Neuronaler Reflexbogen bremst die Entzündungen aus

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:

Um das Nervensystem beim Kniesehnenreflex zu aktivieren, braucht es bekanntlich einen gezielten Schlag mit dem Hämmerchen. Wesentlich subtiler als mit Muskeln und Sehnen kommunizieren die Neuronen dagegen mit anderen Geweben, vor allem dann, wenn diese entzündlich verändert sind. Doch Bewährtes wird dabei nicht aufgegeben: Genauso, wie es am Knie und anderswo die Muskellängen durch Eigenreflexe überwacht, reguliert das Nervensystem auch reflexartig das Ausmaß von Entzündungen im Darm, in Blutgefäßen oder in Gelenken.

Wie eng Immunsystem und Neuronen bei solchen "Entzündungsreflexen" zusammenarbeiten, weiß man erst seit kurzem. Im aufsteigenden Schenkel des Reflexbogens aktivieren dabei Botenstoffe des Immunsystems vegetative Nervenfasern und informieren das Gehirn über Ort und Ausmaß einer Entzündungsreaktion.

Schwellung und Rötung durch den Einfluß von Interleukin 1

Im absteigenden Schenkel sind es dagegen Nervenzellen, die mit ihren Signalmolekülen den Immunzellen Anweisungen geben, wie der New Yorker Immunologe Dr. Kevin Tracey sagt (Nature 420, 2002, 853). Zwei wichtige Akteure sind dabei der Tumornekrosefaktor und das Interleukin 1, die vor allem von Makrophagen im Gewebe ausgeschüttet werden. Sie verursachen die typischen Entzündungszeichen wie Schwellung, Rötung und Überwärmung.

Die Nervenendigungen von sensorischen Fasern des Vagus-Nerven können Änderungen in der lokalen Konzentration dieser Botenstoffe auf noch unklare Weise wahrnehmen und geben die Information über eine beginnende Entzündung auf diese Weise ans Gehirn weiter. "Nur so kann das Gehirn wissen, wo im Körper gerade eine Entzündung stattfindet. Über Veränderungen im Blut geht das nicht", so Tracey.

Einlaufende Signale werden im Hirnstamm verschaltet

Wie bei klassischen Reflexbögen werden diese einkommenden Signale nun verschaltet, und zwar im Hirnstamm, wie Tracey erläutert. Die absteigende Bahn läuft dann über den parasympathischen Teil des Vagus-Nerven, der im Gewebe den Signalstoff Acetylcholin ausschüttet.

Erst kürzlich wurde entdeckt, daß Makrophagen, die als Produzenten von Signalstoffen entscheidend daran beteiligt sind, eine Entzündung im Gewebe aufrechtzuerhalten, durch dieses Acetylcholin gebremst werden, ganz ähnlich wie der Vagus auch die Herzfrequenz bremst. Makrophagen produzieren unter Acetylcholineinfluß weniger Tumornekrosefaktor und weniger Interleukin 1. Die Entzündung wird so daran gehindert, sich unkontrolliert auszubreiten.

Gedrosselt wird auch die Ausschüttung des von Tracey und seiner Arbeitsgruppe erforschten Zytokins HMGB1 (high mobility group B1). Das Protein hat sich inzwischen als lohnendes Ziel für eine Sepsistherapie entpuppt: Die Hemmung etwa mit einem Antikörper schützt Mäuse vor Organschäden infolge einer Sepsis und erhöht bei ihnen die Überlebensrate nach einer künstlich erzeugten Periodontitis (PNAS 101, 2004, 296)

Natürlich gibt es reichlich Querverbindungen zwischen verschiedenen Systemen. So könnten etwa lokale Signale, die über den aufsteigenden Schenkel des geschilderten Reflexbogens das Gehirn erreichen, zur systemischen Ausschüttung von Cortisol führen, wie Tracey erläutert.

Das Wissen über Entzündungsreflexe rückt Therapiekonzepte in den Vordergrund, die bisher kaum beachtet wurden, weil man Entzündungen als rein immunologische Phänomene betrachtet hatte. "So ist es zum Beispiel denkbar, daß man therapeutisch eine Entzündungshemmung erreichen kann, wenn man Substanzen verabreicht, die im ZNS die Aktivität des Vagus-Nerven stimulieren", so Tracey.

Mit einem derartigen Hemmstoff (er heißt CNI 1493) sei es in ersten klinischen Studien gelungen, bei Patienten mit schwerem Morbus Crohn die Entzündungsaktivität im Darm stark zu verringern. Auch in Deutschland wird zur Teilnahme an einer internationalen Studie mit dem Enzymhemmer bei Patienten mit Morbus Crohn von der Deutsche Morbus Crohn und Colitis ulcerosa Vereinigung e. V. aufgerufen.

Eine andere Strategie könnte darauf zielen, den N. vagus mit dem Ziel der Entzündungshemmung nicht pharmakologisch, sondern elektrisch zu stimulieren. Solche "Vagus-Schrittmacher" werden gelegentlich bei Epilepsie-Patienten verwendet.

Inwieweit sie entzündliche Reaktionen beeinflußen, sei noch völlig unbekannt, so Tracey. Natürlich könnte man versuchen, bei chronischen Entzündungen die Acetylcholinrezeptoren der Makrophagen gezielt zu blockieren und so die neuronale Entzündungshemmung zu imitieren.

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