Suizidgefahr

Wie häufig haben Piloten Depressionen?

24. März 2015: Ein depressiver Pilot reißt 149 Menschen mit in den Tod, als er einen Airbus A320 abstürzen lässt – eine Debatte über die psychische Gesundheit von Piloten entbrennt. Eine Harvard-Studie hat jetzt untersucht, wie häufig Piloten depressiv sind.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Forscher haben mit einer Online-Umfrage versucht zu verstehen, wie häufig Piloten depressiv sind.

Forscher haben mit einer Online-Umfrage versucht zu verstehen, wie häufig Piloten depressiv sind.

© ALDECAstudio / Fotolia

BOSTON. Nach dem bewusst herbeigeführten Absturz des Germanwings-Flugs 9525 durch einen psychisch kranken Piloten im vergangenen Jahr wurden in Deutschland Stimmen laut, Depressiven das Ausüben von Berufen wie Busfahrer und Pilot zu verbieten – eine Diskussion, die sicher nicht die Bereitschaft fördert, bei einer Depression Hilfe zu suchen.

Aus ähnlichen Gründen ist es schwer, überhaupt zu ermitteln, wie viele Piloten an einer Depression leiden und medizinische Hilfe benötigen.

Harvard-Wissenschaftler starten Umfrage

Ein Team um Dr. Alexander Wu von der Harvard School of Public Health in Boston hat es dennoch versucht: Die Forscher konnten über Anzeigen in Piloten- und Airlinemagazinen sowie über Gewerkschaften und Fluggesellschaften rund 3500 Piloten aus aller Welt für eine anonyme Online-Gesundheitsumfrage gewinnen (Environ Health 2016, online 15. Dezember). Ein Großteil der Piloten stammte aus den Vereinigten Staaten und Kanada, nur 35 aus Deutschland.

Mithilfe des Patient Health Questionnaire 9 (PHQ-9) wurden die Piloten auch nach depressiven Symptomen befragt. Bei einem Wert von zehn und mehr Punkten liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Depression nach DSM-IV-Kriterien vor.

Den PHQ-9 und das Modul zur psychischen Gesundheit füllte jedoch nur etwa die Hälfte der Teilnehmer aus, so blieben gerade einmal 1848 Datensätze zur Auswertung.

Von diesen überschritten 12,6 Prozent beim PHQ-9 den Cut-off-Wert für eine Depression. Wurden nur die 1430 aktiven Piloten berücksichtigt, lag der Anteil mit 13,5 Prozent noch etwas höher. 75 Piloten (4,1 Prozent) gaben auch Suizidgedanken in den zurückliegenden zwei Wochen zu.

Kaum Überraschungen

Wenig überraschend war der Anteil Depressiver umso höher, je mehr Schlafmittel und Alkohol sie konsumierten und je stärker sie verbal oder sexuell belästigt wurden. Unter Piloten aus westlichen Ländern lag die Prävalenz mit 10,9 Prozent jedoch kaum über der in der Allgemeinbevölkerung (8–10 Prozent).

Insgesamt 47 Prozent der Befragten berichteten über mindestens einen Tag mit schlechter psychischer Verfassung in den vergangenen 30 Tagen. Dieser Anteil war in der Altersgruppe der über 60-jährigen und wohl zumeist im Ruhestand befindlichen Piloten am geringsten (27 Prozent) und unter den 40- bis 50-Jährigen am höchsten (56 Prozent).

Was lässt sich nun aus der Befragung schließen? Zunächst sind die Resultate in keiner Weise repräsentativ – letztlich haben nur sehr wenige Piloten das Modul zur psychischen Gesundheit ausgefüllt. Wie viele Piloten tatsächlich depressiv sind, lässt sich also nicht sagen.

Wahrscheinlichkeit für Depressionen könnte doch höher sein

Es spricht aber vieles dafür, dass auch Piloten nicht vor Depressionen gefeit sind. Möglicherweise ist die Prävalenz aufgrund von Stress, unregelmäßigen Arbeits- und Schlafzeiten tatsächlich höher als in der Allgemeinbevölkerung.

In anderen Berufen mit hohem Stresspegel, etwa beim Militär oder der Polizei, wurden in Umfragen ähnliche hohe Prävalenzen wie in dieser Studie festgestellt.

Was das für die Flugsicherheit bedeutet, ist eine andere Frage. Depressive tendieren nach Expertenansicht eher wenig zu Gewalt und "Mitnahmesuiziden". Beim Piloten des Flugs 9525 bestand auch ein Psychoseverdacht.Vielleicht hätten die Forscher um Wu auch danach suchen sollen.

13,5% der aktiven Piloten zeigten einer Online-Umfrage zufolge Zeichen einer Depression.

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