Depressionen bei Älteren

Worauf es bei der Therapie ankommt

Gebrechlich, müde, reizbar, Klagen über Schmerzen – hinter solchen Symptomen älterer Menschen steckt häufig eine Depression. Diese lässt sich mit Arzneien und Psychotherapie ebenso gut lindern wie bei jungen Patienten, allerdings benötigen Ärzte mehr Geduld.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Bei älteren Patienten mit Minor-Depression kann eine alleinige Psychotherapie ausreichen.

Bei älteren Patienten mit Minor-Depression kann eine alleinige Psychotherapie ausreichen.

© Alexander Raths / stock.adobe.co

Eine Depression bei älteren Menschen sollten Ärzte nicht auf die leichte Schulter nehmen, zum einen steigt damit die Gefahr, dass die Betroffenen ihren Alltag nicht mehr bewältigen können und vorzeitig in ein Pflegeheim müssen, zum anderen ist die Suizidrate recht hoch, erläuterte Professorin Vjera Holthoff vom Alexianer Krankenhaus Hedwigshöhe in Berlin. Die Psychiaterin empfahl beim Welt-Psychiatrie-Kongress in Berlin, bei älteren Menschen besonders auf Beschwerden wie Müdigkeit, Schmerzen und Gewichtsverlust zu achten. Viele hätten aufgrund solcher Probleme bereits eine Ärzte-Odyssee hinter sich und diverse Diagnosen erhalten, litten letztlich aber an einer Depression. Zu den eher alterstypischen Symptomen zählt die Ärztin auch Probleme mit dem Gedächtnis und der Entscheidungsfähigkeit, Nachlässigkeit bei der Einnahme der bisher verordneten Arzneien, ebenso Reizbarkeit, sozialer Rückzug und vermehrter Konsum von Alkohol, Hypnotika oder Sedativa.

Besonders alarmiert sollten Ärzte und Therapeuten sein, wenn solche Symptome bei gebrechlichen Patienten auftreten. Ihnen macht häufig der zunehmende Funktionsverlust zu schaffen, ebenso die Angst vor Immobilität, Abhängigkeit, Schmerzen und Einsamkeit. Gerade bei den über 85-Jährigen sei die Depressionsprävalenz daher recht hoch.

Viele belastende Faktoren

Nicht selten kommen bei depressiven Älteren viele belastende Faktoren zusammen, so Holthoff: Neben dem körperlichen Abbau mitunter der Verlust des Lebenspartners und erste kognitive Probleme. Letztere sind ihrer Ansicht nach ein bedeutsamer Risikofaktor für Suizide: So klappt bei kognitiven Einbußen die Inhibition negativer Gedanken nicht mehr gut, die Betroffenen drehen sich während einer Depression immer stärker in einer gedanklichen Abwärtsspirale, die schließlich zum Suizid führt.

Das höchste Suizidrisiko hätten dabei ältere verwitwete Männer, die lange in einer Partnerschaft gelebt haben und nicht mehr richtig hören oder sehen können. Sie würden den daraus folgenden sozialen Ausschluss oft nicht ertragen. Im Gegensatz zu jüngeren Depressiven seien solche Männer bei der Wahl der Suizidmethoden wenig zimperlich – der Suizidversuch gelingt häufiger.

Immerhin – so lautet die gute Nachricht – lassen sich Depressionen bei älteren Menschen im Schnitt ähnlich gut lindern wie bei jüngeren; die Ansprechraten auf Arzneien und Psychotherapie seien vergleichbar, so die Expertin. Das gelte auch für die Rezidivprophylaxe; die Rückfallgefahr älterer Patienten sei aber generell höher als die von jüngeren.

Bei einer Major-Depression sollten Ärzte möglichst auf die Kombination beider Verfahren setzen, leichtere Depressionen könnten mitunter auch mit alleiniger Psychotherapie angegangen werden, wobei darauf geachtet werden sollte, dass aus der Minor- keine Major-Depression wird.

Die Ansprechraten beider Verfahren seien nach Studiendaten ähnlich gut wie bei jüngeren Patienten, allerdings wirkten Antidepressiva weniger gut auf die Kognition. So besserte sich unter der Therapie zwar häufig die Stimmung, nicht aber die infolge der Depression beeinträchtigte Kognition. Dennoch könnten sich auch die kognitiven Defizite mit der Zeit zurückbilden.

Unter einer Antidepressivabehandlung tritt die Stimmungsaufhellung bei Älteren oft erst nach sechs bis zehn Wochen auf. Besonders schlecht seien die Ansprechraten, wenn die Patienten auch an Diabetes, zerebrovaskulären Störungen, Ängsten und Schmerzen litten. Bei solchen Patienten sei daher auch eine Überprüfung der Schmerztherapie oder eine anxiolytische Behandlung nötig. Häufigster Grund für den mangelnden Therapieerfolg ist nach Ansicht der Psychiaterin jedoch auch bei Älteren eine zu geringe Dosis der Medikamente. Ärzte sind hier offenbar etwas übervorsichtig, weil sie deutliche Wechsel- und Nebenwirkungen befürchten. Werden die Arzneien langsam aufdosiert, treten solche Probleme jedoch recht selten auf, so Holthoff.

Elektrokrampftherapie auch für ältere Depressive

Als Mittel der Wahl gelten auch im Alter SSRI und SNRI. Für besonders wechselwirkungsarm hält die Expertin Citalopram, Escitalopram und Sertralin. Bei SSRI sind generell kardiale Effekte wie QTc-Zeit-Verlängerung und das erhöhte Blutungsrisiko in Kombination mit Antikoagulanzien zu beachten. SNRI werden gerne bei zugleich bestehenden Schmerzen verordnet, hier sollten Therapeuten auf Blutdruckveränderungen schauen. Ganz wichtig: Immer auch die Angehörigen miteinbeziehen, damit es mit der Compliance klappt!

Sprechen Patienten auf ein Medikament nicht an, rät Holthoff zu einem vergleichbaren Vorgehen wie bei jüngeren Patienten: Wechsel auf eine andere Substanzklasse, Kombitherapie, Augmentation mit Lithium oder Aripiprazol sowie eine Elektrokrampftherapie (EKT), wenn alle Versuche scheitern. "Die EKT ist die wirksamste Therapie bei einer Major Depression auch im Alter." Gut bewährt habe sich die EKT auch bei starken Suizidgedanken und wahnhafter Depression sowie bei Patienten, die bekanntermaßen nur sehr langsam auf Antidepressiva ansprechen.

Bevor die Medikamente wieder abgesetzt werden, sollten die Patienten mindestens ein Jahr in Remission sein, bei zwei depressiven Phasen vor der Behandlung sogar mindestens zwei Jahre. Die Psychiaterin rät, die Medikamente nur langsam über mindestens vier Wochen abzudosieren – je kürzer die Halbwertszeit, umso langsamer.

Mit einer Psychotherapie – empfohlen wird meist eine kognitive Verhaltenstherapie mit Psychoedukation – können Therapeuten ebenfalls das Rückfallrisiko senken. Affektive Symptome werden mit einer Kombination aus Psychotherapie und Arzneien stärker gelindert als unter einer alleinigen medikamentösen Therapie, erläuterte Holthoff. "Bei einer hohen somatischen Komorbidität gibt es jedoch keinen signifikanten Effekt zusätzlich zur medikamentösen Behandlung." Vielleicht seien hier Kognitionsdefizite von Bedeutung.

Andere nicht medikamentöse Verfahren sollten Therapeuten ebenfalls nicht vernachlässigen. Sie sind auch dann eine Option, wenn die Patienten weder Medikamente noch Psychotherapien schätzen. Die Psychiaterin nannte etwa eine Lichttherapie – drei Wochen eine Stunden am Morgen 7500 Lux – oder eine Musik- und Gestaltungstherapie. "Damit haben wir hervorragende Erfahrungen gemacht."

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