsionen und Komplikationen, gilt eine unselektive frühe Immunsuppression eher als "Überbehandlung" mit potenziellen Nebenwirkungen ohne zusätzlichen Nutzen für die Kranken.

Aktuelle Empfehlungen

Die immer aktuellsten Empfehlungen zur Pharmakotherapie bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa werden in Leitlinien dokumentiert.

Viele Aussagen darin sind quasi schon in Stein gemeißelt und unstrittig, etwa die primäre Anwendung von Mesalazin (5-ASA) bei leichter bis mittelschwerer Colitis ulcerosa. Ebenso etwa die primäre Anwendung dieses Wirkstoffs bei Colitis-Patienten in der Phase der Remission.

Bei Crohn-Kranken wiederum liegen Therapeuten richtig, wenn sie beim typischen Befall der Ileozökalregion und/oder des rechtsseitigen Kolons und leichter Entzündungsaktivität eine Behandlung mit Budesonid starten.

Dieses Vorgehen wird in der aktualisierten Leitlinie zu Morbus Crohn (Z Gastroenterol 2014; 52: 1431-1484) von den Autoren nämlich mit starkem Konsens empfohlen - auch wenn mehrheitlich mittlerweile ebenfalls die Ansicht vertreten wird, dass bei Kontraindikationen gegen Steroide oder bei Wunsch des Patienten auch eine Therapie mit Mesalazin oder eine symptomatische Therapie erfolgen kann.

Bei Veröffentlichung schon veraltet

Das Problem von Leitlinien: Bisweilen sind sie zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung schon nicht mehr aktuell, etwa deshalb, weil seit ihrer Verabschiedung neue wissenschaftliche Erkenntnisse publiziert worden sind.

Auch hier lassen sich die aktualisierten Leitlinien zu Morbus Crohn als Beispiel anführen: In einer zeitgleich mit der Publikation der Leitlinien veröffentlichten Übersicht "Azathioprin in der Therapie des Morbus Crohn - eine Standortbestimmung aktueller Studien" (Z Gastroenterol 2014; 52: 1423-1430) haben Privatdozent Dr. Carsten Schmidt vom Uniklinikum Jena und sein Team Studien zur Anwendung von Azathioprin aufgearbeitet, die nach Abschluss der Leitlinien-Literaturrecherche (bis Mai 2012) veröffentlicht worden sind, also zu einem Zeitpunkt, zu dem sie für die Erstellung der aktualisierten Leitlinie nicht mehr berücksichtigt werden konnten.

Letztendlich geht es den Kollegen um Schmidt dabei auch um nichts anderes als um den optimalen Einsatz von Arzneimitteln, nämlich von Azathioprin und 6-Mercaptopurin sowie von Anti-TNF-Antikörpern (Adalimumab, Infliximab) für eine bestmögliche, gezielte Therapie. Vedolizumab, ein gegen a4ß7-Integrin gerichteter Antikörper, wurde als "jüngstes" auf den Markt gekommene Biologikum zur Morbus Crohn-Therapie in dieser Übersicht nicht berücksichtigt.

Wann Azathioprin, wann Biologika?

Das Team um Schmidt rät:

Für den Einsatz von Azathioprin/6-MP bei aktiver Erkrankung ohne gleichzeitige wirksame Remissionsinduktion etwa durch Glukokortikoide bestehe keine Indikation, so die Gastroenterologen; der unselektive frühe Einsatz bei allen Patienten, besonders bei fehlenden Risikofaktoren für einen komplizierten Verlauf sei nicht sinnvoll.

Es gebe zwar Hinweise auf eine günstige Beeinflussung des Krankheitsverlaufes durch Azathioprin; die Daten seien aber nicht ausreichend, um den generellen frühen Einsatz bei Risikofaktoren für einen komplizierten Verlauf zu empfehlen.

Bei Patienten mit Steroidabhängigkeit sei durch Azathioprin eine Reduktion der Steroide zu erreichen und die Wahrscheinlichkeit für eine langfristige steroidfreie Remission steige.

Für die Remissionsinduktion bei schwer verlaufendem Morbus Crohn oder etwa bei steroidrefraktärer Erkrankung ergebe sich aus der Datenlage, dass hier Anti-TNF-Antikörper deutlich überlegen seien, so Schmidt und seine Kollegen. Eine Kombination von Azathioprin plus Anti-TNF-Antikörper könne von Vorteil sein.

Für Patienten, die durch eine Pharmakotherapie in Remission gekommen sind, gilt: Ist die Remission durch Glukokortikoide induziert worden, lässt sich mit Azathioprin oder 6-Mercaptopurin das Rezidivrisiko mindern. "Bei Patienten mit häufigen Rezidiven (mehr als zwei Schübe pro Jahr) oder bei Patienten mit einer Steroidabhängigkeit ist diese Therapie unumstritten", schreiben Schmidt und seine Kollegen.

Ob bei Patienten mit einer durch Anti-TNF-Antikörper induzierten Remission ein Wechsel der Substanzklasse mit Einsatz von Azathioprin und Beendigung der Anti-TNF-Therapie, gegebenenfalls auch überlappend sinnvoll ist, sei durch kontrollierte Studien nicht belegt.

Der potenzielle Wirkungsverlust der Anti-TNF-Antikörper, der mit einer Häufigkeit von circa 20 Prozent pro Jahr auftrete, könnte ein Argument für die Anwendung von Azathioprin sein, so die Gastroenterologen.

Sie weisen aber auch darauf hin, dass in den kontrollierten Studien eine von Nebenwirkungen induzierte Abbruchrate von Azathioprin von bis zu 20 Prozent beschrieben werde, wohingegen die Nebenwirkungsrate unter einer Anti-TNF-Antikörpertherapie, die zur Therapiebeendigung führt, mit 8 bis 15 Prozent angegeben werde.

Bei Patienten, die unter einer Kombinationstherapie in Remission gelangen, sei ein Absetzen des Antikörpers unter Fortführung der Azathioprin-Therapie eine Option, so Schmidt und seine Kollegen.

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