Studie

Wer Hausarzttermine versäumt, stirbt früher

Wenn chronisch Kranke oft einen Hausarzttermin versäumen, ist ihr Sterberisiko deutlich erhöht. Dies trifft besonders auf Patienten mit psychischen Problemen zu. Forscher geben Ärzten einen Tipp an die Hand.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Verpassen Jüngere mit psychischen Störungen keine Arzttermine, ist das ein gutes Zeichen.

Verpassen Jüngere mit psychischen Störungen keine Arzttermine, ist das ein gutes Zeichen.

© contrastwerkstatt / stock.adobe.com

Das Wichtigste in Kürze

Frage: Wie stark korrelieren Multimorbidität, versäumte Arzttermine und Mortalität?

Antwort: Je mehr Arzttermine multimorbide Patienten verpassen, umso höher ist ihr Sterberisiko.

Bedeutung: Häufig verpasste Arzttermine sind vor allem bei älteren multimorbiden sowie bei jungen Patienten mit Suchterkrankungen ein Warnsignal.

Einschränkung: Retrospektive Analyse, Gründe für Terminversäumnisse unklar.

GLASGOW. Wenn Patienten zu einem Arzttermin nicht erscheinen, kann das viele Gründe haben. Möglicherweise fühlen sie sich körperlich so elend, dass sie es nicht aus dem Haus schaffen, oder sie sind auf fremde Hilfe angewiesen und haben Probleme, den Arztbesuch zu organisieren. Vielleicht sind sie aber auch so unmotiviert oder depressiv, dass ihnen der Termin schlicht egal ist.

Gerade bei multimorbiden Patienten ist dies nach Resultaten einer schottischen Studie ein Warnzeichen: Die Gefahr, in den nächsten ein bis zwei Jahren zu sterben, ist bei solchen Patienten drastisch erhöht, vor allem dann, wenn sie psychische Probleme haben.

Zu diesem Schluss kommen Forscher um Ross McQueenie von der Universität in Glasgow nach der Auswertung von Angaben zu knapp 825.000 Patienten und 11,5 Millionen geplanten Arztterminen (BMC Medicine 2019; 17:2).

Daten des National Health Service

Die Forscher haben Routinedaten des National Health Service (NHS) aus 136 schottischen Allgemeinarztpraxen ausgewertet und über einen Zeitraum von im Schnitt 16 Monaten mit Angaben aus Sterberegistern verbunden. Anhand der NHS-Daten sahen sie, wie oft Patienten zu Arztterminen bestellt worden waren und wie oft sie tatsächlich erschienen.

53 Prozent aller Patienten hatten sämtliche Termine wahrgenommen, 28 Prozent hatten nur alle paar Jahre einen Termin versäumt, 12 Prozent ein bis zwei Termine jährlich und 7 Prozent mehr als zwei im Jahr.

Häufig nicht erschienen vor allem ältere Patienten und solche mit vier oder mehr chronischen Leiden. Letztere versäumten um 70 Prozent häufiger einen Arzttermin als Patienten ohne chronische Krankheiten.

Entscheidend dafür waren jedoch vor allem psychische Probleme: Die Versäumnisrate bei Patienten mit mindestens vier körperlichen, aber ohne psychische Störungen war um 38 Prozent erhöht, bereits eine psychische Störung ging mit einer um 30 Prozent erhöhten Rate einher, ab vier solcher Störungen war die Rate verdoppelt.

Alkohol hält von der Praxis fern

Schauten sich die Forscher um McQueenie die psychischen Probleme genauer an, so war vor allem bei Alkohol- und Drogenabhängigen das Risiko hoch, zu einem geplanten Arzttermin nicht aufzutauchen, weniger hoch war die Versäumnisrate bei klassischen psychischen Störungen wie Depression oder Schizophrenie.

Analysierten die Forscher die Sterberate im Nachbeobachtungszeitraum, so korrelierte sie eng mit der Zahl der verpassten Arztbesuche: Wurden Alter, Geschlecht, Entfernung zur Praxis und sozioökonomische Variablen berücksichtigt, lag die Sterberate bei zwei oder mehr versäumten Terminen im Jahr mehr als dreifach so hoch wie bei Patienten, die jeden Termin wahrnahmen. Selbst Patienten, die nur ganz selten einen Termin verpassen, weisen nach diesen Daten noch eine um 50 Prozent erhöhte Mortalität auf.

Gliederten die Forscher die Patienten in solche mit und ohne psychische Störungen, ergaben sich weitere Unterschiede: Fehlten Patienten mit ausschließlich psychischen Störungen mehr als zweimal im Jahr, war die Sterberate achtfach höher verglichen mit Patienten, die jeden Termin wahrnahmen.

Fehlten dagegen Patienten mit ausschließlich körperlichen Leiden sehr häufig, blieb es bei einem etwas mehr als verdreifachten Wert. Wurden sowohl psychische als auch körperliche Leiden diagnostiziert, gingen häufige Versäumnisse mit einer rund viereinhalbfach erhöhten Sterberate einher.

Patienten mit ausschließlich psychischen Störungen und häufigen Terminversäumnissen starben im Schnitt im Alter von 49 Jahren, und zwar überwiegend durch Suizid. Fehlten Patienten mit rein körperlichen Leiden häufig, betrug das Sterbealter im Schnitt 80 Jahre, und Todesursachen waren primär Tumoren und Herzinfarkte. Patienten mit psychischen und zugleich körperlichen Leiden starben zumeist an Demenz oder Herzinfarkt.

Was sind die Ergebnisse?

Aus den Resultaten ergeben zwei wesentliche Schlussfolgerungen:

  • Multimorbide Patienten lassen häufiger mal einen Arzttermin sausen, je mehr chronische Krankheiten vorliegen, umso häufiger. Verpasste Arzttermine deuten wiederum auf ein erhöhtes Sterberisiko.
  • Nehmen jüngere Patienten mit rein psychischen Störungen, vor allem Suchterkrankungen, ihre Arzttermine nicht wahr, ist das ein Warnsignal für ein hohes Suizidrisiko.
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