Deutsche Studie

Gallensteine drücken auch aufs Herz

Steine in der Galle können schmerzhaft sein. Doch nicht nur das: Deutsche Forscher wollen jetzt herausgefunden haben, dass solche Patienten auch ein erhöhtes Infarktrisiko haben. Und die Entfernung der Gallenblase könnte es noch schlimmer machen.

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Schön anzusehen: Gallensteine könnten ein Marker für ein erhöhtes Infarktrisiko sein.

Schön anzusehen: Gallensteine könnten ein Marker für ein erhöhtes Infarktrisiko sein.

© Thomas Kraus

NUTHETAL. Patienten mit Gallensteinen haben offenbar ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle. Darauf deuten zumindest neue Ergebnisse aus der deutschen EPIC-Kohorte. Bemerkenswert: Eine spätere Entfernung der Gallenblase scheint sogar mit einem noch höheren Risiko einherzugehen.

Obwohl die Studie keine Kausalitäten untersuchen konnte, ist sie mit fast 50.000 Teilnehmern die erste große prospektive Analyse, die eine Assoziation von Infarkten und Cholelithiasis ergeben hat.

Schon seit einigen Jahrzehnten wird ein möglicher Zusammenhang von Gallensteinen und dem Risiko von kardiovaskulären Ereignissen diskutiert. 1983 etwa fanden US-Autoren bei einer Analyse von Daten aus der "Framingham Heart Study" einen Zusammenhang zwischen Atherosklerose und Gallensteinen.

Der Effekt war allerdings nur auf Männer beschränkt (Am J Epidemiol 1985; 121(1): 19). Die Forscher schlussfolgerten schon damals, dass Gallensteine auf ein ungünstiges Lipoprotein-Profil hinweisen könnten, was kardiovaskuläre Erkrankungen begünstigen könnte.

Diese Erkenntnisse wurden erst vor wenigen Jahren von Forschern aus Mexiko ergänzt. In ihrer Analyse hatten beide Geschlechter ein steigendes Risiko für Gallensteine mit zunehmender Intima-Media-Dicke der Carotis (Liver Int 2008; 28(3): 402). Die Forscher setzten dies mit einem gestiegenen Infarktrisiko gleich.

Kanadische Forscher konnten zwei Jahre später einen Zusammenhang zwischen dem metabolischen Syndrom und dem Auftreten von Gallensteinen ermitteln (Can J Gastroenterol 2010; 25(5): 274). Doch das Problem all dieser Analysen: Sie waren entweder zu klein, oder boten lediglich eine retrospektive Auswertung von vorhandenen epidemiologischen Daten.

Das deutsche Team der großen europäischen EPIC-Studie ("European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition") um die Privatdozentin Cornelia Weikert wollte das nun ändern (Eur J Prev Cardiol 2013; online 31. Oktober).

Aus den beiden deutschen Subkohorten in Potsdam und Heidelberg konnten sie 46.486 Teilnehmer für ihre Analyse verwenden. Diabetiker, Patienten mit anderen oder unklaren kardiovaskulären Risikofaktoren oder fehlenden Daten in der Krankengeschichte, insbesondere mit unklarem Gallenstein-Status, wurden bereits vorher ausgeschlossen.

Kleine Limitationen im Studienaufbau

Nach einem Follow-up von im Schnitt knapp über acht Jahren hatten 919 Patienten entweder einen Myokardinfarkt (507 Fälle) oder einen Schlaganfall (412 Fälle) erlitten. Von diesen Patienten hatten in demselben Zeitraum 134 Gallensteine. Bei 92, also dem größten Teil der Betroffenen, wurde eine Cholezystektomie durchgeführt. Insgesamt wurden 4828 Gallensteine gemeldet, bei 66,5 Prozent der betroffenen Menschen wurde die Gallenblase entfernt.

Allerdings hat die Studie schon an dieser Stelle eine Limitation, die die Autoren auch einräumen. Denn bei der Meldung eines Cholelithiasis-Befunds mussten sich die beiden EPIC-Teams auf die Informationen der Patienten verlassen.

Hierin liegt freilich die Gefahr, dass entweder vorhandene Gallensteine undiagnostiziert geblieben sind, oder dass Patienten positive Befunde schlicht nicht gemeldet haben. Allerdings verweisen die Studienautoren auf ihre Gallenstein-Prävalenz, die der einer deutschen Studie aus dem Jahr 2000 entspreche (Med Klin 2000; 95(12): 672).

In Industrienationen liegt die Prävalenz nach Schätzungen zwischen acht (für Männer) und 16 Prozent (für Frauen). Tatsächlich decken sich diese Zahlen mit den Werten zumindest aus der Potsdamer EPIC-Kohorte (8,8 und 15,6 Prozent).

Auffallend sind in der jetzigen Analyse die Unterschiede zwischen den Geschlechtern und den Regionen. Bei Frauen war die Gallenstein-Prävalenz doppelt so hoch wie bei Männern. Ähnlich war es im Ost-West-Vergleich: Die Prävalenz in der EPIC-Kohorte aus Potsdam fiel doppelt so hoch aus wie die der Gruppe aus Heidelberg. Auch wurden in Potsdam deutlich mehr Gallenblasen entfernt.

Patienten mit Gallensteinen waren außerdem im Schnitt fast fünf Jahre älter, hatten einen um fast zwei Punkte höheren BMI, einen größeren Bauchumfang, aßen mehr Fleisch und trieben weniger Sport als Teilnehmer ohne Gallenstein-Befund. Außerdem wurden bei ihnen im Schnitt häufiger Bluthochdruck oder Hyperlipidämien diagnostiziert.

Würde man für diese Gruppe das Infarktrisiko errechnen, wäre es schon ob der deutlich sichtbaren Risiken erhöht - die Gallensteine wären dann kein hartes Indiz mehr. Die EPIC-Forscher hatten die Gallenstein-Gruppe deswegen für ihre Analyse adjustiert, damit beide Gruppen eine gleiche Risikobilanz und Altersstruktur aufweisen.

Woran liegt das höhere Risiko?

Und dennoch zeigte sich ein deutlich um 24 Prozent erhöhtes Risiko für Infarkte und Insulte in der Gruppe mit den Gallensteinleiden. Die Schwankungsbreite reichte allerdings von zwei bis 50 Prozent.

Noch auffälliger ist jedoch, dass das Risiko offenbar steigt, wenn sich die Betroffenen einer Cholezystektomie unterziehen: In der EPIC-Analyse stieg das Risiko danach auf 32 Prozent (Schwankung zwischen fünf und 65 Prozent).

Frühere Studien hatten zunächst einen umgekehrten Effekt gezeigt. Die Hypothese: Durch die Entfernung der Gallenblase könnte die Cholesterinausscheidung durch den Gastrointestinaltrakt angekurbelt werden - was sich günstig auf das Lipidprofil auswirken sollte.

Diese These konnten die deutschen Forscher allerdings nicht bestätigen. Sie vermuten eher, dass postoperativ die Triglyzeridspiegel in der Leber ansteigen könnten. Das wiederum könnte die Fettanreicherung in dem Organ begünstigen und so das atherosklerotische Risiko in die Höhe treiben.

Eine andere mögliche Erklärung: Während Cholezystektomien ein relativ präziser Hinweis auf Gallensteine sind, lassen sich die lediglich von den Patienten gemeldeten Befunde kaum prüfen. Gut möglich wäre, dass in der Gallensteingruppe ohne Gallenblasenentfernung letztlich einige Teilnehmer auftauchen, die womöglich gar nicht an Gallensteinen leiden.

Allerdings gibt es auch einen pathologischen Ansatzpunkt, der auf einen möglichen Zusammenhang zwischen Gallensteinbildung und Infarktrisiko hindeuten kann: der Gallensäurerezeptor FXR, der Farnesoid-X-Rezeptor.

Ist er aktiviert, sorgt er dafür, dass die Gallensäurebildung aus Cholesterin in der Leber nicht durch CYP7A1 unterdrückt wird. Der Synthesesuppressor CYP7A1 reguliert normalerweise automatisch hoch, wenn die Cholesterinwerte zu niedrig sind - und vice versa.

Forscher aus den Niederlanden hatten vor einigen Jahren gezeigt, dass FXR auch auf die Plasmalipidspiegel wirken kann. Bei FXR-Knock-out-Mäusen stiegen die Triglyzerid- und LDL-Spiegel an, das HDL sank. Für die Forscher war deswegen naheliegend, dass FXR sowohl anti- als auch proatherosklerotisch wirken kann (Arterioscler Thromb Vasc Biol 2010; 30: 1519).

Trotz offener Fragen und mancher Einschränkungen ihrer Studie sehen die EPIC-Forscher aus Potsdam und Heidelberg in ihrer Arbeit dennoch einen wichtigen Hinweis für Ärzte: Sie sollten künftig bei Patienten mit Gallensteinen die Risiken für Herz und Gefäße noch stärker im Blick haben. (nös)

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