Morbus Crohn

Ständig herrscht Alarm

Evelyn Groß leidet seit 1990 an Morbus Crohn. Sie hat eine App der Firma Takeda getestet, die den Tagesablauf eines MC-Patienten simuliert. Groß hofft, dass Ärzte bei der Diagnosestellung öfter an eine mögliche CED denken.

Von Martin Krenek-Burger Veröffentlicht:
Begehbares Darmmodell in Berlin – das Organ bestimmt bei CED-Patienten den Tagesablauf.

Begehbares Darmmodell in Berlin – das Organ bestimmt bei CED-Patienten den Tagesablauf.

© Maurizio Gambarini/dpa

Wenn eine Frau, die Sie noch nie gesehen haben, plötzlich unbedingt will, dass Sie zu Besuch kommen und Blumen mitbringen, dann sind Sie mittendrin in der Real-Life-Simulation von Takeda. "In Their Shoes" heißt die App, die gesunden Menschen Einblick in den gehetzten und qualvollen Tagesablauf eines Morbus Crohn (MC)-Patienten gewährt.

Einige auserwählte Mitarbeiter der Firma, Medienvertreter – ich bin einer von ihnen – und die stellvertretende Präsidentin der Österreichischen Morbus Crohn/Colitis ulcerosa Vereinigung (ÖMCCV), Evelyn Groß, melden sich an und erleben als MC-Avatar einen Tag, an dem nichts selbstverständlich ist. Keine Sitzung, kein Telefonat, nicht der Gang zum Supermarkt in der Mittagspause sind sicher vor dem Darmalarm der App. Auch nicht die Freizeit nach Büroschluss. SMS um 20 Uhr: "Sie müssen dringend auf die Toilette. Unterbrechen Sie, was Sie gerade machen oder entschuldigen Sie sich unverzüglich!"

Eine unangenehme Situation

Eine Schauspielerin ist in die Simulation eingebunden. Sie spielt eine Verwandte, die den Avatar der Teilnehmer zur Hochzeit einer alten Bekannten einlädt, oder sie versucht zu vermitteln. Denn der Unwillen, die Flugreise zu der geplanten Hochzeit in einem anderen Landesteil anzutreten, fällt schon unangenehm auf. Es wird Hilfe angeboten, die Vermittlerin lässt nicht locker. Nun ist entweder eine schlaue Ausrede gefragt – oder Ehrlichkeit. Eine unangenehme Situation für mich als Morbus-Crohn-"Neuling"! Ich entscheide mich für ein Geständnis und offenbare meine Verzweiflung.

Die Vermittlerin akzeptiert das, fragt noch einmal nach, ob sie helfen könne, legt dann aber bald auf. Groß: "Wenn der andere eloquent ist und mich nieder redet, dann ist es schon vorgekommen, dass ich mir in die Hose gemacht habe, aber ich habe es nicht übers Herz gebracht, aufs Klo zu rennen. Danach bin ich deprimiert, es ist einfach eine Schmach, man fühlt sich erniedrigt und gedemütigt. Weil man eben als Erwachsene nicht in die Hose macht."

Groß, die einzige Testerin, die den Alltag mit Morbus Crohn wirklich kennt, war bei der Entwicklung hautnah dabei. Sie bescheinigt der App, "wirklichkeitsgetreu" zu sein. Mit Einschränkungen freilich: "Normalerweise schaue ich nicht ständig aufs Handy. Ich denke ans Essen, ich schaue auf meinen Terminkalender, ich lege meine Termine an Orte, wo ich meine Toiletten kenne."

Umfeld ist befremdet

SMS um 21.42 Uhr: "Das ist definitiv kein falscher Alarm. Sind Sie bereits auf der Toilette? Wenn ja, bleiben Sie weitere fünf Minuten dort. Wenn nicht, sollten Sie sich schnell dorthin begeben. Zeigen sich Ihre Kollegen / Familienmitglieder / Freunde befremdet darüber, dass Sie regelmäßig zur Toilette rennen?"

Schon bereut der eine oder andere Teilnehmer im Stillen, dass er sich freiwillig für die Nacht-Session der App gemeldet hat.

Alles ist besser als diese Schmerzen

Doch sofort meldet sich das schlechte Gewissen: Ein CED-Patient kann sich auch nicht freinehmen von seiner Krankheit. "Alles ist besser als mit diesen Schmerzen leben." Das sagt die Patienten Michaela Schara auf einem Video der Pharmafirma Takeda. Sie hofft, dass ihre "Medikamentenmischung bald anschlägt und ich wieder arbeiten kann". Sie wirkt wie ein Mensch, der es sich verbietet, einfach aufzugeben.

Was das bedeutet? Viele Betroffene leiden an übermäßigem Haarwuchs im Gesicht und auf der Stirn sowie an Blähungen und Gewichtszunahme – übrigens nicht alle, wie mir Evelyn Groß versichert, es gebe auch Betroffene, die spindeldürr seien. Groß: "Der Crohn hat viele Gesichter."

Dies kann CED-Betroffene stark verunsichern. Die Teilnahme an einer Weihnachtsfeier, an einem Sektempfang ist eine Überwindung, von Betriebsausflügen mit gemeinsamem Schwimmbad- und anschließendem Heurigenbesuch ganz zu schweigen. Am späten Nachmittag geht mir ein SMS erstmals auf die Nerven. Begründung: Der Abgabetermin dieser Ausgabe rückt näher, und ich kann keine Arbeit zu Ende führen, keine Seite abschließen ohne Unterbrechung.

In einem Kuvert, das beim Start der App an die Simulationsteilnehmer ausgegeben wird, liegt ein Gürtel zum Nachziehen. Etwas mehr als eine Stunde soll man das Band unterm Hemd und eng um den Bauchtragen. Ich bin froh, dass diese Bewährungsprobe um 20 Uhr endet. Doch wie das Amen in der Kirche folgt auf eine Aufgabe die nächste und so weiter und so fort.

Nie mehr unbeschwert

SMS um zwei Uhr nachts: "Sie fühlen sich unwohl. Stehen Sie auf. Trinken Sie ein großes Glas kaltes Wasser, und gehen Sie zurück ins Bett. Bleiben Sie wach liegen, und schauen Sie immer wieder auf Ihr Smartphone." Es wird immer schwieriger, den Anweisungen per Smartphone zu folgen, aber da ich ohnehin nicht schlafen kann, lasse ich mir noch einmal durch den Kopf gehen, was mir Evelyn Groß vor Beginn der Simulation am Telefon gesagt hat: "Es gibt für mich keinen unbeschwerten Tagesablauf." Nie mehr. Bei mir glücklicherweise schon.

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