Europäischer Neurologenkongress

Grüntee schützt nicht vor Neurodegeneration

Anders als im Tiermodell kann der Wirkstoff EGCG aus grünem Tee eine parkinsonähnliche Neurodegeneration nicht bremsen – auch nicht hochdosiert. An anderer Stelle fanden die Wissenschaftler aber Forschungsbedarf.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Grüner Tee und Teeblätter: Das darin enthaltene EGCG hilft anscheinend nicht gegen Neurodegeneration.

Grüner Tee und Teeblätter: Das darin enthaltene EGCG hilft anscheinend nicht gegen Neurodegeneration.

© KMNPhoto / stock.adobe.com

Das Wichtigste in Kürze

Frage: Kann das Polyphenol EGCG den Verlauf von Alpha-Synucleinopathien bremsen?

Antwort: Eine Hochdosistherapie zeigte in einer ein Jahr dauernden deutschen Studie keine Effekte bei Multisystematrophie.

Bedeutung: EGCG ist offenbar kein wirksames Therapeutikum gegen eine Neurodegeneration aus dem Parkinsonspektrum.

Einschränkung: Kleine Patientenzahl.

OSLO. Wieder einmal zeigt sich, dass Resultate zur Neurodegeneration aus Tiermodellen und In-vitro-Studien nur schlecht auf erkrankte ältere Menschen anwendbar sind. So konnte die Substanz Epigallocatechingallat (EGCG) aus grünem Tee in präklinischen Experimenten zwar erfolgreich die Aggregation des Proteins Alpha-Synuclein verhindern, welches bei Morbus Parkinson und einigen anderen neurodegenerativen Erkrankungen im Gehirn verklumpt.

Für Menschen lässt sich jedoch kein positiver Effekt nachweisen. Darauf deutet eine deutsche Studie, die nun auf dem europäischen Neurologenkongress in Oslo vorgestellt und zeitgleich in der Zeitschrift „Lancet Neurology“ veröffentlicht worden ist (online, 2. Juli).

Dem Polyphenol werden sowohl tumor- als auch neuroprotektive Eigenschaften nachgesagt. Es konnte in Untersuchungen freie Radikale einsammeln und die Bildung diverser pathologischer Proteinaggregate verhindern sowie im Primatenmodell eine parkinsonähnliche Neurodegeneration um etwa 50 Prozent verzögern.

Progression nur unwesentlich gebremst

Ob dies jedoch auch im menschlichen Körper gelingt, wenn EGCG oral aufgenommen wird, ist freilich eine andere Frage. Zumindest für Patienten mit Multisystematrophie (MSA) lässt sie sich jetzt beantworten: Neurologen um Dr. Johannes Levin vom Zentrum für Neuropathologie und Prionforschung an der LMU München konnten die Erkrankung auch mit einer hohen EGCG-Dosis nicht wirksam bremsen.

Die Forscher hatten sich Patienten mit MSA ausgesucht, weil bei ihnen die Alpha-Synuclein-assoziierte Neurodegeneration besonders schnell voranschreitet. Je nach Verlaufsform bleiben den Betroffenen nach Krankheitsbeginn noch drei bis zehn Jahre.

Ein krankheitsmodulierender Effekt müsste sich daher weit früher und stärker bemerkbar machen als etwa bei Morbus Parkinson. Zudem können Ärzte MSA-Patienten bislang nur wenig anbieten: Eine Arznei, welche die rasche Progression bremst, ist nicht bekannt, ebenso wenig eine gut wirksame symptomatische Behandlung.

An der Studie PROMESA nahmen zwölf deutsche Zentren mit 92 MSA-Patienten teil, 47 von ihnen erhielten über knapp ein Jahr hinweg die EGCG-Behandlung, 45 Placebo. Die EGCG-Dosis wurde innerhalb von zwei Monaten auf 1200 mg pro Tag aufdosiert – so viel ist in rund 50 Tassen grünem Tee enthalten, erläuterte Levin. Es wird angenommen, dass etwa 3% des Wirkstoffs die Bluthirnschranke überwinden.

Als primären Endpunkt wählten die Forscher eine Progressionsverzögerung gemäß des motorischen Parts der „Unified MSA Rating Scale“ (UMSARS): Dieser reicht von 0–56 Punkten, höhere Werte entsprechen einer stärkeren Einschränkung.

Sie gingen von einer Verschlechterung von rund 8 Punkten pro Jahr unter Placebo aus. Für ein signifikantes Ergebnis benötigten sie eine Differenz von etwa 4 Punkten, was der durchaus ambitionierten Effektgröße von 50 Prozent entspricht, die sich in Primatenexperimenten ergab.

Statistisch nicht signifikanter Unterschied

Die Patienten waren im Schnitt 62 Jahre alt und hatten seit einem Jahr die MSA-Diagnose. Rund die Hälfte in jeder Gruppe war an dem relativ rasch voranschreitenden parkinsonähnlichen MSA-Typ erkrankt.

Nach knapp einem Jahr lag der motorische UMSARS-Wert in der Placebogruppe um 6,6 Punkte höher als zu Beginn, mit EGCG hatte er um 5,7 Punkte zugenommen. Die Differenz von 0,9 Punkten erwies sich erwartungsgemäß als statistisch nicht signifikant, wenngleich die UMSARS-Kurven nach etwa einem halben Jahr zwischen Placebo- und EGCG-Arm auseinanderdrifteten. Signifikante Differenzen zeigten sich auch nicht beim UMSARS-Gesamtscore oder beim klinischen Gesamteindruck.

Erhöhte Leberwerte

17 Patienten in der EGCG-Gruppe und 11 mit Placebo unterzogen sich einer MRT-Analyse. Hier fanden die Forscher unter EGCG einen signifikant geringeren Hirnvolumenverlust im Striatum und Gyrus praecentralis. Allerdings hatte sich die motorische Funktion der Patienten mit EGCG in dieser Subgruppe im Studienverlauf kaum verschlechtert.

Ob es sich dabei um einen Therapieeffekt handelt oder zufällig besonders stabile Patienten in der EGCG-Gruppe für die MRT ausgewählt wurden, ist daher fraglich. Der Bildgebungsbefund, so Levin, könnte jedoch weitere Studien rechtfertigen.

Ganz unproblematisch scheint eine EGCG-Hochdosisbehandlung aber nicht zu sein. Ernste Nebenwirkungen traten unter dem Polyphenol etwa doppelt so oft auf wie unter Placebo (29 versus 14), wobei auch hier zumeist MSA-Symptome im Vordergrund standen. Für bedenklich hält Levin jedoch eine Lebertoxizität bei zwei Patienten mit EGCG – sie mussten die Studie deswegen abbrechen. Dosierungen über 800 mg/d seien daher in künftigen Studien nicht zu empfehlen, sagte der Neurologe.

Immerhin könnte an dem Therapieprinzip etwas dran sein, so Professor Dr. Günter Höglinger vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen in München in einer Mitteilung zur Studie. Es müssten nun jedoch Oligomer-Modulatoren geprüft werden, die ein günstigeres Verhältnis von Wirkung zu Nebenwirkung haben und höhere Wirkspiegel im Gehirn erreichen. Mit einer solchen Substanz, anle138b, wollen die Forscher in Kürze eine Studie beginnen.“

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