Der Mutterleib als OP - so ist bei Spina bifida ein Hydrocephalus häufig vermeidbar

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Mit der Ultraschalluntersuchung lassen sich Fehlbildungen beim Ungeborenen frühzeitig feststellen.

Mit der Ultraschalluntersuchung lassen sich Fehlbildungen beim Ungeborenen frühzeitig feststellen.

© Foto: imago

Von Uwe Groenewold

Die Fetalchirurgie war ein wichtiges Thema beim 9. Weltkongress für Perinatalmedizin in Berlin. Erfolge melden die Operateure vor allem beim offenen Rücken, aber auch bei Zwerchfellhernien und Herzerkrankungen.

Wenn sich herausstellt, dass ein Ungeborenes geistig oder körperlich behindert sein wird, kann die Medizin auch heute oft nicht viel ausrichten. Werden jedoch während der Schwangerschaft Fehlbildungen wie Spina bifida oder Entwicklungsstörungen an der Lunge festgestellt, können Chirurgen inzwischen noch vor der Geburt eingreifen.

"Eine Reihe schwerwiegender Erkrankungen lässt sich heute frühzeitig diagnostizieren und durch die Bauchdecke der werdenden Mutter mit winzigsten Geräten erfolgreich therapieren", erklärte Professor Joachim W. Dudenhausen, leitender Geburtsmediziner der Berliner Charité. Der Mutterleib als Operationssaal - von dieser faszinierenden Vision, die etwa bei Spina bifida schon Realität geworden ist, berichteten Experten beim 9. Weltkongress für Perinatalmedizin in Berlin.

Viele Kinder mit Spina bifida sterben früh

Spina bifida kann zum Hydrocephalus, zur Querschnittslähmung sowie zu fehlender Kontrolle über Darm und Blase führen. Das Krankheitsbild ist so komplex, dass eines von fünf Kindern vor dem fünften Geburtstag stirbt. Aus Angst entscheiden sich Eltern häufig für einen Schwangerschaftsabbruch. Die Fetalchirurgie könnte eine Alternative darstellen. Neue Therapien werden hierzulande maßgeblich am Deutschen Zentrum für Fetalchirurgie und minimalinvasive Therapie (DZFT) an der Uniklinik Bonn erprobt.

Bei dem Eingriff werden drei winzige, kaum fünf Millimeter starke, innen hohle Kunststoffröhrchen durch die Bauchdecke der Mutter in die Fruchtblase geschoben. Eine kleine Kamera, ein Endoskop, projiziert die Bilder aus dem Körperinneren auf einen Monitor. Zunächst wird ein Teil des Fruchtwassers abgesaugt und Gas in die Fruchtblase gefüllt, um die Sicht für den Operateur zu verbessern. Mit speziellen Nadeln befestigt er anschließend einen aus Kollagen bestehenden Flicken über der offenen Stelle am Rücken und versiegelt diese mit einer Art wasserdichtem Pflaster. Nach geglückter Prozedur wird das Fruchtwasser mit einer Kochsalzlösung wieder aufgefüllt.

"24 Kinder haben wir auf diese Weise in den vergangenen Jahren behandelt", berichtete Professor Thomas Kohl, Leiter des DZFT. Die meisten Patienten hätten von dem Eingriff profitiert. Bei vielen Kindern waren Bewegungseinschränkungen deutlich weniger ausgeprägt, sie konnten oft Blase und Darm kontrollieren, begleitende Gehirnfehlbildungen hatten sich gebessert. So wurde bei einigen ein Hydrocephalus vermieden, so dass nach der Geburt die sonst übliche Drainage zur Senkung des Hirndrucks nicht notwendig war.

Der vorgeburtliche Eingriff geschieht in der Annahme, dass der fehlende Verschluss von Rückenmark und Wirbelbögen nicht allein die angeborene Körperbehinderung verursacht, die mit 1 von 3000 Babys zu den häufigsten gehört. Umspülen Fruchtwasser und Ausscheidungen monatelang das freiliegende Rückenmark, so die Vermutung, verstärkt das die neurologischen Schäden. Die Op erfolgt deshalb häufig früh nach Diagnosestellung, möglichst um die 20. bis 25. Schwangerschaftswoche.

Verletzung der Fruchtblase birgt Risiko von Frühgeburt

Die Verletzung der Fruchtblase ist bei dem Eingriff ein Risiko und führt häufig zu Frühgeburten. In Bonn kam es zu Beginn mitunter zu Frühgeburten noch vor der 30. Schwangerschaftswoche. "In dieser Anfangsphase der Entwicklung sind uns leider drei Kinder gestorben", räumte Kohl ein. Inzwischen haben die Ärzte neue Verschlusstechniken für die etwa 0,3 Millimeter dünne Fruchtblase entwickelt. Die letzten acht Schwangerschaften konnten bis in die 31. bis 35. Woche ausgetragen werden, so dass hier kaum noch weitere Beeinträchtigungen durch die zu frühe Geburt zu erwarten sind.

Seit etwa 25 Jahren werden Kinder intrauterin operiert. Anfangs offen über einen großen Bauchschnitt, inzwischen immer häufiger "durchs Schlüsselloch". Mit einer hauchdünnen Laserfaser können etwa bei Zwillingen Gefäßverbindungen getrennt werden, die lebensbedrohlich für beide Kinder werden könnten. Auch die intrauterine Therapie von Zwerchfellhernien, die postnatal unbehandelt oft tödlich verläuft, ist erfolgversprechend.

Weitere Indikationen: Herzerkrankungen, Kehlkopf- und Luftröhrenverschlüsse oder Harnabflussstörungen. Standardisiert sind die jungen Verfahren nicht. Wer dafür in Frage kommt, muss im Einzelfall geklärt werden. Noch handelt es sich meist um experimentelle Methoden, weit entfernt von der medizinischen Routine. Vor- und Nachteile können nur durch intensive Forschung und ausreichend hohe Fallzahlen festgestellt werden. Doch die minimal-invasiven Methoden sind inzwischen weniger belastend, den meisten Kindern wird das Leben gerettet oder ihre Lebensqualität wird verbessert.

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