Medizinethik

Kopfverpflanzung: Die Idee ist noch immer nicht aus der Welt

Vor vier Jahren kündigte ein italienischer Neurochirurg aus Turin an, die erste Kopftransplantation bei einem Patienten vornehmen zu wollen. Nun sollte das in Kürze in China realisiert werden, doch die dortigen Behörden haben interveniert. Dennoch hält der Chirurg an seinem Plan fest.

Peter LeinerVon Peter Leiner Veröffentlicht:
Kopftransplantation: Ist die Identität des Patienten in Gefahr?

Kopftransplantation: Ist die Identität des Patienten in Gefahr?

© Springer Verlag GmbH

Ich möchte außergewöhnliche Dinge tun, die kein anderer tun kann". So wird der US-Amerikaner Mike Hughes aus Kalifornien bei ABC News online zitiert. Hughes will mit einer selbst gebastelten Rakete den Beweis liefern, dass die Erde eine Scheibe ist. Aber zunächst ist das Vorhaben, das in der Mojave-Wüste realisiert werden soll, verschoben worden.

Erst einmal verschoben wurde kürzlich auch die Umsetzung eines anderen Plans, aber von einem ganz anderen Kaliber: die Verpflanzung von einem Kopf eines Gelähmten auf den Körper eines hirntoten Spenders. Diesen Plan wollte Professor Sergio Canavero aus Turin, wie berichtet, gemeinsam mit Professor Xiaoping Ren an der Medizinischen Universität in Harbin in China und einem 150 Mann starken Team in absehbarer Zeit realisieren. Doch die zuständigen chinesischen Behörden verweigern Medienberichten zufolge offenbar die Zustimmung. Jetzt muss Canavero nach einem anderen Land Ausschau halten, in dem er sein Vorhaben realisieren kann. Geübt und in einer Publikation beschrieben hat er mit seinem Kollegen Ren und chinesischen Mitarbeitern bereits die einzelnen Schritte – an zwei Toten, was jedoch manche bezweifeln (Surg Neurol Int 2017; online 17. November).

Vorbild: Christiaan Barnard

Was Canavero antreibt und wie die Transplantation ablaufen soll, schildert der Neurochirurg in seinem Buch "Medicus Magnus", gemeinsam mit dem Journalisten Georg Kindel verfasst und im November im Verlag edition a erschienen. Einer seiner Vorbilder ist der südafrikanische Chirurg Professor Christiaan Barnard, der 1967 in Kapstadt die erste Herztransplantation vorgenommen hatte. Canavero: "Für mich ist Barnards Geschichte eine wesentliche Bestätigung dafür, dass unser Plan einer Kopftransplantation – trotz aller Bedenken der Kollegenschaft, verschiedener Institutionen und mancher Medien – richtig ist."

Letztlich benötigt man nach Angaben von Canavero für die Fusion des mit einem extrem dünnen Messer durchtrennten Rückenmarks mit dem spinalen Stumpf des Spenderkörpers nur noch Polyethylenglykol (PEG). Das Polymer wird etwa bei der Herstellung von Medikamenten oder Salben genutzt. Mit peripheren Nerven ist eine solche Fusion angeblich schon gelungen. Mit einer Nanoform von PEG soll es sogar noch bessere Ergebnisse geben. Aber das Rückenmark ist eben kein einzelner peripherer Nerv, der sich nach Durchtrennung mikrochirurgisch mit einer primären oder sekundären Nervennaht wieder reparieren lässt. Bis die motorische und sensible Nervenfunktion wieder hergestellt ist, dauert es zudem viele Monate (bis zu eineinhalb Jahre).

Deutsche Experten sehen das Vorhaben kritisch. "Die Verbindung zum Rückenmark bei einer solchen Transplantation wieder herzustellen, halte ich für absolut unmöglich", so Professor Edgar Biemer aus München, Spezialist für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie, zur Nachrichtenagentur dpa. Drastischer formuliert es der Neurochirurg Professor Veit Braun vom Diakonie-Klinikum Siegen: "Wenn ich ein Rückenmark vom Kopf abtrenne, dann ist das hin, und zwar ein für alle Mal."

Ethisch-moralische Bedenken hat Canavero im Zusammenhang mit seinem Plan nicht. Selbst wenn die Op gelingen würde und die immunsuppressive Therapie erfolgreich wäre, gäbe es keine Sicherheit dafür, dass der Patient den fremden Körper in sein durch den primären somatosensorischen Kortex geschaffenes Körperbild integrieren kann. Das würde die Identität des Patienten beeinträchtigen. Und ihm damit ein Leid zufügen, von dem der Italiener Patienten eigentlich befreien will. Canavero: "Es ist nicht Aufgabe eines Chirurgen, ethisch-moralische Fragen zu seiner Handlungsweise zu stellen. Es muss sein Ziel sein, Menschenleben zu retten und die Grenzen des medizinisch-wissenschaftlich Machbaren zu erforschen – wenn nötig auch zu überschreiten."

Aber Menschen sind keine Labormäuse, an denen so lange Versuche gemacht werden können, bis sie klappen. Wenn die Erforschung von Kopftransplantationen nötig wäre, sollte sie ausschließlich an Tieren erfolgen, wenn Ethikkommissionen dem nicht von vornherein einen Riegel vorschieben.

Canavero setzt auf Russland

Ob die Beweisführung dafür, dass die Erde eine Scheibe ist, ob der Versuch, durch Kopftransplantationen Lahme wieder gehen zu lassen – beides ist aus unterschiedlichen Gründen unmöglich. Während jedoch der US-Amerikaner nur sich selbst schadet, weil er sich lächerlich macht, fügen Canavero und seine Kollegen durch eine mögliche Realisierung ihres Planes nicht nur dem Patienten Schaden zu, sondern sie untergraben darüber hinaus auch das Vertrauen in die Transplantationsmedizin generell – und schaden damit noch mehr Patienten. Es bleibt zu hoffen, dass andere Länder es China gleichtun und Canaveros Projekt ihre Zustimmung verwehren. Er hofft allerdings, zumindest in Russland sein Vorhaben realisieren zu können, wo seinen Angaben zufolge Valery Spiridonov, 32 Jahre alt und an seltenem Muskelschwund erkrankt, diese Op an sich vornehmen lassen will. "Ich habe noch immer Hoffnung, dass uns die russische Regierung unterstützen wird, eine Kopftransplantation bei Valery, den ich als tapferen Mann kennengelernt habe, in Moskau zu ermöglichen", schreibt Canavero in seinem Buch. Man darf gespannt sein, wann auch von dort die Absage kommt.

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