Der lange Weg zu Zelltherapien für das Gehirn

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Von Philipp Grätzel von Grätz

Pluripotente Stammzellen, adulte Stammzellen, neuronale Vorläuferzellen: Die Zahl der Kandidaten für Zelltherapien bei Patienten mit chronisch-neurologischen Erkrankungen ist groß.

BERLIN. Eine breite klinische Anwendung von Zelltherapien bei Patienten mit chronisch-neurologischen Erkrankungen ist derzeit noch nicht in Sicht. Zu vieles ist noch unklar.

Rückschläge für Zelltherapie bei Morbus Parkinson

Bei der traditionellen Herbsttagung der Deutschen Gesellschaft für Regenerative Medizin in Berlin erinnerte Professor Guido Nikkhah, Ärztlicher Direktor der Abteilung Stereotaktische Neurochirurgie am Universitätsklinikum Freiburg, daran, wie lange Neurologen konkret beim Morbus Parkinson bereits mit Zelltherapien liebäugeln. Nikkhah: "Die Forschung begann bereits in den 1970er Jahren, die erste Neurotransplantation beim Tier erfolgte 1979. In den 1980er Jahren ging es dann schließlich in die Klinik. Und erst 1999 gelang in der PET-Diagnostik der erste Nachweis funktionell aktiver dopaminerger Neurotransplantate."

Das alles waren zur jeweiligen Zeit Durchbrüche gewesen, an die sich große Hoffnungen geknüpft hatten. Trotz dieser langen Historie gab es aber erst vor wenigen Jahren die ersten beiden placebokontrollierten Studien mit Zelltransplantaten bei Patienten mit Morbus Parkinson. "Das brachte die Sache dann erst einmal zum Stillstand, weil es keine klinisch relevanten Verbesserungen gab", so Nikkhah.

Derzeit wittern die am Gehirn engagierten Zelltherapeuten allerdings wieder ein wenig Morgenluft. Das liegt zum einen an insgesamt drei vor einiger Zeit in der Zeitschrift "Nature Medicine" (14, 2008, 501, 504, sowie 507) publizierten Arbeiten unter anderen zum Langzeitüberleben von Zelltransplantaten bei Parkinson-Patienten. In einer dieser Publikationen wurde darüber berichtet, dass transplantierte Gewebestücke nach 11 bis 16 Jahren selbst Zeichen der Parkinson-Erkrankung aufwiesen. Das war keine gute Nachricht. Es gab aber eine zweite Arbeit, die zeigte, dass das nicht passiert, wenn Einzelzellen transplantiert werden und nicht ganze Gewebsstücke.

Hoffnungsvolle Daten zu Huntington

Hoffnungsvoll stimmte die Neurologen darüber hinaus eine Arbeit zur Zelltransplantation bei fünf Patienten mit Huntingtonscher Erkrankung. Hier wurden fetale Zellen des Striatums stereotaktisch in die entsprechenden Kerngebiete im Gehirn der Patienten implantiert. Drei dieser Patienten profitierten deutlich von der Behandlung, bei zweien verschlechterten sich jedoch die Symptome. Bei einem der Patienten, der ein halbes Jahr nach der Transplantation Selbstmord begangen hatte, konnten zu diesem Zeitpunkt unreife Nervenzellen in der Transplantatregion nachgewiesen werden. Das könnte ein Hinweis sein, dass dort tatsächlich Regenerationsprozesse ablaufen.

"Trotz dieser viel versprechenden Daten stehen wir weiterhin erst am Übergang vom Experiment zur klinischen Anwendung. Von einer Stammzelltherapie für Patienten mit ZNS-Erkrankungen können wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht reden", sagte Nikkhah. Immerhin steht die nächste große klinische Studie vor der Tür. Mit Geld der Europäischen Union soll bereits im kommenden Jahr die auf fünf Jahre angelegte multizentrische Studie TRANSEURO starten, bei der es um die Parkinson-Therapie geht. Hier sollen nicht ausschließlich, aber auch Stammzellen genutzt werden.

Als interessant könnten sich auch ganz andere Therapieansätze erweisen, bei denen nicht Zellen transplantiert werden, sondern im Gehirn ohnehin vorhandene neuronale Vorläuferzellen aktiviert werden sollen. Eine solche indirekte Zelltherapie hätte unter anderem den Vorteil, dass man sich keine Gedanken über immunologische Abstoßungsreaktionen bei den betreffenden Patienten machen müsste.

Professor Jürgen Winkler von der Abteilung Molekulare Neurologie am Universitätsklinikum Erlangen berichtete über eigene Arbeiten, bei denen er die Wachstumsfaktoren EGF und FGF-2 infundiert hat, um die adulte Neurogenese zu stimulieren. Dadurch kam es zur Einwanderung hirneigener Stammzellen in die für Parkinson relevanten Kerngebiete. Die Hoffnung ist, dass dadurch die Selbstheilung des Gehirns angestoßen und unterstützt wird.

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