Chemische Lockstoffe weisen Nervenfortsätzen den Weg

TITISEE (kat). Chemotaxis ist ein Mechanismus, mit dem Organismen und Zellen aller Evolutionsstufen auf Signale ihrer Umgebung reagieren. Das Instrumentarium reicht von Gerüchen und löslichen Botenstoffen über Sauerstoff und Temperatur bis hin zu Warnsignalen.

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So kann die Richtung von Zellfortsätzen, etwa von Axonen oder von frei beweglichen Zellen wie Spermien, bestimmt werden. Die korrekte Aussprossung und Verknüpfung von Neuronen während der Entwicklung ist entscheidend für die Plastizität des Gehirns. Sowohl das Wachstum der langen Axone, als auch das der kurzen, verzweigten Dendriten muß daher genau reguliert werden. Ob ein Neuron den richtigen Weg findet, hängt größtenteils davon ab, wie es mit den umgebenden Zellen kommuniziert.

Daß die Informationsübertragung bei Nervenzellen überwiegend durch direkten Zell-Zell-Kontakt geschieht, ist seit langem bekannt. Hier seien Ephrin-Liganden und -Rezeptoren ganz besonders wichtig, so Professor Rüdiger Klein vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried. Zudem sind Konzentrationsgradienten chemischer Lockstoffe während der Aussprossung von Axonen bedeutsam, wie Klein bei der 93. Titisee-Konferenz des Boehringer Ingelheim Fonds in Titisee sagte.

Wie beim Zell-Zell-Kontakt kann ein und dasselbe Molekül - abhängig von der Lokalisation oder Konzentration - als Lock- oder Schreckstoff wirken. So haben neurotrophe Faktoren außer ihrer wachstumsstimulierenden und nährenden auch eine chemotaktische Funktion und können die Wachstumsrichtung von Axonen beeinflussen. Ein Beispiel ist der Nervenfaktor BDNF (Brain Derived Neurotrophic Factor). Weitere Faktoren mit wegweisender Funktion sind der Nervenwachstumsfaktor und das Myelin-assoziierte Glykoprotein.

Die Rezeptoren für chemotaktisch relevante Moleküle befinden sich meist im distalen Axon, im Wachstumskegel. Der besitzt fuß- und fühlerartige Ausläufer, die Lamellopodien und Filopodien. Kalzium-Ionen seien der entscheidende Botenstoff zu den Effektormolekülen im Zellinnern, etwa den Aktin- und Myosinfilamenten des Zellskeletts, die die Zellbewegung und das Anheften an ein Substrat steuern, so Klein.

Interessanterweise komme es auf der Seite, die dem chemotaktisch wirksamen Stoff zugewandt ist, zu einer Erhöhung der Kalzium-Konzentration, und zwar unabhängig davon, ob das Signal zum Zurückziehen oder zum Wachstum des Axons führt. Diese "Bewertung" des Signals scheint über die Stärke des lokalen Änderung der Kalzium-Konzentration reguliert zu werden.

Denn lokale oder auch globale Kalzium-Signale entscheiden darüber, welche Signalkaskaden an- oder abgeschaltet werden, und ob die Zelle sich zu- oder abwendet. Kalzium-abhängige Effekte auf die Motilität sind Wachstumsförderung, -hemmung oder Kollaps des Filopodiums sowie direkte Richtungssteuerung des Zellfortsatzes.

Selbst schwache externe Konzentrationsgradienten eines chemotaktisch wirkenden Botenstoffs können zu intrazellulären Signalen verstärkt werden und so Richtungsangaben für die weitere Zellwanderung bereitstellen.



STICHWORT

Chemotaxis

Als Chemotaxis wird die Eigenschaft von Zellen - Bakterien, aber auch Blutzellen - bezeichnet, auf Botenstoffe oder deren Konzentrationsunterschiede zu reagieren. Die Folge ist eine gerichtete Bewegung darauf zu oder davon weg. Leukozyten etwa reagieren auf Bakteriengifte und werden dadurch etwa bei der Eiterbildung angelockt. Ein anderes Beispiel ist Bourgeonal (Maiglöckchen-Duft): Es lockt Spermien an.

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