Nach dem Terror - oberflächlich cool, doch innerlich tief beunruhigt

HAMBURG (dpa). Terrorakte haben die Verbreitung von Angst und Schrecken zum Ziel. Die Terroristen kalkulieren dabei als entscheidend wichtiges Hilfsmittel die Medien ein, für die Terrorismus "spektakulär ist und einen hohen Nachrichtenwert hat", wie der Berliner Soziologieprofessor Friedhelm Neidhardt nach den jüngsten Anschlägen in London sagte. Die Erfahrungen bei früheren Terrorakten hätten aber gezeigt, daß die ersten heftigen Reaktionen mehr oder weniger schnell abklingen.

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Nach den Anschlägen am 11. September 2001 mit tausenden Toten in New York und Washington füllten sich auch in Deutschland plötzlich die Kirchen mit zutiefst verunsicherten Menschen, die in gemeinschaftlicher Besinnung Halt suchten. Zukunftsängste waren beherrschendes Thema.

Ein Soziologe sprach von einem "Gefühlschaos" angesichts der Hilflosigkeit gegenüber der Bedrohung. Doch Ängste und Unsicherheitsgefühle hielten nicht lange an. Bald war das Leben, auch das Gefühlsleben, wieder wie vorher.

Auch Neidhardt verweist jetzt darauf, daß die Angst vor dem Terrorismus außer durch "die hohe mediale Vergegenwärtigung der Gefahr" auch durch die Wahrnehmung der eigenen Ohnmacht ausgelöst wird, daß man selber kaum etwas tun kann, um sich zu schützen.

Damit unterscheidet sich diese Gefahr von den vielen Bedrohungswahrscheinlichkeiten, die Statistiken zufolge vor dem Terrorismus rangieren. "Man kann sagen, daß sehr viel mehr Menschen in der Küche, durch die Gefahren des trivialen Alltagslebens wie auch den Straßenverkehr umkommen", erläuterte Neidhardt.

Zu den Bereichen, in denen sich die Angst vor Terrorismus in der Vergangenheit konkret ausgewirkt hat, zählte er die Börse, wirtschaftliche Abläufe, die Versicherungen und vor allem den Tourismus.

"Die Ausschläge sind aber nur kurz- und mittelfristig", konstatierte er. "Auch der Tourismus reagiert nur eine gewisse Weile, und dann vergessen die Menschen das, dann reisen sie wieder nach Ägypten. Man hat vergessen, daß da doch mal was war."

Es werde aber nicht alles vergessen, es bleibe wahrscheinlich "ein diffuses Bedürfnis, das sich auch politisch bemerkbar macht" - so etwa in der Forderung an die Politiker, für verstärkte Sicherheit zu sorgen, auch mit verschärften Sicherheitsgesetzen, durch die sogar "verbürgte und grundgesetzlich festgelegte Freiheiten unter Druck geraten" könnten.

Viele Medien ließen bei der Berichterstattung über Terrorakte Augenmaß vermissen. "Der Terrorismus hat einen zu hohen ‚Unterhaltungswert‘, um mit Augenmaß gesehen zu werden. Die kräftige Nachricht, die er hergibt, wird natürlich auch genutzt, auch zur Dramatisierung."

Der Gießener Psychoanalytiker Professor Horst-Eberhard Richter bezweifelt hingegen, daß Ängste und Beunruhigung als Reaktion auf Ereignisse wie jetzt in London schnell wieder abklingen. Er verweist auf den Unterschied zwischen "oberflächlicher Coolness, die heute große Mode ist", und eine "tiefer sitzende Beunruhigung".

Nach den Anschlägen 2001 in den USA hätten viele Menschen in Umfragen auch noch im Jahr darauf selbst in Ländern wie Deutschland und der Schweiz Angst und Unruhe bekannt. Nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl (Ukraine) 1986 habe es auch hierzulande bis zu acht Jahre gedauert, bis die Beunruhigung abgeklungen sei.

Richter sieht eine Ursache andauernder Unruhe und Angst vor Terroranschlägen auch in verstärkten Sicherheitsmaßnahmen gegen sie, etwa bei Massenveranstaltungen oder auch in Gestalt von Kontrollen bei Reisen. Eine Scheu vor der Benutzung städtischer U-Bahnen wird nach den Londoner Terrorakten, wie er glaubt, möglicherweise lange bestehen bleiben.

Ein verstärktes Gefühl schwerer Bedrohung lösen nach seiner Auffassung auch "populistische" Kennzeichnungen von Attentätern als "Barbaren" und "Bestien" aus, wie sie dieser Tage von Politikern zu hören waren.

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