Therapiewahl

Was hilft Patienten mit sozialen Angststörungen?

Eine Psychotherapie ist einer großen Verbundstudie zufolge bei Patienten mit sozialen Angststörungen das Mittel der Wahl. Auch SSRI haben sich als wirksam erwiesen, die Ergebnisse der Psychotherapie sind allerdings dauerhafter.

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Patienten mit einer sozialen Angststörung versuchen, für sie unangenehme Situationen zu vermeiden und isolieren sich zunehmend.

Patienten mit einer sozialen Angststörung versuchen, für sie unangenehme Situationen zu vermeiden und isolieren sich zunehmend.

© Artem Furman / Fotolia

GIEßEN. In Europa sind mehr als zehn Millionen Menschen von einer sozialen Angststörung betroffen. Es handelt sich somit um eine der häufigsten Angststörungen. Häufig werden Betroffene mit Psychopharmaka behandelt. Doch was hilft den Patienten am besten? Professor Falk Leichsenring und Professor Frank Leweke von der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum der Justus-Liebig-Uni Gießen (JLU) haben in einer Studie festgestellt, dass "nach den geltenden Leitlinien Psychotherapie das Mittel der Wahl ist, was die Behandlung angeht", wie sie in einer Mitteilung der JLU zitiert werden (NEJM 2017; 376:2255-2264). Zwar hätten sich auch Psychopharmaka, insbesondere SSRI, als wirksam erwiesen, doch seien die Ergebnisse der Psychotherapie dauerhafter.

Zwei verschiedene Therapieansätze

Für die psychotherapeutische Behandlung haben sich – so die Forschungsergebnisse der Gießener Wissenschaftler – insbesondere die kognitive Verhaltenstherapie und die psychodynamische Therapie als wirksam erwiesen. In der kognitiven Verhaltenstherapie lernen Betroffene unter anderem, die Aufmerksamkeit – beispielsweise während eines Vortrags – nicht auf sich selbst zu richten, sondern auf die Zuhörerinnen und Zuhörer. Ein Videofeedback soll dazu dienen, dass die Betroffenen die verzerrten Vorstellungen, die sie von sich selbst haben, korrigieren können.

In der psychodynamischen Therapie wird der Hintergrund der Symptomatik herausgearbeitet, der den Patientinnen und Patienten zum Teil nicht bewusst ist. Dabei werden verschiedenen Situationen beleuchtet, in denen die Symptome aufgetreten sind. Eine wichtige Rolle spielen in diesem Zusammenhang verschiedene Personen aus der Gegenwart und der Vergangenheit. Es geht darum, den Patienten neue Blickwinkel zu eröffnen und den Kontext zu verdeutlichen, damit sie ihr eigenes Verhalten besser verstehen lernen. So haben viele Betroffene nicht nur Angst, sich zu zeigen, sondern unbewusst auch den starken Wunsch, sich zu präsentieren und bewundert zu werden. Gleichzeitig befürchten diese aber, von anderen dafür niedergemacht zu werden.

Umweltfaktoren und Neurobiologie

"Welche der beiden Therapien – die kognitive Verhaltenstherapie oder die psychodynamische Therapie – für welchen Menschen am besten passt, ist wissenschaftlich noch nicht geklärt", wird Studienautor Leichsenring von der JLU in der Mitteilung zitiert. Es komme sehr stark auf den Einzelnen an: Dem einen komme der Zugang der kognitiven Verhaltenstherapie mehr entgegen, dem anderen liege die psychodynamische Therapie eher.

"Die soziale Angststörung geht mit erheblichen psychosozialen Einschränkungen einher, die oftmals schwerwiegender sind als diejenigen bei einer Depression", so Leichsenring weiter. Die Ursachen seien vielfältig. Gegenwärtig werde ein Wechselspiel zwischen Umweltfaktoren, etwa erlebter Beschämung, und neurobiologischen Faktoren für wahrscheinlich gehalten.

Menschen mit sozialer Angststörung befürchten, in Situationen, in denen sie mit anderen Menschen in Kontakt sind, von diesen negativ bewertet zu werden. Dies betrifft Leistungssituationen – etwa wenn es gilt, eine Prüfung abzulegen oder einen Vortrag zu halten –, aber auch andere Situationen. So könnte beispielsweise das Essen in der Mensa oder im Restaurant zu einer großen Herausforderung für die Betroffenen werden.

Die Betroffenen haben Angst, angeschaut und möglicherweise negativ beurteilt zu werden. Und sie fürchten negative Bewertungen ihrer Mitmenschen ("Was ist das denn für einer? "Wie sieht der denn aus?"). Diese Angst führt dazu, dass die Patienten sich zunehmend isolieren, indem sie versuchen, solche Situationen komplett zu vermeiden.

Die Ergebnisse der Mediziner basieren zum Teil auf einer großen Verbundstudie, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurde (Social Phobia Psychotherapy Research Network, Universitäten Gießen, Göttingen, Dresden, Jena, Bochum, Mainz). (eb)

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